ORIGINELL IM PLAYBACK

■ Erster Berliner Salon von Sophia Hofmann im Odd-Fellow-Haus

Es hatte doch alles so schön sein sollen. Ein wenig wie damals, als das Reden noch half. Als die aufgeklärten Geister Profanität und Repression des öffentlichen Raums flohen und in der Privatheit der großstädtischen Salons des 18. und 19. Jahrhunderts rekonvaleszierten.

Doch es kam wieder einmal ganz anders. Sophia Hofmann, bis 1989 arbeitslose Kulturveranstalterin in einem „menschenunwürdigen System“ und seit dem vorigen Jahr freie Charlottenburgerin, hatte zum ersten Abend ihres „Berliner Salons“ gebeten. Der örtliche Rahmen signalisierte stilvolle Ambitioniertheit - Grunewald-Villa am See - die Ansprache Gemischtheit: „Meine Damen und Herren, wie schön, daß Ihr gekommen seid.“

Gekommen ist man in das Haus des Odd-Fellow-Ordens, einer weltumspannenden Bruder- und Schwesternloge mit Willen zum Guten: Neben dem Streben nach Vervollkomnung im Wahren zählt es zu den Pflichten der Mitglieder, „den Bedrängten zu helfen, die Kranken zu besuchen, die Toten zu bestatten und die Waisen zu erziehen“. Über das konkrete Miteinander der Loge gibt das Veranstaltungsprogramm am schwarzen Brett Auskunft: „Mittwoch - Einführung: Smoking, weiße Fliege, weiße Handschuhe; Freitag - 2. Grad; schwarzer Anzug, weiße Krawatte; Montag Vortrag: Die Geißel des Genießens (Salmonellen); Dienstag Gastabend: Betrachtung über die Hoffnung.“

Nun verhielten sich Loge und Salon an diesem Abend selber wie Würdenkleid und innere Werte: Das Haus hatten die Brüder und Schwestern der noch-armen Kunst zur Verfügung gestellt. So waren im „Berliner Salon“ dann auch weder weiße Krawatten, noch die wirklich seltenen weißen Fliegen, geschweige denn ein ausgewachsener Smoking zu sehen. Statt dessen ein mehr als hundertköpfiges deutschsprachiges Vielvölkergemisch, in dem der Typus des kollektiven Wohltätigkeitsbesessenen einer amerikanischen Midwestansiedlung unter 50.000 Einwohner den Poden und der Typus „Ich bin Brechts Enkel“ den Antipoden bildete. Beseeltes Gutheitsbesitzerdauerlächeln ist Kennzeichen der einen, finsterer Widerstand ist Kunstberuflerstrenge das der anderen. Dazwischen die nahezu gesamte, repräsentative Bandbreite einer Bevölkerung, die Kultur zum integralen Verschönerungsüberbau ihres gestandenen Seins erklärt hat.

„Dies möge ein Beitrag dazu sein, miteinander einen kultivierten und schönen Abend zu verbringen“, wünscht sich der mäzenierende Hausherr denn auch und reicht das Wort der Begrüßung an Sophia Hofmann. Die erhofft sich „ihren“ Salon als Wiedergeburt der Tradtition des 18. und 19. Jahrhunderts, wo kluge Damen und Frauen wichtige Männer und Herren zu Tee und Gebäck luden, wo man über das Leben plaudernd eine Ebene finden konnte, sich unabhängig von der sozialen und politischen Herkunft... usw. Aktuell wolle sie mit ihrem Berliner Salon professionellen und unprofessionellen Künstlern Gelegenheit geben, ihre Werke vorzustellen. „Damit ist mein Salon eine wirkliche kulturelle Bereicherung in dieser Stadt“, was der Berliner Senat durch eine angemessene finanzielle Förderung goutieren möge. Dann finde man demnächst auch eigene Räume vielleicht. Kurzum, „mein Salon soll Anlaß sein, liebevoll und kritisch miteinander umzugehen. Wir wollen gegenseitige Achtung, und wir wollen lernen, voneinander zu lernen.“

Nach diesen schönen Worten intoniert das Trio „fin de siecle“ (Flöte, Bratsche, Harfe) sehr schön Edel-Salonmusik von Debussy. Schaut man nicht auf das Orchester und hat das Glück, seinen Sitzplatz am Fenster eingenommen zu haben, kann man zur Musik sehr passend in der Abendsonne zwei Angler in ihrem Kahn gleich neben den ins Wasser ragenden Ästen einer Trauerweide ihrer Passion nachgehen sehen. Sehr schön.

Von diesem Bild wendet man sich beim Auftritt der Schauspielerin Blanche Kommerell ab, die sich nebenberuflich mit der Geschichte des Salons, vornehmlich mit denen der Rahel Varnhagen und Bettina von Arnim beschäftigt hat. Salons, so erfahren wir, waren eine Erfindung jüdischer Frauen, denen die Beteiligung an allen anderen gesellschaftlichen Ereignissen verwehrt war. So waren diese Salons ein Versuch der Assimilation in die Freiheit: „Ein Salon ist ein Ort, wo man die Freiheit hat, das zu sein, was man sein will“, mit dem Resultat, daß, „wenn man das ist, was man ist, ist man originell“ oder ein Original.

Daß ein Salon mithin nicht nur ein Ort ist, an dem Sätze formuliert werden, die alle schön finden, sondern daß er auch zu regelrechten Salonhandgreiflichkeiten gelegentliche Gelegenheit bot, läßt Blanche Kommerell das neuzeitliche Salonpublikum durch die authentische Beschreibung des pikanten tete-a-tete zwischen dem Wüstling Goethe und der Bettina von Brentano, spätere von Arnim, wissen: damals, als er ihr eigenhändig das Mieder öffnete und ihre unbedeckten Brüste küßte.

Von dieser bedeutsam vorgetragenen Geschichte aus sehr unterschiedlichen Gründen nahezu erregt, werden die Salongäste mit einem Harfensolo auf den Rahmen gesteckter Ziehmlichkeit hingewiesen. Nach Musik folgt Malerei: Sophia Hofmann freut sich ausdrücklich, auf die Exponate des DDR -Malers Bernd Martin hinwesen zu können: „Ein leidenschaftlicher Naturfreund, der jedes Jahr an die Ostsee fährt, denn, so sagt er, die Natur betrügt nicht.“

Inzwischen hat die Frontalveranstaltung Spielfilmlängen erreicht, doch in diesem Salon wird durchgesessen. So erhebt sich niemand, um sich an den Naturostseebildern zu delektieren, denn der nächste Programmpunkt - die DDR -Schriftstellerin Brigitte Struzyk erklärt den Kontext ihres Buches über Caroline Schlegel-Schelling und wie letztere den Widerstandsdenker Georg Forster ehedem vor gut 150 Jahren in Mainz traf: „Damals, als ich das Buch 1973 anfing zu schreiben, begann auch die Karriere von Honecker. Aber das war wohl eher zufällig!?“

Spätestens jetzt bröckeln die Salongäste massiv aus den Stuhlreihen und verschwinden in der Halle. Da sie nicht wiederkommen, liegt die Vermutung nahe, daß sie einfach nach Hause gegangen sind oder daß iom Vorkunstflur ein kaltes Büffet aufgebaut ist. Denn dunkel mag sich der eine oder andere, seit nunmehr zwei Stunden auf dem Trockenen sitzende Salonist erinnern, daß bei gesellschaftlichen Veranstaltungen dieser Art im 18. und erst recht im 19. Jahrhundert eine Verköstigung inbegriffen war.

Als, zur Abrundung des Abends, gegen 24 Uhr der Tango -Spieler Klaus Gutjahr mit seiner Gruppe zum Bandoneon griff, nicht ohne von Sophia Hofmann für seine Anwesenheit bedankt worden zu sein: „Er hat so wenig Zeit, da er in seiner Fabriketage, wo er auch wohnt, Bandoneons am Fließband baut, um die argentinische Tango-Kultur nicht zugrunde gehen zu lassen...“, als nun dessen wirklich hörenswerte Tangoklänge den Salon und die angrenzenden Räume durchrucken, wird der Nahrungsfrage entschieden nachgegangen: Und siehe da, es ist tatsächlich ein Büffet aufgebaut worden. Sechs bis acht übrig gebliebene belegte Brote zeugen davon. Der Wein? Er ist auch noch nicht aus. Auf Nachfrage und gegen einen Unkostenbeitrag von 4 DM erhält man ihn in der ehemals hochherrschaftlichen Küche vom Personal, das durch rumorendes Geklapper kontinuierlich für die akustische Untermalung aller künstlerischen Darbietungen gesorgt hat.

Ein Glas in der Hand, rätselt man ergebnislos, was ein Berliner Salon 1990 wohl sein könnte. Neben welcher Öffentlichkeit will man welche Privatheit etablieren?

Am Ausgang des Salons steht eine junge Frau: „Sie sind mein Opfer“, sagt sie und überreicht ein Flugblatt. Es ist ein Gedicht und heißt „Leben auf dem Bahnhof“. Tina, die nichtprofessionelle Dichterin, möchte mit einem gereimten Werk darauf aufmerksam machen, daß sie unter der Telefon -Nummer 453 78 85 erreichbar ist und eine Wohnung sucht:

„Hab mich vom trauten Heim

vom Glück zu zwein

hinauskatapultiert

in des Lebens wilde Jagd querfeldein

geh ich, der Kompaß muß mir selber sei

ohne Ruhe, desorientiert

in welche Richtung will ich streben

es ist wie auf dem Bahnhof leben“.

Peter Blie