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Briten wollen Sowjets Schlange stehen lassen

■ Differenzen auf der EG-Gipfelkonferenz über Milliardenhilfe für Moskau / Ziel einer gesamteuropäischen Wirtschafts- und Währungsunion rückt immer näher

Dublin (dpa) - Die EG-Staats- und Regierungschefs haben am Montag die Weichen für eine umfassende politische und wirtschaftliche Reform der Gemeinschaft gestellt. Ziel ist die Schaffung einer politischen Union der EG-Staaten sowie einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion mit einer gemeinsamen Zentralbank. Die vertraglichen Grundlagen dafür sollen zwei Regierungskonferenzen bis Ende 1992 ausarbeiten. Meinungsverschiedenheiten zeichneten sich in Dublin jedoch über umfassende westliche Wirtschaftshilfen an die Sowjetunion ab. Kohl und und Frankreichs Staatschef Francois Mitterrand hatten im Vorfeld der Gipfelkonferenz die Auffassung vertreten, daß der UdSSR rasch geholfen werden müsse. Großbritannien bestritt dagegen die Dringlichkeit. „In der Sowjetunion herrscht kein Hunger“, betonten britische Diplomaten auf der Gipfelkonferenz. Die Sowjetbürger müßten „ein wenig Schlange stehen“, aber sie fänden alles Lebensnotwendige. Zuerst müsse festgestellt werden, welche Art von Hilfen die Sowjetunion überhaupt benötige. Nach Angaben aus informierten Kreisen will die EG in jedem Fall Finanzhilfen an Moskau nur dann unterstützen, wenn die UdSSR die Nato-Mitgliedschaft eines vereinten Deutschlands akzeptiert. Zum ersten Mal war DDR -Regierungschef Lothar de Maiziere auf einem EG -Gipfeltreffen. Er nahm zwar nicht an den offiziellen Beratungen, aber am informellen Mittagessen teil, das der irische Staatspräsident Patrick Hillery zu Ehren der Gipfelrunde im alten Schloß von Dublin gab. In einer Rede plädierte de Maiziere für die Einbeziehung der osteuropäischen Staaten in den europäischen Einigungsprozeß. Die deutsche Einigung darf nach seiner Ansicht nicht auf Kosten der europäischen Einigung erreicht werden. Der DDR -Ministerpräsident bedankte sich für das Entgegenkommen der EG gegenüber der DDR. Es dürfe kein deutsches Europa sondern nur ein europäisches Deutschland geben. In der Frage der politischen Union ließen die Staats- und Regierungschefs offen, was sie sich im Detail darunter vorstellen. Sie verabschiedeten einen bewußt allgemein gehaltenen Bericht, wonach die künftige Rolle der EG-Institutionen überprüft werden soll. Dazu gehört ein effektiveres Abstimmungsverfahren im EG-Ministerrat, eine Stärkung des Europa-Parlaments und der EG-Kommission sowie die Schaffung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Die britische Premierministerin Margaret Thatcher legte einen grundsätzlichen Vorbehalt gegen das Ziel einer Union ein. Ihr geht es darum, die Souveränität der einzelnen EG-Staaten zu bewahren.

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