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In 8 Monaten zum Ende

Von der Reisefreiheit zur Währungsunion  ■ Chronik des Anschlusses

Frankfurt (ap/taz) - Die DDR wird am Sonntag in die Volkswirtschaft der Bundesrepublik eingegliedert, die D-Mark löst die Mark der DDR ab. In unvorstellbar kurzer Zeit gewann der Plan einer Währungsunion eine Eigendynamik, die ab Februar dieses Jahres nicht mehr aufhaltbar schien. Der Anstoß für das DM-Angebot kam von der SPD; als die Kohl -Regierung es übernahm, setzten sich die Bevölkerungsmehrheit (Ost) und die anschlußwilligen Parteien (Ost und West) gegen die Bedenken von WirtschaftswissenschaftlerInnen durch. Am Anfang stand die jahrzehntelang versagte Reisefreiheit: Mit ihrer als „Spielgeld“ verspotteten Währung konnten die DDR-Bürger im Westen nicht viel anfangen.

9.November 1989: Nach Öffnung der Grenze strömen innerhalb weniger Tage Millionen von DDR-Bürgern in die Bundesrepublik. Vor Bank- und Postschaltern bilden sich lange Warteschlangen von Menschen, die ihr Begrüßungsgeld von 100 D-Mark pro Kopf abholen. Außerdem tauschen sie illegal mitgebrachte Mark der DDR in D-Mark ein, was den Kurs der Ost-Währung steil fallen läßt.

23.November: Die DDR verschärft ihre Zollkontrollen, um den zunehmenden Abfluß ihrer Währung sowie die Ausfuhr bestimmter Waren einzudämmen.

5.Dezember: Beide Staaten vereinbaren die Einrichtung eines Reisedevisenfonds zur Versorgung von DDR-Bürgern mit harter Währung sowie die Abschaffung des Begrüßungsgeldes.

11.Dezember: Bei der Leipziger Montagsdemonstration tauchen Transparente mit der Forderung nach Einführung der D-Mark auf.

19.Dezember: Bundeskanzler Helmut Kohl und DDR -Ministerpräsident Hans Modrow vereinbaren die Einsetzung einer Expertenkommission zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit.

24.Dezember: Erstmals können BundesbürgerInnen und WestberlinerInnen ohne Zwangsumtausch und Visum in die DDR reisen.

18.Januar 1990: Die stellvertretende SPD -Fraktionsvorsitzende Ingrid Matthäus-Maier schlägt eine Währungsunion vor.

27.Januar: Bundesbank-Präsident Karl-Otto Pöhl lehnt dies ab und plädiert dafür, die Ost-Mark in einem umfassenden Reformpaket schrittweise konvertibel zu machen.

Abfuhr für Modrow 1.Februar: Modrow legt ein Konzept zur deutschen Einheit vor, das zunächst die Bildung einer Vertragsgemeinschaft mit einer Wirtschafts-, Währungs- und Verkehrsunion vorsieht.

2.Februar: Bundesfinanzminister Theo Waigel befürwortet die Einführung der D-Mark in der DDR unter der Bedingung, daß die Bundesbank „Herr der Geldmengen“ bleibt.

7.Februar: Die Bundesregierung bietet der DDR-Regierung an, unverzüglich in Verhandlungen über eine Währungsunion zu treten.

9.Februar: Pöhl erklärt nun, er wolle das Angebot der Regierung loyal unterstützen. Er spricht von einer politischen Entscheidung, die von der Bundesbank unterstützt werden müsse. Ein hoher Beamter des Bundeskanzleramts äußert die Möglichkeit einer bevorstehenden Zahlungsunfähigkeit der DDR. Dies wird von Bonn und Ost-Berlin offiziell dementiert.

12.Februar: Die EG-Kommission und die Finanzminister der EG -Staaten stimmen dem Bonner Währungsvorhaben zu. Der Runde Tisch in Ost-Berlin lehnt eine sofortige Währungsunion ab und verweigert Modrow das Mandat, darüber zu verhandeln.

13.Februar: Beim Besuch Modrows in Bonn legt die Bundesregierung ihr Angebot einer Währungsunion offiziell vor, verweigert aber sofortige Finanzspritzen.

19.Februar: Der SPD-Politiker Wolfgang Roth schlägt den 1.Juli als Start der Währungsunion vor.

20.Februar: Die gemeinsame Expertenkommission nimmt ihre Beratungen über die Schritte zur Währungsunion auf.

Februar: In einer Flut von Stellungnahmen von ExpertInnen wird auf die drohenden Folgen einer Währungsunion hingewiesen: Große Teile der DDR-Betriebe seien nicht konkurrenzfähig und deswegen von der Pleite bedroht. Mit Massenarbeitslosigkeit und einer neuen Auswanderungswelle sei zu rechnen. Die Bedenken werden von linken als auch von regierungsnahen WirtschaftswisssenschaftlerInnen vorgebracht. Gegenargument der Regierung: Eine Radikalkur der Wirtschaft sei notwendig, die Massenarbeitslosigkeit werde von einem neuen Wirtschaftswunder abgelöst. West -Konzerne beginnen mit der Rosinenpickerei im Osten. Wegen der unklaren gesetzlichen Vorschriften kommt es jedoch zunächst überwiegend zu Absichtserklärungen.

13.März: Kohl verspricht auf einer CDU -Wahlkampfveranstaltung in Cottbus eine Umstellung von eins zu eins für Kleinsparer.

18.März: Bei der Volkskammerwahl in der DDR erhält die konservative „Allianz für Deutschland“ die meisten Stimmen.

20.März: Kanzleramtschef Rudolf Seiters stellt die Währungsunion für den Sommer in Aussicht.

29.März: Die Bundesbank empfiehlt, die DDR-Mark grundsätzlich im Verhältnis zwei zu eins umzustellen. Dies löst in der DDR einen Sturm der Entrüstung aus.

2:1 oder 1:1 ? 2.April: Der designierte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziere beharrt auf 1:1.

5.April: Die Bundesregierung berät einen ersten Entwurf des Staatsvertrages über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion.

6.April: In der DDR demonstrieren Zehntausende gegen eine 2:1-Umstellung

12.April: Die neue DDR-Regierung tritt in ihrer Koalitionsvereinbarung für einen Umtausch der Löhne und Gehälter im 1:1-Verhältnis ein.

19.April: Bundesbank-Vizepräsident Helmut Schlesinger droht für den Fall einer 1:1-Umstellung, auf die Kreditbremse zu treten.

23.April: Die Bundesregierung einigt sich auf ein Angebot für den Staatsvertrag mit der DDR. Löhne und Gehälter sollen 1:1 umgestellt werden.

24.April: Kohl und de Maiziere vereinbaren in Bonn die Einführung der Währungsunion zum 2.Juli 1990.

25.April: In Ost-Berlin beginnen die Expertenverhandlungen über einen Staatsvertrag zur Währungs- und Sozialunion.

2.Mai: Die beiden deutschen Regierungen verständigen sich auf die Grundzüge der zum 2.Juli geplanten Währungsunion.

15.Mai: Waigel einigt sich mit den Finanzministern der Länder auf die Einrichtung eines Fonds „Deutsche Einheit“ im Gesamtumfang von 115 Milliarden Mark. Davon sollen 95 Milliarden am Kapitalmarkt aufgenommen werden.

18.Mai: Waigel und DDR-Finanzminister Walter Romberg unterzeichnen den Staatsvertrag.

5.Juni: Die ersten Anträge zur Umstellung von Beständen in Mark der DDR auf D-Mark werden ausgegeben.

11.Juni: Die Geldinstitute nehmen die ersten Anträge entgegen.

17.Juni: Das neue Gesetz über die Treuhandanstalt passiert die Volkskammer. Es regelt den organisatorischen Ablauf der Privatisierung des einstigen „Volksvermögens“. Die Anstalt wandelt die einstigen Kombinate und VEBs um und verkauft deren Anteile; der Erlös soll zur Sanierung der überlebensfähigen Betriebe eingesetzt werden.

21.Juni: Bundestag und DDR-Volkskammer billigen mit jeweils großen Mehrheiten den Staatsvertrag. Dagegen stimmen in Bonn die Grünen und einzelne SPD-Abgeordnete sowie in Ost-Berlin die PDS und Bündnis 90.

1.Juli: Der Staatsvertrag tritt in Kraft. Die DM wird in der DDR gesetzliches Zahlungsmittel.

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