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Konfusion um die Politische Union

■ Am Dienstag beendeten die Staats- und Regierungschefs der EG ihre zweitägigen Beratungen in Dublin

Die EG-Staaten haben sich nicht auf eine einheitliche Haltung in der Frage einer Finanzspritze für die UdSSR einigen können. Margaret Thatcher bezeichnete die geplante Hilfe als „vergeudetes Geld“, solange die UdSSR keine Reformen einleite. Am Montag hatten sich die Mitgliedsstaaten auf Regierungskonferenzen zur Errichtung von Währungsunion und Politischer Union geeinigt. Kontroversen dürfte die Debatte über die mögliche Verlegung des Europaparlaments und die Demokratiedefizite der EG -Institutionen ausgelöst haben.

Der Poddle war schon vor hundert Jahren der dreckigste von Dublins 50 Flüssen, die zum Teil unterirdisch verlaufen. So wurde er in das Abwassersystem der irischen Hauptstadt einbezogen, das wie ein Netz mit mehr als 150 Kilometern Länge unter der Innenstadt liegt. Das Tunnelgewirr aus dem 18. Jahrhundert ist begehbar und über die Einstiegslöcher in den Gärten vieler Privathäuser leicht zu erreichen - ein Alptraum für die irische Polizei. Der Poddle fließt nämlich genau unter dem Dubliner Schloß, wo in den vergangenen zwei Tagen die Gipfelkonferenz der Europäischen Gemeinschaft über die Bühne ging. So waren Polizei und Armee nicht nur auf den Straßen, im Hafen und in der Luft im Einsatz, sondern auch im Untergrund.

Die britische Premierministerin Margaret Thatcher verhinderte am Montag beim wichtigsten Tagungsordnungspunkt, der Wirtschaftshilfe an die Sowjetunion, eine konkrete Entscheidung über eine westliche Finanzspritze für das gebeutelte Land Michail Gorbatschows. Der französische Präsident Fran?ois Mitterrand hatte beim Abendessen - zu dem Thatcher als „besonders gefährdete Person“ per Hubschrauber transportiert wurde - vorgeschlagen, dem sowjetischen Staatschef Gorbatschow mit einer Wirtschaftshilfe von 15 Milliarden Dollar unter die Arme zu greifen. Dänemark und vor allem Großbritannien erhoben jedoch Einspruch. Thatcher sagte, das Geld sei „vergeudet“, solange die UdSSR keine umfassenden Reformen einleite und sich zur freien Marktwirtschaft bekenne.

DDR-Regierungschef Lothar de Maiziere stimmte ihr in diesem Punkt zu. Thatcher spielte die Probleme in der UdSSR herunter: „Man muß vielleicht ein bißchen anstehen, aber verhungern muß niemand“, sagte sie. So beschlossen die EG -Staaten lediglich, bis Oktober die Möglichkeiten für eine Wirtschaftshilfe zu untersuchen und einen Bericht über die wirtschaftliche Lage in der UdSSR zu erstellen.

Das Thema wird auf dem Weltwirtschaftsgipfel vom 9. bis 11. Juli in Houston/Texas erneut zur Sprache kommen. Dann sollen auch die USA und Japan zur Beteiligung am „Marshall-Plan“ überredet werden. Bundeskanzler Kohl hatte betont, daß die Finanzhilfe mit keinerlei Bedingungen verknüpft werden soll. Dagegen wurde am Montag bekannt, daß der bundesdeutsche 5 -Milliarden-Kredit sehr wohl von Gegenleistungen abhänge. Kohl hatte in einem Brief an seine EG-Kollegen erklärt, daß er ein „konstruktives Herangehen der Sowjetunion an die offenen Fragen auf dem Weg zur deutschen Einheit“ -insbesondere die Nato -Mitgliedschaft eines geeinten Deutschlands- erwarte.

Europäische Deutsche

De Maiziere und sein Außenminister Markus Meckel durften am Montag an dem gemeinsamen Mittagessen teilnehmen. Beide verwahrten sich jedoch gegen gehässige Behauptungen, daß sie am „Katzentisch“ sitzen mußten. De Maiziere sagte, es sei „eine große Ehre“, daß er als erstes Nicht-EG-Mitglied an einem Gipfel teilnehmen könne. Er hob besonders sein Gespräch mit dem spanischen Regierungschef Felipe Gonzales hervor. Er habe mit ihm über Fragen des Übergangs von der Diktatur zur Demokratie gesprochen, insbesondere über die spanischen Erfahrungen mit einem Amnestiegesetz. De Maiziere zitierte in einem Interview Thomas Mann: „Die Deutschen wollen europäische Deutsche und deutsche Europäer sein.“

Dasselbe Zitat benutzte Kohl am Nachmittag, als er seinen Kollegen über die neuesten Entwicklungen der deutschen Einigung berichtete. Auch Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher hatte das Zitat bereits Anfang des Jahres für sich entdeckt.

Der Kanzler verglich die Lage in der DDR mit dem „Aufbau 1948“. Er sagte, die DDR habe soviele Einwohner wie Nordrhein-Westfalen, aber eine Wirtschaftskraft wie Hessen. Dennoch sei er zuversichtlich: „Die Menschen in der DDR verstehen es, genauso hart zu arbeiten wie wir. Doch ein lächerliches System hat sie bisher daran gehindert, ihre Kräfte zu entfalten.“ DDR-Bürger, die die letzten beiden freien Wahlen - nämlich 1932 und 1990 - miterlebt haben, wären jetzt mindestens 79 Jahre alt, sagte Kohl. Er wiederholte, daß „die Wahlen zu einem gesamtdeutschen Parlament“ im Dezember stattfinden werden. Das könne heißen, daß nach einem getrennten Modus gewählt werde.

Die auf dem Dubliner Sondergipfel im April von Kohl und Mitterrand unter großem Mediengetöse vorgeschlagene politische Union mit gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik ist keinen Schritt vorangekommen. Der Inhalt dieser Union ist seitdem immer unklarer geworden. Die britische Regierung, die von Anfang an gegen jeglichen Abbau nationaler Souveränität war, nutzte die Konfusion weidlich aus. Pressesprecher Bernard Ingham bezeichnete die ambitionierte deutsch-französische Idee von einer politischen Union als „heiße Luft“, die mit der Zeit im „Mülleimer der Geschichte“ landen würde. Die britischen Vorstellungen, die lediglich geringe institutionelle Veränderungen vorsehen, würden dagegen überdauern. So beschloß der Gipfel zwar die Einberufung einer zweiten Regierungskonferenz, die einen Tag nach der Konferenz zur Wirtschafts- und Währungsunion am 13. Dezember beginnen soll, doch inhaltlich blieb alles offen.

Der irische Premierminister Charles Haughey, der seinen EG -Vorsitz ursprünglich als „grüne Präsidentschaft“ deklariert hatte, bevor die Ereignisse in Osteuropa das Thema verdrängten, legte eine achtseitige „Erklärung zur Umwelt“ vor. Das Papier geht über Allgemeinplätze jedoch nicht hinaus und ignoriert die Umweltprobleme in Osteuropa weitgehend. Eine „Umwelt-Charta“ im Anhang soll „jedem Bürger der Gemeinschaft bestimmte Grundrechte“ in bezug auf eine saubere Umwelt garantieren. Das wenig aussagekräftige Papier wurde daher ohne große Diskussion vom Gipfel angenommen, und Haughey hatte sein selbstgestecktes Ziel erreicht.

Sanktionspolitik

Über den Standort einer EG-Umweltagentur konnten sich die Delegationen vorerst nicht einigen, da Frankreich eine Entscheidung darüber vertagen wollte, bis endlich geklärt ist, ob das Europaparlament -bisher in Straßburg - nach Brüssel umziehen wird oder nicht.

In der Frage der Wirtschaftssanktionen der EG gegen das Apartheidregime in Südafrika hält die Runde vorerst an der bisherigen Politik fest. Allerdings erklärten die zwölf ihren Willen, eine schrittweise Lockerung ihrer Sanktionen zu überlegen, wenn der begonnene Reformprozeß in Südafrika weitergehe. Für die Aufrechterhaltung der Sanktionen machten sich besonders die Iren stark - möglicherweise aus Rücksicht auf den Besuch des ANC-Vizepräsidenten Nelson Mandela in Dublin Anfang nächster Woche.

Ein weiterer außenpolitischer Aspekt des Gipfels war die israelische Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten. In der von den zwölf Regierungschefs verabschiedeten Resolution hieß es, die Europäische Gemeinschaft verurteile die Ansiedlung aus der Sowjetunion emigrierter Juden in Gaza -Streifen und Westbank als Provokation. Israels Siedlungspolitik, so hieß es, stelle eine wachsende Bedrohung des Friedensprozesses in der Region dar. Die EG forderte Israel erneut auf, sich mit der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO an einen Tisch zu setzen.

Ralf Sotscheck, Dublin

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