KPdSU: Streit um geplanten Parteitag

■ Flügelkämpfe in der KPdSU / Radikale Reformer wünschen einen Aufschub / Gorbatschow hält sich im Hintergrund / Welle der Empörung über den Verlauf des KP-Gründungsparteitages / Jelzin kündigt seinen Austritt an, wenn die Partei sich nicht grundlegend reformiert

Moskau (taz/afp) - Der 28. Parteitag der KPdSU wird nach Ansicht des Chefideologen im Politbüro des ZK der KPdSU, Wadim Medwedjew, am kommenden Montag planmäßig beginnen. Die „überwältigende Mehrheit der Parteiführer in den Republiken“ sei dafür, erklärte Medwedjew am Mittwoch in Moskau vor der Presse. Das für Freitag einberufene ZK-Plenum könnte aber anders entscheiden, räumte er ein. Der ursprünglich erst für nächtes Jahr geplante 28. Parteitag wurde vorgezogen. Gorbatschow sollte die Gelegenheit erhalten, sein Reformprogramm zu beschleunigen und ein neues Parteiprogramm einzubringen.

Die 'Prawda‘ räumte in einem gestern veröffentlichten „Entwurf einer programmatischen Erklärung“ die Mitschuld der Partei an der Krise des Landes ein. Das Hauptproblem sei nicht der Kommunismus, vielmehr seine Verzerrung in der Vergangenheit. Die Zeitung unterstützt den Verzicht auf das frühere Machtmonopol. Auf einer Pressekonferenz ließ Jelzin wenig Zweifel daran, daß die Initiative von den Radikalen der Partei ausginge. In seiner Eigenschaft als Präsident der Russischen Föderation schätzte er den Verlauf des Freitag -Plenums als schwierig ein. „Einige Leute, die in der Stimmung des Russischen Parteikongresses verfangen sind, wollen den Parteitag jetzt abhalten. Andere plädieren dafür, den Kongreß vielleicht bis in den Herbst aufzuschieben, um die politische Atmosphäre, die sich im Lande gerade abzeichnet, zu stabilisieren“. Er selbst sei auch für eine Verschiebung, um den Parteitag gründlicher vorzubereiten und ihn nicht in derselben Eile abzuhalten wie den Russischen Kongreß. Sollte der Parteitag nicht sichtbare Fundamente einer Erneuerung der Partei legen, kündigte Jelzin seinen Austritt aus der KPdSU an. Bereits vergangene Woche hatte die „Demokratische Plattform“, der Jelzin angehört, damit gedroht, die Partei zu verlassen, würden die Konservativen weiter an Land gewinnen. Ursprünglich hatte Gorbatschow den eigentlich erst 1991 fälligen Parteitag vorverlegt, um ihm genehme Kräfte neu ins ZK wählen zu lassen. Die Ereignisse der letzten Woche lassen daran nun Zweifel aufkommen. Die russischen Kommunisten stellen allein 60 Prozent der Delegierten zum 28. Parteitag. Mit den Repräsentanten aus den erzkonservativen Republiken Mittelasiens wird es ihnen nicht schwerfallen, eine grundlegende Neuerung zu blockieren. Für die KPdSU hätte das verheerende Folgen. Denn in den neugewählten Parlamenten der RSFSR und anderer Republiken sind nicht annähernd so viele Konservative vertreten wie in den Gremien der Partei. Sie würde sich damit weiter in ein gesellschaftliches Abseits manövrieren. Proteste gegen die konservative Renaissance in der Partei regten sich gestern auch in den Parteiorganisationen besonders der größeren Städte des Landes, aus Leningrad, Swerdlowsk, Gorky und Kuibyschew.

Selbst das beinhart konservative Leningrader Parteibüro übte noch einmal Kritik an der Wahl des konservativen Poloskow zum Ersten Sekretär der RKP. Die Gefahr der Isolierung beklagt auch eine Gruppe aktiver junger Kommunisten, deren „Erklärung“ - eine Warnung, nicht wieder in die alten Muster zu verfallen - gestern prominent von der 'Komsomolskaja Prawda‘ veröffentlicht wurde; verbunden mit der Bitte an alle Leser, den „Aufruf der 22“ durch ihre Unterschrift zu unterstützen. Gorbatschow muß handeln.

Klaus-Helge Donath