Untergang mit Blasmusik

■ Bundesdeutsche Privatfunker wollen so schnell wie möglich auf den DDR-Markt

Eins steht fest: Auf dem Gebiet der DDR wird es in Zukunft auch Privatfunk geben. Nur über das wie und wann sind sich die Beteiligten hüben und drüben noch nicht einig. Während die ehemals staatsgelenkten Hörfunk- und Fernsehsender der DDR nach kurzer Freiheitseuphorie nun ums nackte Überleben kämpfen, befürchten bundesdeutsche Privatfunker, auf dem neuen Markt nicht schnell genug zum Zuge zu kommen. Darum hatte der Bundesverband privater Rundfunk und Telekommunikation (BPRT) am Dienstag zu einer Arbeitstagung nach Ost-Berlin geladen.

Der private Rundfunk sei ein wichtiges Korrektiv in der Medienlandschaft, betonte Wernfried Maltusch, stellvertretender Generalintendant des DDR-Hörfunks, sicher nicht ohne Hintergedanken. Die Rundfunksender in der Nalepastraße stehen kurz vor dem Exidus. Vergangene Woche verkündete Generalintendant Klein, daß ein rundes Drittel der Belegschaft entlassen werden müsse. Ein Sender (DDR 1) soll gleich ganz verschwinden, und auch für die verbleibenden Wellen ist nach dem Wegfall der Staatssubventionen kaum noch Geld da. In dieser Situation scheinen private Investoren fast wie der letzte Rettungsanker.

Die Einführung des Privatfunks bedeute ein Stück mehr freier Wettbewerb, bekräftigte Henning Stoerk, medienpolitischer Sprecher der DDR-CDU Maltuschs Haltung. Darin stimmt Medienminister Gottfried Müller mit ihnen überein. Trotzdem möchte er erstmal den Bestand eines öffentlich-rechtlichen Systems auf dem Gebiet der DDR gesichert sehen, bevor er den Startschuß für privates Fernsehen und Radio gibt. Den Vertretern von RTL, Star Radio oder SAT 1 dauert das zu lange. Auf dem Podium ließ man denn auch den CDU-nahen Medienrechtler Reinhart Ricker eindringlich auf die Gefahren einer Rahmengesetzgebung hinweisen, die der Errichtung öffentlich-rechtlicher Sendeanstalten den Vorrang vor privaten Rundfunkinteressen einräumt. Die öffentlich-rechtlichen Sender würden womöglich alle verfügbaren Frequenzen besetzen, so daß später für die Privaten nichts mehr übrigbliebe. Außerdem übernähmen sie Aufgaben, beispielsweise die Einrichtung eines landesweiten Kulturkanals beim DDR-Hörfunk, die ihnen nicht zustünden. In welcher Nische, bitteschön, solle sich denn da noch der Privatfunk ansiedeln? Er plädierte für Übergangsregelungen, die den Privatanbietern befristete Sendelizenzen ermöglichen, bis die Länder, in deren Hoheit die endgültige Mediengesetzgebung fällt, ihre Funkangelegenheiten endgültig geregelt hätten.

Worum es den Privaten wirklich geht, brachte später RTL -Chef Helmut Thoma auf den Punkt: ein Programm verbreiten, das Werbekunden anspricht. Das Massenmedium Fernsehen sei ein Vergnügungsdampfer. „Oben spielt die Blaskapelle, und irgendwo unten gibts auch noch ein geschmackvoll eingerichtetes Schachzimmer.“ Mit der Kapelle, die für die richtige Stimmung sorgt, meinte er natürlich RTL plus, während der luxuriöse aber wenig genutzte Denkerraum die Rolle von ARD und ZDF symbolisieren sollte. Die Luxusklassen eines Schiffes seien immer noch oben, konterte Jürgen Büssow, medienpolitischer Sprecher der SPD in NRW und rückte Thomas schönes Bild zurecht. Büssow empfahl den Verantwortlichen in der DDR, sich bei der Entwicklung zukünftiger Mediengesetze ruhig Zeit zu lassen und die verschiedenen internationalen Modelle zu prüfen. Vor befristeten Lizenzvergaben an Private warnte er eindringlich. Schließlich hätten die sogenannten Pilotprojekte in der BRD gezeigt, daß man einmal getroffene Entscheidungen später nur schwer zurücknehmen kann.

Viel Zeit zum Überlegen bleibt den Mediensachverständigen in der DDR indes nicht. Mit der Konstituierung der Länderparlamente im September fällt die Mediengesetzgebung in deren Kompetenzbereich. Das heißt, dort wird auch über die Zulassung der Privaten entschieden. Wolfgang Kleinwächter, Spezialist für internationales Medienrecht an der Leipziger Universität und eifiger Kämpfer für eine progressive Neuordnung des gesamtdeutschen Rundfunksystems, schlug ein mehrstufiges Vorgehen vor. Zunächst sollte das DDR-Fernsehen (DFF) als öffentlich-rechtliche Anstalt per Gesetz gegründet und die Finanzierung geregelt werden. Die neuen Länder müßten dann zügig einen Staatsvertrag für eine Fünf-Länder-Anstalt DFF abschließen, der auch Regelungen zur Förderalisierung enthält. Zugleich müßten Kooperationsabkommen mit ARD und ZDF abgeschlossen werden, um die Programme langsam zu verzahnen. Die Zulassung privater Anbieter sollte über gewählte Aufsichtsgremien in den Ländern erfolgen. Gleichzeitig sollte eine Expertenkommission ein langfristiges Rundfunkkonzept entwickeln, bei dem auch die bundesdeutschen Vehälnisse umgekrempelt werden.

Und was meint man in Adlershof, dem Sitz des DDR -Fernsehens, dazu? Auch dort stellt man sich auf die private Konkurrenz ein. Nur hätte man vorher gern genug Zeit, das eigene Haus aufzuräumen, in einem Prozeß der Selbstreinigung von innen und nach außen mit der Verabschiedung eines Fernsehstatuts, das den DFF als Mehrländeranstalt für das gesamte Gebiet der DDR legitimiert. Michael Albrecht, derzeit kommissarischer Generalintendant des DFF, hielt das deplazierteste und zugleich schönste Referat auf der BPRT -Tagung. Ein fast lyrischer Text zur Entstehungsgeschichte des DFF: „1952 in den märkischen Sand gesetzt... die kurze Zeit der Hoffnungen“ - Nostalgie und nicht wenig Wehmut schwangen da mit, während rundherum nur marktwirtschaftliche Argumente zählten. Aber auch er hat begriffen, was die Privatfunker beständig wiederholen: „Bestand hat nur, was sich rechnet“.

Ute Thon