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Einstürzende Altbauten, trockener Aufprall und Schenkelbiegung

■ Neue Ausstellungen in der Galerie Cornelius Hertz und auf dem Atelierhof Marcel Duchamp, Martin Lammert und Dorothea Muszynski

Im Treppenhaus Bilderrahmen mit zerborstenem Glas und starken Sprüchen: „Einigkeit & Recht & Freiheit für das Großdeutsche Reich“. Im Flur eine Unterschriftenliste zur Rettung eines Wandbildes für Ingrid Strobel.

Die Stones dröhnen aus der Musikanlage, unten reizt eine experimentelle Gruppe, die einstürzende Altbauten heißen müßte, die Trommelfelle. Wir befinden uns nicht in einer Berliner Undergroundgalerie, sondern in einer ganz feinen im vorderen Schwachhausen: Die Galerie Hertz, einst unter Michael Hertz erste Sahne in Bremen mit Picasso, Nay, Max Ernst, versucht, sich unter ihrem neuen Leiter, Filius Cornelius Hertz, einen neuen Namen zu machen. Das Konzept heißt: Junge unbekannte Kunst wird mit bewährter der (klassischen) Moderne gemixt, auf daß diese jene befördere.

Heute also: Marcel Duchamp mit dem jungen Hamburger Martin Lammert. Cornelius Hertz hatte schon lange ein Auge auf Duchamp geworfen und schlug zu, als er zwei „Bücher“ ('62, '64, insgesamt ca. 400 Blätter) desselben mit zahllosen Notizen, Skizzen und Grafiken erweben konnte (Preis: geheim, Verkauf nur komplett). Aufgehängt hat der Galerist und Künstler überwiegend Arbeiten, die sich auf Duchamps Schlüsselwerk „Grand Verre“ (Museum of Modern Arts) beziehen, sowie einige Blätter erotischen Inhalts.

Duchamp, der erfolgreich an der Destruktion des subjektiven Kunstbegriffs arbeitete (ready mades), steht für Hertz in Beziehung zu den Arbeiten Martin Lammerts, der sich ebenfalls für organische und physikalische Funktionen und Prozesse interessiert, wenn er seine „Skulpturen“ konstruiert. Lammert baut Wahrnehmungs-Irritations -Maschinen, die der Erweiterung der Wahrnehmung dienen sollen. Ein durch die Decke der Galerie gestoßenes Periskop ermöglicht Einblicke ins Bad der Galerie; ein Treppenstück („Trockener Aufprall“) führt in eine Wand; eine Art grauer Telefonzelle ermöglich Hörerlebnisse per Stethoskop; ein Konstrukt mit Weinbergschnecken paraphrasiert das Thema Zeit und mehrere Föne pusten Salz bzw. Wasser umher oder raufen (Wind von oben) Kopfhaare. „Gesetze der Physik aufheben“ will der Wahrnehmungsarbeiter Lammert und eigene Denkarbeit anstoßen. Als echter Erstaussteller will er natürlich eigentlich sowieso gar nicht verkaufen und haßt den Kunstbetrieb. Das Vernissagepublikum letzte Woche war insgesamt wohlmeinend irritiert von der neuen Galerie Hertz. (Richard Wagner Straße 22, bis zum 21.7.)

Was Dorothea Muszynski fabriziert, jagt gestandenen KeramikerInnen Schauer über den Rücken: Bis zu 2.50 m hoch baut sie ihre „keramischen Skulpturen“, Hohlkörper mit einer Wandstärke von knapp 2 cm, die allein schon statisch mehrere Probleme aufwerfen.

Von einem Dreieck mit gebogenen Schenkeln geht die HfK -Absolventin (Bildhauerei bei Bernd Altenstein) aus und baut - „ein meditativer Vorgang“ - Schicht für Schicht stark schamotthaltigen, d.h. stabilen Ton auf, immer in Sorge um Balance und Symmetrie. Es entstehen stenge, spannungsreiche Körper, die in engem Zusammenhang mit der Person der Künstlerin stehen: Kraft, Größe und Spannung der Objekte korrespondieren mit den physisch-psychischen Möglichkeiten der Bildhauerin, scheinen das menschliche Maß auszuloten.

(Atelierhof, Alexanderstr.9B, bis zum 8.Juli) Bu

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