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Mit den Sozialwissenschaften gegen Aids

Prof. Dr. Meinrad Koch, Leiter des deutschen Aids-Zentrums, zu den Ergebnissen der Aids-Konferenz in San Francisco  ■ I N T E R V I E W

Am Sonntag ging in San Francisco die sechste Internationale Aids-Konferenz zu Ende. In einem Interview faßt Prof. Dr. Meinrad Koch (60) seine Eindrücke der Tagung zusammen. Koch ist Mediziner und Virologe; seit 1981 war er Chef der Arbeitsgruppe Aids am Robert-Koch-Institut in Berlin (West) und leitet seit 1987 das neu eingerichtete Aids-Zentrum des Bundesgesundheitsamtes.

taz: Während wir hier sprechen, redet der Konferenzvorsitzende Paul Volberdung gerade auf dem HIV/Aids -Marsch - ein Zeichen für die Politisierung der Konferenz. Was halten Sie von dieser Entwicklung?

Meinrad Koch: Dieser Marsch ist nur verständlich, wenn man das amerikanische Gesundheitssystem mit seiner Unterversorgung kennt. So etwas wäre meines Erachtens in der Bundesrepublik in dieser Form gar nicht denkbar. Mich stört, daß jene Menschen, die als nächste von der Aids-Epidemie betroffen sein werden - Drogengebraucher, die Armen, die Slum-Bewohner, die Menschen der Dritten Welt -, auf dieser Konferenz gar nicht vertreten sind und kaum eine Stimme haben. Vertreten sind viele homosexuelle Männer, die zuerst von Aids betroffen waren und hier Forderungen zum Zugang zu Therapien stellen, die ich teilweise überzogen finde. Prävention kommt auf dieser Konferenz zu kurz.

Nun haben hier in San Francisco Menschen mit Aids ihre Stimmen massiv erhoben und ihre Einbeziehung in den Forschungsprozeß gefordert. Gibt dies eine Perspektive für die Diskussion in der Bundesrepublik?

Ich stehe diesen Forderungen bisher ein wenig hilflos gegenüber. Es wäre natürlich wunderbar, wenn die klinische Erprobung neuer Substanzen eingebettet in die Gruppe der Betroffenen laufen könnte. Die Erpobungen müssen aber weiterhin nach strengen und wissenschaftlich fundierten Protokollen laufen. Bis heute kann doch niemand zuverlässig sagen, ob Medikamente wie AZT oder DDI wirklich einen Effekt haben. Und wenn eine Einbeziehung der Patienten stattfindet: müssen wir dann nicht etwa gegenüber Krebspatienten dieselben Rechte einräumen? Dieser Ruf nach Beteiligung enthält auch den Vorwurf, die Experten würden es nicht richtig machen. Das vergiftet die Atmosphäre.

Welches sind aus ihrer Sicht die wesentlichen Ergebnisse dieser Konferenz?

Bei der medikamentösen Behandlung von Aids und der HIV -Infektion habe ich keine entscheidenden Fortschritte wahrgenommen. Das ist eine Katastrophe. Um so größere Bedeutung hatte die Sozialwissenschaft. Aids und seine Dynamik sind ohne die sozialen Bedingungen nicht denkbar. Und über die wissen wir immer noch viel zu wenig - zum Beispiel über das sexuelle Verhalten. Bei der Prävention hat sich gezeigt, daß wir von der Aids-Aufklärung, die jede Oma erreichen möchte, wegmüssen. Diese Oma ist nicht sonderlich von Aids gefährdet. Das Risiko hat viel eher mein 25jähriger schwuler Neffe. Wir müssen endlich den Stier bei den Hörnern packen und zielgruppenspezifische Kampagnen unterstützen. Ein weiteres Problem ist die Finanzierung der Prävention in der Dritten Welt. Hier müssen die Länder der „Ersten Welt“ den Entwicklungsländern unter die Arme greifen, und sie dürfen dabei nicht einfach ihre Modelle exportieren, sondern müssen die sozialen Strukturen in diesen Ländern beachten.

Interview: asa

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