: Die Armee als Garant für die Demokratie
Der oppositionelle Journalist Petre Bacanu zur Situation in Rumänien ■ I N T E R V I E W
Petre Mihail Bacanu (47) ist Chefredakteur der rumänischen Tageszeitung 'Romania Libera‘, die zu den wichtigsten Zeitungen des Landes gehört. Bacanu zählt zu den profiliertesten Persönlichkeiten der demokratischen Bewegung in Rumänien. Unvergessen ist sein Versuch von Anfang 1989, eine gegen das Ceausescu-Regime gerichtete Untergrundzeitung herauszubringen: Er und seine Helfer hatten die Bleisatzbuchstaben einzeln aus der Druckerei geschmuggelt. Seit Februar 1989 deshalb im Gefängnis, wurde Bacanu am 22.Dezember, am Tage der Flucht Ceausescus, entlassen und übernahm sofort die Leitung von 'Romania Libera‘.
taz: Wir hatten kürzlich eine Karikatur in der taz: Ein Werftbesitzer bestätigt Iliescu per Telefon den Auftrag, 200 Galeeren für Sklaven zu bauen. Trifft diese Karikatur die Situation in Rumänien?
Petre Mihail Bacanu: Na ja, vielleicht ist das ein bißchen übertrieben. Die meisten der jetzt etwa 1.000 Verhafteten sind Leute, die schon am 21. und 22.Dezember 1989 während der Revolution auf den Straßen waren. Die jungen Leute, die die Revolution gemacht haben, werden heute von Iliescu verfolgt. Und die Regierung unternimmt nichts, um die Ausschreitungen der Bergarbeiter zu untersuchen.
Es gibt verschiedene Erklärungen dafür, weshalb die Bergarbeiter nach Bukarest kamen. Die einen meinen, Iliescu habe sie gerufen, andere sagen, Leute aus Iliescus Umkreis hätten sie gerufen, um Iliescu politisch ein Bein zu stellen.
Es könnte sein, daß Politiker aus der Umgebung von Iliescu geraten haben, die Bergarbeiter nach Bukarest zu holen. Aber ich meine, Iliescu ist der Hauptschuldige.
Während der Ereignisse hat sich die Polizei zurückgezogen und damit erst den Sturm auf das Fernsehgebäude und auf das Innenministerium möglich gemacht.
Es gibt eine Tonbandaufzeichnung von der Nacht des 24.April, als der Platz vor der Universität in Bukarest erstmals geräumt wurde. Der Chef der Hauptabteilung der Polizei, General Molduvanu, war nicht bereit einzugreifen, er wollte kein Blutbad anrichten. Da wurde schon deutlich, daß die Polizei nicht an Repressionsakten teilnehmen wollte. Es ist möglich, daß es jetzt bei diesen Ereignissen ähnlich war. Es waren nämlich die gleichen Polizisten, die am 21.Dezember die Leute zusammengeschlagen haben - die sich aber jetzt nicht noch einmal kompromittieren wollen.
Auch der Innenminister ist zurückgetreten. Bedeutet denn das Verhalten der Polizei, daß es im Staatsapparat Risse gibt
Chitak, der Innenminister, wurde von der Armee nicht respektiert. Er hatte seit Temeswar durch die Revolution bestimmte Dinge auf dem Kerbholz. Dadurch galt er als fragwürdige Person an der Spitze des Innenministeriums, und das war einer der Gründe dafür, daß er zurücktreten mußte. Chitak mußte aber nicht gehen, weil er wegen der Repression nicht initiativ geworden ist, sondern weil er seinen Kritikern durch den Rücktritt den Wind aus den Segeln genommen hat. Es gibt in der Tat so etwas wie Reibereien innerhalb der Front, aber es gibt keine Spaltung. Die meisten dieser Leute haben eben kein Rückgrat.
Wie beurteilen Sie die Aussagen von Silviu Brucan, dem Chefideologen der Front, der meint, die Front müsse verjüngt und auch demokratisiert werden?
Brucan hat auch noch gesagt, man müsse die Front selbst revolutionieren, aber seine Ansichten haben sich nicht durchsetzen können, denn man sieht keine Resultate dieser Überlegungen. In Wirklichkeit geht die Front in die Richtung einer Einheitspartei. Brucan steht nämlich auch für den frühen Wahltermin, und das war ein Nachteil für die Opposition. Er hatte ja bereits am 31.Dezember 1989 in der 'Romania Libera‘ erklärt, daß die Front die Wahlen so rasch wie möglich über die Bühne ziehen wird.
Welche Rolle spielt die Armee?
Die Armee hat ihre Position deutlich gemacht. Sie will nicht in Straßenkämpfe involviert werden, sie möchte sich auf die Landesverteidigung beschränken. Die Armee hat ihre Rolle während der Dezemberereignisse (als sie zunächst, wie in Temeswar, auch auf die Bevölkerung schoß; d.Red.) inzwischen aufgearbeitet, sie möchte sich dieser Schuld entledigen und neutral bleiben und damit auch etwas wiedergutmachen. Es ist allerdings zu bedauern, daß die Demokratiebewegung in der Armee vor kurzem verboten wurde. Das könnte sich langfristig negativ auswirken.
Verteidigungsminister Stanculescu soll aber in den letzten Wochen offen mit der Demokratiebewegung sympathisiert haben.
Sicherlich hat ein großer Teil der Armee sich für die Demokratie entschieden. Zwar sollte die Armee keine direkte Rolle für die Errichtung der Demokratie in Rumänien spielen, dennoch könnte die Armee ein Garant für die Entwicklung zur Demokratie sein.
Die Armee soll nicht putschen...
Es wäre unangebracht, wenn die Armee einen Staatsstreich initiierte. Eine wirkliche Demokratisierung und eine „zivile Gesellschaft“ in unserem Land müssen durch andere Kräfte erreicht werden. Ich wiederhole aber: Die Armee muß ein Garant für die Demokratie sein.
Als die Bergarbeiter in die Redaktion Ihrer Zeitung eindrangen, signalisierte das ja manifesten Druck auf die progressiven Zeitungen. Müssen Sie jetzt Kompromisse machen, oder können Sie ihren kritischen Journalismus weiterhin aufrechterhalten?
Die allgemeine Linie der Zeitung bleibt unverändert, wir wollen weiterhin die „Wahrheit“ ausdrücken. Es ist allerdings ein einmaliges Phänomen, daß die Arbeiter sich einerseits weigern die Zeitung zu drucken (so geschehen am 14. und 15.Juni; d.Red.), andererseits aber, sobald man mit ihnen spricht, gar nichts gegen die Zeitung haben. Und trotzdem gibt es eine Stellungnahme der Gewerkschaft, in der sich die Arbeiter von der Zeitung distanzieren. Wir haben diese Stellungnahme abgedruckt, das war unser Kompromiß. Ansonsten wird sich nichts ändern.
Es gibt bei Ihnen - auch in der Redaktion - eine Gruppe von Leuten, die der Partei nahestanden und sich mit den Arbeitern verbündet haben, um Druck auf die Redaktionsleitung auszuüben. Wie gehen Sie mit dieser „Opposition“ um?
Ursprünglich wollten wir die Leute, die kompromittiert sind, entlassen. Es gibt auch einige Securisten darunter. Aber wir wollten jeden Fall individuell behandeln. Ich habe immer eine Chance gesehen, diese Leute in eine neue Struktur zu integrieren. Es hat sich jedoch erwiesen, daß genau diese Leute unter dem Schutz der Bergarbeiter - und damit der Front - so etwas wie einen Putsch in der Redaktion organisiert haben. Von 120 Redaktionsmitgliedern haben dennoch die meisten, bis auf 14 oder 15 Leute, die Gesamtredaktion und damit auch mich bestätigt. Der Putsch ist also fehlgeschlagen. Die Front versuchte seit der Revolution, die Gesamtredaktion zu unterlaufen und zu untergraben. Die Abstimmung hat unsere Richtung gestärkt.
Also keine Kompromisse...
Außer der Veröffentlichung dieser Gewerkschaftsresolution: nein. Und die Resolution war eine Idee der Gewerkschaftsleitung, nicht der Arbeiter, auch wenn in ihrem Namen gesprochen wurde.
Ist der Umfang der Zeitung erhalten geblieben?
Die Einschränkung der Auflage wurde mit Papiermangel begründet. Bei der Zeitschrift '22‘ (eine Wochenzeitschrift der Opposition, d.Red.) wurde der Umfang von 24 auf 16 Seiten gekürzt. Wir erscheinen nur noch mit einer Auflage von 800.000 statt mit 1,5 Millionen Exemplaren. Unsere Wochenzeitung 'A Casa‘ (zu Hause) wurde allerdings reduziert, dafür konnte '22‘ eine Zeitlang mit erweiterten Umfang erscheinen. Das wird jetzt so nicht mehr akzeptiert. Es geht der Macht darum, die Oppositionspresse einzuschränken. Deshalb ist es für uns so wichtig, eine eigene Druckerei zu haben, in der dann auch die Wochenzeitungen gedruckt werden könnten. Hierin läge auch eine Möglichkeit der Hilfe aus der Bundesrepublik, uns zu unterstützen.
Sie brauchen also Druckmaschinen...
Ja.
In Presseberichten heißt es, Sie hätten in Washington zu einem Wirtschaftsboykott gegenüber Rumänien aufgerufen. Warum?
Ich bin nicht direkt für einen Boykott. Aber es sollte, vor allem vom Ausland her, darauf geachtet werden, daß die demokratischen Spielregeln in Rumänien eingehalten werden.
Interview: E.Rathfelder/W.Totok
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