Ein Geistesblitz stürzt die Brasilianer

■ Nach ihrem ausgesprochen glücklichen 1:0 gegen Brasilien liebäugelt Argentinien mit der Titelverteidigung

Turin (dpa) - „Wir sind noch nicht tot. Argentinien ist lebendig und bleibt gefährlich.“ Diego Maradonas Augen bekamen den Glanz wieder, den sein Spiel vor 61.381 Zuschauern in Turin weitgehend vermissen ließ. Genugtuung und Stolz sprachen aus seinen Worten, als er mit dem bunten Stirnband am Kopf Rede und Antwort stand. Aber auch Einsicht: „Der Glücklichere hat gewonnen. Es tut mit leid für Brasilien.“ Ein Geistesblitz von ihm hatte genügt. In der 81. Minute erhielt der bis dahin enttäuschende und immer wieder gnadenlos ausgepfiffene Dribbel-König den Ball, ließ Alemao und Dunga nacheinander aussteigen und setzte mit einem Traumpaß Caniggia in Szene. „Wenn wir den eine Sekunde aus den Augen lassen, kann er das Match entscheiden“, hatte Alemao bereits vor dem Spiel prophezeit, und der wenig später vom Platz gestellte Libero Mauro Galvao machte sich durch den Satz unbeliebt: „Man hätte Maradona bei seiner Aktion ohne Komplimente umhauen sollen.“

Der südamerikanische Gipfel war bis zum Tor der Argentinier eine Demonstration der brasilianischen Fußball-Kunst. Wie die Feuerwehr legten die Mannen vom Zuckerhut los. Bereits nach 58 Sekunden sorgte der wieselflinke Superstürmer Careca mit einem herrlichen Solo vor dem gegnerischen Tor für Aufregung und Schrecken. Dies sollte nur der Auftakt sein von einer Serie von Chancen, bei denen den Argentiniern immer wieder das Glück zur Seite stand: Dunga (19.) köpfte an den Pfosten, und in der 52. Minute lenkte Schlußmann Goicoechea eine Careca-Flanke an die eigene Torlatte. „Wir hatten so viele Chancen und die Argentinier nur eine“, klagte ein restlos enttäuschter Trainer Lazaroni nach fast 90minütigem „Einbahnstraßen-Fußball“ und war sich zum erstenmal mit seinem Kritiker Pele einig: „Die Brasilianer zeigten ihr stärkstes WM-Spiel, aber sie haben ihre Überlegenheit nicht in Tore umgemünzt.“

Als das Tor fiel, verstummten in Turin und in der brasilianischen Heimat fast gleichzeitig die Samba-Trommeln. Hemmungslos weinten die „Torceidores“ auf der Tribüne des Stadion „Delle Alpi“. „Das ist Fußball. Manchmal aber macht er uns ganz traurig, so wie heute nach dieser unglücklichen Niederlage“, erklärte Sebastiao Lazaroni. Dafür war in Argentinien die Hölle los: Konfetti regnete es auf den Straßen von Buenos Aires, das unter dem ohrenbetäubenden Hupkonzert der Autofahrer erzitterte.

Argentinien trifft nun im Viertelfinale am 30. Juni in Florenz auf den Sieger Spanien-Jugoslawien. Im Halbfinale könnte es dann zum Zweikampf mit Gastgeber Italien kommen. „Ich habe Fortschritte gesehen, aber meine Spieler haben nur 50 Prozent ihres Leistungsvermögens gezeigt. Doch wir können wieder Weltmeister werden, davon bin ich überzeugt“, meinte Coach Bilardo. Für Diego Maradona gibt es keinen WM -Favoriten - weder Deutschland noch Italien. „Man hat hier gesehen, und Brasilien hat es bewiesen, daß Favoriten selten oder nie gewinnen.“ Für sich und sein immer wieder von Verletzungspech verfolgtes Team nahm Maradona für den weiteren WM-Verlauf wieder einmal höhere Mächte in Anspruch. „Ich bete zu Gott und zu den Mannschaftsärzten, daß sie uns helfen.“

Brasilien: Taffarel - Mauro Galvao (84. (Renato) - Ricardo Gomes, Ricardo Rocha - Jorginho, Dunga, Alemao (84. Silas), Valdo, Branco - Muller, Careca

Argentinien: Goicoechea - Simon - Alfredo, Monzon Basualdo, Olarticoechea, Giusti, Troglio (62. Calderon), Burruchaga - Caniggia, Maradona

Zuschauer: 61.381

Tor: 0:1 Caniggia (81.)