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■ D I E A N D E R E N
L'Humanite
Das französische KP-Organ zum Staatsvertrag:
Die berechtigten demokratischen Bestrebungen, die die deutsche Volksbewegung des vergangenen Herbstes zum Ausdruck brachte, haben merkantilen Gelüsten Platz gemacht. Unter den eisernen Hacken des Profits droht ein grausames Erwachen. Die Bedingungen, unter denen sich die deutsche Wiedervereinigung vollzieht, sind unannehmbar. Es ist ein Diktat, schlicht und einfach eine Annexion. Nicht mit Kanonen, gewiß, aber mit D-Mark. Frankreich hat vom neuen großen Deutschland, seinem erdrückenden industriellen und finanziellen Übergewicht, seinen politischen Ambitionen alles zu befürchten. Diese Befürchtungen sind umso fundierter, als uns die westeuropäische Integration, wie sie die Regierungen sehen, der germanischen Allmacht ausliefert.
Der Morgen
Zum selben Thema schreibt das Ostberliner Blatt:
Der Staatsvertrag ist über die Bühne. Der Beifall war überwältigend. Aber genau darauf richtet sich die Kritik derer, die nicht mitgeklatscht haben: sie fühlen sich überwältigt. Man kann ihnen abnehmen, daß sie eingesehen haben, der Schnellzug zur deutschen Vereinigung ist nicht mehr aufzuhalten; sich vor ihn auf die Schienen zu legen, wäre tödlich. Man könnte versucht sein, mit den Mehrheitsvoten in beiden Parlamenten und im Bonner Bundesrat alle Bedenken gegen diese und jene Punkte sowie gegen das Schnellzugstempo vom Tisch zu wischen und zur ohnehin problemreichen Tagesordnung überzugehen. Es war gut, daß die siegreichen Parlamentarier in ihren Debatten und in den Stunden danach weitgehend dieser Versuchung widerstanden haben.
Thüringer Allgemeine
Und die in Erfurt erscheinende Zeitung:
Verzögerungen des Inkrafttretens am Julianfang zu provozieren, hätte letztlich die Absicht des Einbaus von Verbesserungen ins Gegenteil verkehrt und den Raum für Ungewißheiten in der scheidenden DDR vergrößert. Welchen Weg sich die harte D-Mark durch die nur ungenügend gestählte Wirtschaft bahnt, läßt sich nicht sicher voraussehen. Und beim Verlust des Arbeitsplatzes böte die Losung vom „Ärmelhochkrempeln“ keinen Trost. Die Zunahme der Risiken aber allein dem für uns neuen Wirtschaftssystem anzulasten, hieße, die Tatsachen auf den Kopf stellen. Schließlich war die bisherige soziale Sicherheit zum Schluß nur noch eine auf Pump. Die ständig drohende Zahlungsunfähigkeit des Staates auf Grund einer verfehlten Wirtschaftspolitik hätte ohnehin bald ein jähes Erwachen beschert.
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