Perestroika für den KGB?

Die überaus offenen Worte von Ex-KGB-General Kalugin über Zustand und Zukunft des sowjetischen Geheimdienstes verärgern den Ex-Arbeitgeber  ■ I N T E R V I E W

Verärgert hat der sowjetische Geheimdienst KGB am Wochenende auf das Interview eines seiner ehemaligen hochrangigen Offiziere reagiert. Generalmajor Oleg Dmitrijewitsch Kalugin, bis 1987 stellvertretender Chef der Gegenspionage in Leningrad und langjähriger Mitarbeiter des sowjetischen Geheimdienstes in den USA, war in der letzten Woche von Journalisten - die Moskauer taz-Korrespondentin war ebenfalls dabei - über seine Tätigkeit und seine Ansichten bezüglich seines alten Arbeitgebers befragt worden. Kalugin erklärte klipp und klar, der Geheimdienst sei nicht in der Lage, sich an die neuen Bedingungen innerhalb der Sowjetgesellschaft anzupassen.

„Kalugins Persönlichkeit ist uns wohl bekannt“, hieß es dazu in der Stellungnahme des KGB. Schlimmer noch, seine jetzigen Verleumdungen hätten mit seinen Aktionen und seiner Haltung während seiner aktiven Zeit beim KGB zu tun. Scharf wies der KGB die Meinung Kalugins zurück, der KGB sei in kriminelle Handlungen verstrickt. Dies sei eine Verleumdung und beleidige die „berufliche Ehre und die menschliche Würde der Mitarbeiter des KGB“. Kein Zweifel könne daran bestehen, hieß es weiter, die spektakulären Äußerungen des - seit drei Monaten pensionierten - Kalugin hätten nur den Zweck, ihm eine politische Karriere zu eröffnen.

taz: Mischt sich der KGB immer noch in alles und jedes in der sowjetischen Gesellschaft ein?

Kalugin: Der KGB ist nach wie vor auf allen gesellschaftlichen Ebenen aktiv.

Es gibt Hinweise darauf, daß informelle Gruppen weiterhin vom KGB beobachtet werden. Was unternimmt der KGB gegen Organisationen wie die „Demokratische Plattform“ (eine Gruppe von Reformern - die Red.) in der KPdSU?

Er nimmt die informellen Gruppen nach wie vor sehr ernst, das können Sie mir glauben. Es handelt sich dabei um die übliche Anti-Dissidentenarbeit, Leitung von und Einflußnahme in politischen Organisationen, Diskreditierung ihrer politischen Aktivisten und schließlich ihre Zersetzung. Dies alles geschieht unter Anleitung des Politbüros, dessen Mitglieder sich ihr Leben lang mit nichts anderem beschäftigt haben.

Es gibt auch Vermutungen, daß selbst die Politbüromitglieder bespitzelt werden.

Nein, es besteht ein striktes Verbot, Daten über Nomenklatura-Mitglieder auf ZK-Ebene zu erheben, zu sammeln oder zu speichern.

Mit der Streikbewegung des letzten Jahres ist die Arbeiterbewegung in der UdSSR wieder aufgetaucht. Gibt es KGB-Agenten in der Arbeiterbewegung?

Diese Arbeit läuft von Workuta bis Donezk. Ziel ist, die Streik-Komitees zu neutralisieren und in Bezug auf das Regierungsprogramm einen Kompromiß zu erreichen.

Es gibt den Verdacht, daß auch unter den Führern nationaler Befreiungsbewegungen im Kaukasus KGB-Agenten sind, weil manche dieser Leute alles tun, um den ursprünglich demokratischen Ansatz dieser Organisationen zu diskreditieren.

Ich kann keine Namen nennen, aber natürlich sind auch diese Bewegungen infiltriert.

Worauf müssen sich ausländische Korrespondenten von Seiten des KGB gefaßt machen?

Auf dasselbe wie seitens des FBI in den USA. Man wird Sie wohl abhören und Ihren Freundeskreis durchdrungen haben. Aber muß ich das Ihnen erzählen?

Glauben Sie die Geschichte, die im letzten November kursierte und in der es hieß, Jelzin sei in den Moskwa-Fluß gefallen. War diese ganze Angelegenheit vom KGB inszeniert?

Ich habe dafür keinen direkten Beweis, aber ich habe den Verdacht, daß der KGB hier die Hände im Spiel hatte.

Man hört doch jetzt immer wieder von neuen Aufgabenstellungen des KGB. Um welche könnte es sich dabei handeln?

Ja, der KGB hat sich bis zu einem gewissen Grad in den Kampf gegen das organisierte Verbrechen eingeschaltet. Ja, KGB-Agenten haben mit der Miliz zusammen Schwarzbrenner ausgehoben und 254 Flaschen Wodka konfisziert. Sie erwerben sich in Leningrad und Moskau Verdienste im Kampf gegen die Prostitution. Aber, so frage ich mich, wo waren die Organe des KGB bei den anti-armenischen Ausschreitungen in Sumgait 1987, bei dem Massaker gegen Demonstranten im georgischen Tbilissi 1988, wo es um die Sicherheit des Staates und seiner Bürger im ganz direkten Sinne des Wortes ging? Und warum ist unsere Führung bei der Bewertung der Rolle des KGB dort so zurückhaltend?

Glauben Sie, daß der KGB bei den anti-armenischen Pogromen Anfang dieses Jahres in Baku aufgewiegelt hat?

Seine eigentliche Aufgabe besteht darin, alles und jedes abzuwiegeln.

Warum hat der KGB vor den Ereignissen in Baku oder Sumgait nicht entsprechend gewarnt?

Ich weiß es nicht. Ich kann nur annehmen, daß doch eine Warnung efolgt ist, daß aber die Partei-Oberen darauf nicht reagiert haben. Warum, weiß ich nicht, vielleicht haben sie sie nicht ernst genug genommen. Das ist wirklich schwer zu erklären.

Es hieß immer, der KGB sei eine relativ unbestechliche Organisation.

Richtig, abgesehen von den Räubern und Verbrechern unter den V-Leuten lag das Niveau der Bestechlichkeit dort auch immer relativ niedrig. Tatsache ist aber leider, daß der KGB in den letzten zehn, zwölf Jahren eine ganze Brigade von „Vaterlandsverrätern“ angeheuert hat - ich gebrauche diesen Terminus etwa so, wie es in allen zivilisierten Ländern Brauch ist. Das sind entweder Sowjetbürger, die im Ausland „Heimatverrat“ begingen, oder ausländische Bürger, die hier spioniert hatten. In der Geschichte der Tscheka-Organe hat es so etwas vorher nicht gegeben. Kann man das etwa nicht als Zerfallserscheinung bezeichnen? Es gibt so viele Leute in diesem Apparat, die weit entfernt von den Realitäten des Sowjetlebens sind. Ich kann mich selbst als Beispiel nehmen. Von 1958 bis 1970 lebte ich in den Vereinigten Staaten und kannte mein Land nur von Urlauben am Schwarzen Meer. Wenn man dazu noch 'Prawda‘ liest, gewinnt man wohl kaum ein realistisches Bild. Deshalb sind gerade jene, die im Ausland arbeiten, diejenigen, die sich gegen die Reform und Gorbatschow stellen. Diese Leute haben, ich betone nochmals, kein realistisches Bild von den Entwicklungen im eigenen Land selbst. Die Leute, die im Lande selbst arbeiten, sind immerhin dem Einfluß der hiesigen demokratischen Kräfte ausgesetzt.

Welche Arbeit war für Sie die interessanteste im KGB?

Die Arbeit in den USA - zunächst als Journalist, dann als Diplomat. Danach kam die Zeit in Leningrad. Ich war in Moskau schon General, so daß es mir keinerlei finanziellen Gewinn brachte, aber es hat meinen Horizont in Bezug auf das Land erweitert.

Wie hoch war Ihr Gehalt zuletzt in Leningrad?

850 Rubel.

Welche Vorschläge hätten Sie zur Reform des KGB?

Die Ablösung des Chefs (Krjutschkow, der sich als erster KGB-Chef der Presse gestellt hatte - die Red.), von dem ich weiß, daß er ziemlich „parteilich“ ist, sowie die Entpolitisierung der Organisation und ihre Unterstellung unter die Sowjetmacht. Und Kürzung seiner Mittel um 50 Prozent. Verzicht auf bezahlte V-Leute. Abschaffung des Abhörsystems und Umgestaltung der auf das Ausland gerichteten Desinformationsabteilung. Zu guter Letzt die Vernichtung des - durchaus vorhandenen - Potentials zur Zerstörung der Gesundheit und des Lebens sowjetischer Bürger.

Wäre es dann nicht besser, den KGB durch eine völlig andere Organisation zu ersetzen?

Das wäre besser. Der KGB hat zu viel politische Macht. Die Bürger würden dadurch Sicherheit gewinnen.

Wer kann ihm diese Macht nehmen?

Der Oberste Sowjet.

Fühlen Sie sich persönlich bedroht?

Im Moment nicht.

Gibt es Ihnen Sicherheit, mit uns zu sprechen?

Publicity ist immer ein Selbstschutz.

Interview: Barbara Kerneck