piwik no script img

„Jetzt sind wir Kupongeldkapitalisten!“

■ Die Währungsreform im Juni 1948 in Berlin / Ost-Mark, West-Mark, Zigaretten-Mark - drei Währungen zu Beginn der Blockade und die Bevölkerung wurde zu Mathematik-Akrobaten / Kirschtörtchen im Westen und Rosinenbomber für die „Frontstadt“

Geschichtsbücher nennen es den Beginn des Kalten Krieges. Zwei Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges war die Große Koalition gegen das nationalsozialistische Deutschland nur mehr eine Farce. Eine Machtfrage: Nach der Verabschiedung des Marshallplans 1947 - dem amerikanischen Wiederaufbauprogramm für Europa - planten die Westalliierten für ihre Besatzungszonen eine gemeinsame Verwaltung einzusetzen. Um dem wirtschaftlichen Aufbau das entsprechende Fundament zu geben, war vor allem eines notwendig -, die Einführung einer neuen Währung. Spätestens seit dem Frühjahr 1948 verdichtete sich das Gerücht zur Gewißheit: Die West-Alliierten wollten die Reichsmark auch ohne Zustimmung und Beteiligung der Sowjets durchsetzen. Und - Berlin war auf Grund seiner wenigstens noch formal bestehenden Vier-Mächte-Verwaltung ebenfalls tabu.

„Berlin, 1.Juni 1948: Die Preise ziehen wieder an. Vom Schwarzmarkt verschwindet eine Mangelware nach der anderen. Es scheint endgültig ernst zu werden mit der Währungsreform. Abwertung 10:1 ... Die Russen machen mit ... Die Russen machen nicht mit ... Berlin wird in die Ostwährung einbezogen ... Berlin erhält eine Sonderwährung ... Wir können uns aussuchen, auf welche Lösung wir uns einrichten wollen.“

Doch bevor man der „allierten Lösung“ harrt, setzt in Berlin ein unbeschreibliches Kauffieber ein. Jeder Reichsmarkschein brennt auf der Hand, das Spiel der Stunde heißt „Reichsmark anlegen“. Die Preise klettern stündlich, aus den Schaufenstern verschwinden die letzten Ladenhüter und Dekorationsstücke. Das Pfund Kaffee zu 1.200 Reichsmark, Ersparnisse aus drei Arbeitsjahren, die Lucky Strike zu 50 Mark. Die Schwarzmarktbarone zünden sich ihre Chesterfield mit 100-Mark-Scheinen an. Daß die Lösung auch für Berlin West-„Deutsche Mark“ hieß, schien den zweieinhalb Millionen der Westsektoren in den Juni-Tagen des Jahres 1948 alles andere als klar zu sein. Zu verwirrend war die Nachrichtenlage: Als die Westmächte am 18.Juni für die Westzonen eine Währungsreform ankündigten, war wiederum keine Rede von der Teilhabe Berlins an dem neuen Geldrausch. Obwohl mit dem Auszug der Sowjets aus dem Alliierten Kontrollrat am 16. Juni die Vier-Mächte-Verwaltung Berlins faktisch beendet war, pochten die West-Alliierten auf dem Vier-Mächte-Status der Stadt, wenn eine Währungsreform, dann in allen vier Sektoren. Das Monopoly beginnt: Am 20.Juni 0.00 Uhr tritt die „Deutsche Mark“, druckfrisch aus amerikanischen Notenpressen, ihren Siegeszug in den Westzonen an. 40 DM Kopfgeld gegen Vorlage der Lebensmittelkarte, Abwertung der aller Bank-und Sparguthaben auf 6,5 Prozent ihres Wertes.

„'Was nun?‘ fragen sich alle Berliner an diesem Sonntag der westlichen Währungsreform. Im Westen essen sie jetzt Kirschtörtchen! Die Spannung der letzten Tage ist jäh in ein Vakuum abgesackt. Ganz Berlin hat sich am Thema Währungsreform endgültig den Magen verdorben. Katerstimmung liegt in der Luft. Man fühlt sich bestellt und nicht abgeholt.“

Am 22. Juni versuchen die vier SWiegermächte ein letztes Mal halbherzig, sich über eine Bärenmark für Gesamt-Berlin zu verständigen. Ohne Erfolg, am 23. Juni verkündet die sowjetische Militärregierung mit dem Befehl Nr. 111 für die sowjetische Besatzungszone und Gesamt-Berlin eine eigene Währungsreform an, Kopfgeld 60 Mark. Der „Deutsche Rubel“ als Aufkleber: Mangels dünner Scheine werden die alten Reichsmark mit einem Kupon beklebt. „Der Kuponrubel wird nicht rollen, sondern kleben. Eine klebrige Währungsreform hoffentlich hält der Leim, auf den man da gegangen ist“, mokiert sich der 'Tagesspiegel‘. Die Antwort der West -Alliierten läßt nicht lange auf sich warten. Als „null und nichtig“ bezeichnen die West-Kommandanten die Ost-Mark und beschließen noch am selben Tag die Einführung der West-Mark in ihren Sektoren. Die Verwirrung ist perfekt. Vier Sektoren, drei Währungen. Die Ost-Mark gilt im Westen, aber die West-Mark nicht im Osten. Die Wechselkurse gleichen einer Fieberkurve. 26. Juni: 8:1 für Westgeld morgens, 18:1 der Kurs am nachmittag. Am 27.Juni: Kurs der „Tapetenmark“ 30:1 zu gunsten des „guten Geldes“. Die Berliner werden zu „Mathematik-Akrobaten“: „Streichhölzer gegen West-Mark, Zwiebeln halb Ost und halb West. Rosinenzuteilung, Westgeld. Dekadenzucker, Ostgeld. Schnittlauch, halbe-halbe. Seife, Ostwährung, Einweichmittel, Westwährung“.

„Am Bahnhof Zoo und Ecke Potsdamer-Kurfürstenstraße, der früheren Schwarzmarktzentrale für Weißbrot und Brötchen, handelt man bereits ganze Bogen Kuponmarken gegen Reichsmark mit 50prozentigem Aufschlag. Die Tausender springen aus den Taschen. Jeder sein eigener Neugeldfabrikant. Zehn Schritt aus der Menge - und hinter der nächsten Ruinenwand beklebt man sich selbst den Rest seiner Reichsmarkhabe. Lecken -kleben, lecken-kleben. Als Kupongeldkapitalist entsteigt man den Trümmer. Achtung Razzia!“

Während der Tauschaktionen und dem Schlangestehen an den Wechselstuben landet über den Köpfen der Berliner bereits alle acht Minuten ein „Rosinenbomber“. Als Reaktion auf die westliche Währungsreform - dem endgültigen Startschuß für die Westintegration der künftigen Bundesrepublik blockieren die Sowjets alle Land- und Wasserwege nach Berlin. In der Nacht zum 24.Juni stellt die sowjetische Militärverwaltung „wegen technischer Störungen“ den Eisenbahnverkehr zwischen Berlin und Helmstedt ein. Am 26.Juni wird die Luftbrücke in die „Frontstadt des Kalten Krieges“ eingerichtet.

„27.Juni: Der Lautsprecherwagen des RIAS fährt durch die Straßen: Weitere Verstärkung der Luftbrücke auf 100 Flugzeuge täglich. Das Baden in freien Gewässer verboten, da infolge Stromsperren eine Verunreinigung der Gewässer zu befürchten ist. Weitere Verhaftungen im Ostsektor von Inhabern Deutscher Mark. Kurs des Tapetengeldes zugunsten der Westmark gestiegen... Es ist eine Nervenfrage.“

Susanne Götz

Alle Zitate aus: Ruth Andreas-Friedrich, Schauplatz Berlin, Tagebuchaufzeichnungen 1945-1948, erschienen im Suhrkamp Verlag 1948.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen