: Pausenclowns: Wenn Bremer Senatoren große Politik machen
■ Auf bundespolitischem Parkett tanzen Bremer Sozialdemokraten in der letzten Reihe / Positionen zur Staatsvertragsdebatte landeten in Bonner Papierkörben
Bundesratssitzung, letzter Freitag. Die Situation hatte etwas Tragikomisches: Gerade hatten die SPD-Länder-Vertreter noch einmal wortreich beklagt, wie wenig sie sich bei der Debatte um den deutsch-deutschen Staatsvertrag von Helmut Kohl ernst genommen fühlten, da gaben sie freiwillig ihr einziges Instrument aus der Hand, um ihre Beteiligung künftig sicherzustellen. Kaum waren die gesammelten Länderweinerlichkeiten über die Alleingänge des Kanzlers schon am Morgen hatten sie in allen Zeitungen gestanden noch einmal mündlich vorgetragen, dann stimmten bis auf das Saarland und Niedersachsen alle Länder dem Ergebnis der Kanzleralleingänge zu.
Der Vorschlag, mit dem es auch anders gegangen wäre und mit dem die SPD-regierten Länder ihre frischgebackene Bundesratsmehrheit zum Politikmachen statt zum Politiklamentieren hätten nutzen können, stammte aus Bremen. Vorlaut hatte Bürgermeister Henning Scherf ihn in der Vorwoche in der Bürgerschaft laut und ins Unreine denkend ausposaunt: Durch die Einschaltung des Vermittlungsausschusses hätte die SPD-Bundesratsmehrheit ihre neue Macht gegenüber der Bundesregierung demonstrieren und für zählbare Zugeständnisse nutzen können. Statt mit ihrem Vorstoß jedoch eine neue Debatte auszulösen, erfuhren Scherf und die drei Bremer Vertreter im Bundesrat in den folgenden Tagen nur, was ein Bremer Senatoren-Wort jenseits der Bremer Stadtmauern gilt. Im Ernstfall gar nichts.
Nicht einmal in den eigenen
Parteireihen nahm irgendjemand die Bremer Querschläger. Im Bonner SPD-Parteirat - der mühsame Kompromiß zwischen Lafontaine-und Vogellinie war gerade gefunden - glaubte man nicht recht zu hören, als ausgerechnet die Bremer ein neues Faß aufmachen wollten. Nicht besser als Scherf in den höchsten Parteigremien erging es gleichzeitig Staatskanzlei -Chef Andreas Fuchs. Als Fuchs während des Tauziehens der Staatskanzleien um eine gemeinsame Haltung zum Staatsvertrag einen zaghaften Versuch unternahm, die Bremer Bedenken zu erläutern, mußte er sich rüde von Johannes Rau über den Mund fahren lassen.
Während Bremens Bürgermeister Klaus Wedemeier sich in den USA braunbrennen ließ und der Bremer Restsenat sich in Eiertänzchen auf bundespolitischem Parkett blamierte, hatte das Kanzleramt derweil die Zeit zu harter Politik genutzt. Angesichts der veränderten Bundesratsmehrheiten lautete die Devise von Kanzleramtsministers Seiters: Wenn's um die deutsche Eingung geht, gilt für die Länder: „Wir müssen draußen bleiben“.
Bei einem Treffen mit allen Staatskanzlei-Chefs unternahm Seiters einen ersten Vorstoß unternommen. Für die Länderbeteiligung solle statt der Formel „alle elf“ die neue „zwei plus eventuell betroffene, weitere Länder“ gelten. Am Ende der Sitzung packte Senatskanzlei-Chef Fuchs das Protokoll seiner eigenen Ausbootung ordentlich ins Reisgepäck und trat die Heimfahrt an. In Bremen zurückgekehrt, rechtfertigte Fuchs den organisierten Rückzug
mit pragmatischen Erwägungen: Die Sitzungen würden einfach zu lang, die Sitzungsräume zu groß, wenn elf Bundesländer jeweils ihren Senf zur deutschen Eingung loswerden wollen. Bremens Beitrag zur Staatsvertragsdebatte beschränkte sich ab sofort auf die
zustimmenden Zurkenntnis nahme einer Jammererklärung über die Eigenwilligkeiten des Kanzlers, die in der nordrheinwestfälischen Staatskanzlei ausbaldowert worden war und das greinende „Jein“ der SPD -Länder auf sechs Seiten auswalzte.
Das sollte sich rächen. Als die Bremer Bundesratsvertreter Kröning, Grobecker und Rüdiger drei Tage später nach Bonn fuhren, um verabredungsgemäß ihre Finger für das Zustimmunsggesetz zum Staatsvertrag zu heben, segnten sie gleichzeitig ein Ge
setz ab, in dem die Länder nun überhaupt keine Rolle mehr spielen. Nicht einmal die Seiters'sche Beteiligungsformel „Zwei statt Elf“ wurde darin noch mit einzigen Satz garantiert. Die Länder hatten ihre eigene Entlassung aus der deutsch-deutschen Debatte beschlossen. Und - bekamen sie sofort zu spüren.
Am Rande der Debatten sickerte durch, was man insgeheim schon befürchtet hatte: Während man sich in Genossenkreisen zwischen Saarland und Hamburg wochenlang mit der eigenen Meinung zum ersten Staatsvertrag abgeplagt hatte, hatte Bundesinnenminister Schäuble den zweiten und vermutlich letzten schon fix und fertig zu Papier gebracht. Überschrift: „Staatsvertrag zur Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands“.
Jetzt dämmerte es wenigstens einem sozialdemokratischem Länderchef allmählich. Der Bremer war es nicht. Stinksauer stürmte der Berlins Regierender, Walter Momper, ans Rednerpult und verlangte ultimativ Aufklärung: „Stimmt es, daß es bereits einen Entwurf für den Beitrittsstaatsvertrag gibt, und die Bundesregierung es bislang nicht mal für nötig gehalten hat, den Ländern eine Kopie zu überlassen?“ Kanzleramtsminister Seiters reagierte postwendend und demonstrierte gleichzeitig, wie viel wert die Bundesregierung auf Bremer Ratschläge legt. Er lud den bayerischen, nordrheinwestfälischen und Berliner Regierungschef für die nächste Woche zu einem Gespräch ein. Thema: Einführung in den zweiten Staatsvertrag. Für Anfänger.
K.S.
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