: „Der sinnlose Krieg bringt uns nur Zerstörung und Elend“
Mit dem afghanischen Präsidenten Mohammed Nadschibullah sprach Mostafa Danesch in Kabul ■ I N T E R V I E W
Herr Präsident, Sie sind selbst in der Demokratischen Volkspartei Afghanistans nicht unumstritten. Vor einigen Wochen hat Ihr eigener Verteidigungsminister, Schahnawas Tanai von der Chalq-Fraktion der Volkspartei, versucht, Sie zu stürzen.
Nadschibullah: Der Staatsstreich war ein Versuch, die Politik der nationalen Aussöhnung zu vereiteln, er wurde unter Führung des pakistanischen Militärs organisiert.
Warum geben Sie nicht zu, daß dieser Staatsstreich von Kräften innerhalb Ihrer eigenen Partei organisiert wurde? Die Chalq-Fraktion ist doch gegen die Politik der nationalen Aussöhnung. Mitglieder dieser Fraktion sind noch mächtig. Wie wollen Sie ähnliche Aktionen in Zukunft verhindern?
Der gescheiterte Staatsstreich hatte keinerlei politischen Hintergrund innerhalb der Partei. Ich möchte betonen, daß die alten Differenzen zwischen Chalq und Partscham nicht mehr existieren, sie gehören der Geschichte an. Es ist möglich, daß die gegenwärtige Politik unserer Partei den Vorstellungen einiger weniger Mitglieder nicht entspricht. Aber alle unsere Kräfte sind vereint. Wir arbeiten in Harmonie für die Politik der nationalen Aussöhnung, für die Beendigung des Krieges und für den Wiederaufbau des Landes.
Militärisch haben Sie sich behaupten können. Das Land konnten Sie dennoch nicht befrieden. Die Mudschaheddin wollen Sie weiterhin aus dem Amt jagen. Bis dahin wird also der Brudermord unter den Afghanen weitergehen. Sind Sie bereit, für den Frieden auf Ihr Amt zu verzichten?
Die Vergangenheit hat gezeigt, daß man den Konflikt militärisch nicht lösen kann. Ich bin der Meinung, daß man dies nur durch Gespräche und Verhandlungen tun kann. Man darf jedoch nicht vor dem Beginn von Verhandlungen bereits Bedingungen stellen. Die verschiedenen Kräfte sollten sich zusammenfinden, der Dialog sollte beginnen, die Einmischung vom Ausland sollte aufhören. Nur unter solchen Bedingungen kann ein dauerhafter Frieden erreicht werden.
Zahir, der ehemalige Schah, ist bereit, zurückzukommen, um einen Friedensschluß zu vermitteln. Allerdings nur unter der Voraussetzung, daß Sie abdanken. Sind Sie dazu bereit?
Nicht nur der Ex-Schah, sondern jeder Patriot sollte für die Beendigung des Krieges arbeiten. Der sinnlose Krieg bringt uns nur Zerstörung und Elend.
Sie haben vor kurzem eine politische Wende verkündet. Sind Sie auch bereit, das Machtmonopol der Demokratischen Volkspartei Afghanistans aufzugeben?
1987 haben wir eine neue Verfassung verabschiedet. Auch ein Gesetz zur Gründung verschiedener politischer Parteien wurde damals angenommen. Seither existiert bei uns ein pluralistisches System. Nach 15 Jahren begann das Parlament 1987 wieder aktiv politisch zu arbeiten. Die Demokratische Volkspartei Afghanistans hat also schon damals das Machtmonopol aufgegeben. Heute sind neben unserer noch neun weitere Parteien aktiv.
Die Politik Ihrer Partei haben sie mit einer national -islamischen Orientierung umschrieben. Was heißt das? Kehren Sie dem Sozialismus den Rücken?
Unsere Partei hat in der Vergangenheit niemals sozialistische oder kommunistische Ziele verfolgt. Wir sind aus der Mitte unseres moslemischen Volkes hervorgetreten. Wir achten die nationalen islamischen Traditionen unseres Volkes. Wir respektieren den Glauben unseres Volkes.
Sie stellen freie Wahlen in Aussicht. Wie soll Afghanistan Ihrer Meinung nach aussehen? Sollte es eine islamische Republik, eine parlamentarische Demokratie oder gar eine Monarchie sein?
In der Republik Afghanistan ist das Volk der einzige Souverän. Die Loya Jirga (eine Art Große Nationalversammlung mit den Stammesältesten; d.Red.) und die Nationalversammlung sind jene Organe, mittels derer das Volk seine Herrschaft ausübt.
Was bringt aber die Loya Jirga, wenn es die Mudschaheddin ablehnen, daran teilzunehmen?
Die gegenwärtige Verfassung wurde vor drei Jahren in der Loya Jirga angenommen. In den vergangenen drei Jahren haben große Veränderungen sowohl im Land als auch international in bezug auf die Abrüstung und die Herabsetzung der Kriegsgefahr stattgefunden. Durch die Revision unserer Verfassung wollen wir sie den gegenwärtigen Zuständen und Bedingungen anpassen.
Trotz ihrer angekündigten Wende unterstützen die USA weiterhin die Mudschaheddin politisch und militärisch. Wie wollen Sie eine Änderung der amerikanischen Politik erreichen?
Wir sind nicht alleine. Selbst in den USA versuchen viele gesellschaftliche und kulturelle Gruppen - unter anderem im Parlament -, die US-Regierung gegenüber Afghanistan ändern sollte. Sie fordern die US-Regierung auf, ihre Politik den Tatsachen in Afghanistan und in der Region anzupassen.
Die US-Regierung ist für freie Wahlen unter UNO-Aufsicht, fordert von Ihnen jedoch, daß Sie abdanken.
Die Regierung der Republik Afghanistan hat schon immer auf die Abhaltung freier Wahlen in Afghanistan bestanden, aber auch betont, daß daran keinerlei Bedingungen geknüpft werden dürfen. Die USA sollen endlich aufhören, uns zu diktieren, wer oder welche Gruppe die politische Szene in Afghanistan verlassen oder bestimmen soll. Die Bevölkerung Afghanistans soll über ihre Zukunft selbst und in freien Wahlen bestimmen.
Die bewaffneten Auseinandersetzungen unter den Mudschaheddin-Gruppen nehmen ständig zu. Haben Sie versucht, sich mit den gemäßigten Gruppen zu arrangieren?
In der Tat haben die bewaffneten Feindseligkeiten unter den bewaffneten Gruppen große Dimensionen angenommen. Diese Feindseligkeiten haben die regionalen und internationalen Gönner dieser Gruppen verzweifeln lassen. Wir haben sowohl mit vielen Kommandanten im Lande als auch mit vielen Persönlichkeiten im In- und Ausland Kontakt aufgenommen. Zwei Drittel der Kommandanten haben mit uns bereits Vereinbarungen getroffen und den Krieg gegen uns beendet. Mit den anderen reden wir noch.
Afghanistan ist heute ein riesiges Waffenlager. Wer macht den ersten Schritt zur Zerstörung dieser Waffen?
Wir haben immer wieder vorgeschlagen, diese Waffen einzusammeln und sie an die Ursprungsländer zurückzugeben. Dazu ist jedoch eine internationale Zusammenarbeit nötig.
Mehr als fünf Millionen Afghanen sind vor dem Krieg geflüchtet. Wie wollen Sie diese Menschen zurückholen?
Wir haben die notwendigen Maßnahmen ergriffen und ein eigenes Ministerum eingerichtet.
Ihre Regierung ist finanziell nicht in der Lage, die gewaltigen Summen aufzubringen, die für die Rückkehr der Flüchtlinge notwendig sind. Wer hat Ihnen bisher Hilfe zugesagt?
Wir brauchen internationale Hilfe. Wir sind jedoch sicher, daß der UNO-Generalsekretär und der UNO-Koordinator des afghanischen Hilfsprogramms, Prinz Agha Khan, alles tun werden, um alle Länder zu bewegen, uns zu helfen.
Wie sehen derzeit die Beziehungen zwischen Afghanistan und Pakistan aus?
Die Beziehungen haben sich nicht geändert. Mit der Machtergreifung der gewählten Regierung Bhutto hofften wir auf eine Verbesserung der Beziehungen.
Bei dem vor kurzem in Teheran stattgefundenen Treffen zwischen der pakistanischen Ministerpräsidentin Bhutto und dem iranischen Präsidenten Rafsandschani haben beide Seiten Wahlen in Afghanistan begrüßt.
Man kann diese Einigung auf Wahlen tatsächlich als den Beginn einer neuen wichtigen Phase bezeichnen. Aber mündliche Vereinbarungen alleine reichen nicht aus. Praktische Schritte müssen folgen, um den Friedensprozeß voranzutreiben.
Einige westliche Länder wie Frankreich, Italien und Japan wollen ihre diplomatischen Missionen in Kabul wieder öffnen. Haben Sie jemals versucht, die anderen westlichen Länder zu diesem Schritt zu bewegen?
Wir sehen keine Hindernisse auf dem Weg zur Verbesserung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen mit den westlichen Ländern.
Gekürzt aus 'Profil‘ Nr.24/1990
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