: Rollis: Unterhaltung nur mit „Sonderkarte“
■ Gericht bestätigte, daß RollstuhlfahrerInnen kein Anrecht darauf haben, mit „normaler“ Eintrittskarte in die Deutschlandhalle zu kommen / Wegen „Sicherheitsbedenken“ sei Ausgabe von „Sonderkarten“ sachgerecht / Nur zwölf Plätze in sogenannten Rollstuhlfahrerlogen
West-Berlin. Die Klage einer behinderten Berlinerin auf freien Zugang für RollstuhlfahrerInnen bei jeder Veranstaltung in der Deutschlandhalle mit einer „normalen Eintrittskarte“ wurde am Mittwoch von der ersten Kammer des Verwaltungsgerichts abgewiesen. Das Gericht bezeichnete es als sachgerecht, spezielle Karten für RollstuhlfahrerInnen auszugeben. Diese Karten gelten für zwölf Plätze in zwei sogenannten Rollstuhlfahrerlogen. Die vom Land Berlin genannten Sicherheitsbedenken bei einer Freigabe aller Plätze seien dem Urteil nach nicht völlig sachfremd.
Die Klägerin, eine von 17.000 RollstuhlfahrerInnen in ganz Berlin, hatte sich an das Verwaltungsgericht gewandt, nachdem sie im April 1987 bei einer Veranstaltung des ZDF in der Deutschlandhalle abgewiesen worden war, obwohl sie eine reguläre Eintrittskarte besaß. Nur zwei Personen mit Sonderkarten wurden damals eingelassen. Die zwölf Plätze der Rollstuhlfahrerloge waren an dem Tag gesperrt, weil sie durch Dekorationen verstellt waren.
Die RollstuhlfahrerInnen hatten die jetzige Praxis als diskriminierend bezeichnet, zumal sie in den Extralogen obendrein in die allerletzte Ecke verwiesen worden seien.
Der Vertreter des Landes Berlin hatte darauf verwiesen, daß bei bestimmten Veranstaltungen schon jetzt weitere Plätze zur Verfügung gestellt werden, wenn sichergestellt sei, daß die Fluchtwege bei möglichen Gefahrensituationen vorhandenen sind. Einem vom Land Berlin in Auftrag gegebenen Gutachten zufolge ist es möglich, die Platzzahl für RollstuhlfahrerInnen deutlich zu erhöhen. Die geschätzten Kosten wurden mit 1,8 Millionen Mark beziffert.
Die Klägerin hatte außerdem beantragt, wenn nicht alle, so seien mindestens 50 Plätze oder aber ein Prozent für RollstuhlfahrerInnen zur Verfügung zu stellen. Dieser Antrag wurde von der Kammer als unzulässig abgewiesen. Unsere Rechtsordnung sehe nicht vor, hieß es zur Begründung, daß jemand über seinen individuellen Anspruch hinaus Rechte für andere einklage.
Die Entscheidung wurde von den anwesenden Rollstuhlfahrern mit großer Empörung aufgenommen. Es sei nicht aus den Köpfen zu kriegen, daß RollstuhlfahrerInnen immer noch als „immobile Möbelstücke“ angesehen werden. Der Vorsitzende Richter hatte zuvor betont, daß die Anliegen der RollstuhlfahrerInnen der gesamten Kammer durch diesen Prozeß sehr nachdrücklich bewußt geworden seien. Er drückte die Hoffnung aus, daß ernsthafte Überlegungen des Landes Berlin im Rahmen von Umbauplänen für die Deutschlandhalle zur Veränderung der Situation jetzt in die Praxis umgesetzt würden (Aktenzeichen: VG 1A 492.87).
dpa
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