: UNGEHEUER MALEN
■ Der polnische Katastrophenkunstexperte Stanislaw Ignacy Witkiewicz im Künstlerhaus Bethanien
Nichts könnte widersprüchlicher sein, als einen Künstler auszustellen, der die Kunst als Ausdruck metaphysischer Sehnsucht dahinsiechen bis sterben sah, „unter tödlichen Brechanfällen und Blutstürzen, unter Konvulsionen und ekelhaften Zuckungen“. Kunst als letzte verschwindende Ekstase, sukzessiv aufgefressen von einer historisch notwendigen gerechten und kollektivisierten zukünftigen Ordnung ohne Sinn für Metaphysik, solcherart Droge machte sich der polnische Künstler Stanislaw Ignacy Witkiewicz (1885-1939) zum Programm. Witkiewicz gilt hierzulande fast als Geheimtip; in Polen wird er - nach jahrelanger offizieller „Duldung“ - seit der Perestroika als national und selbstkritischer Volksheld verehrt. Vor einigen Jahren wollte man gar seine Gebeine aus der russifizierten Erde holen, um ihm, dem Atheisten, ein würdiges Begräbnis zu bereiten - und griff die falschen. Dabei tut die polnische Kulturverwaltung alles, um Witkiewicz in der landeseigenen Sakristei zu halten, denn seine Ölbilder und Pastellporträts in den großen Museen dürfen wie alle Vorkriegskunst auf dem internationalen Kunstmarkt nicht verkauft werden. So ist die Depotkunst einer von Witkiewicz gegründeten Porträtfirma heute unverkäuflich; diejenigen Bilder, die er in verschiedenen Kategorien auf Bestellung, aber nicht immer zur Zufriedenheit der Kun den malte, waren am schwersten vom Mittelpommerschen Museum Slupsk als Leihgabe zu bekommen. Ein umfassender Überblick über das Werk des Narkotikers, Apokalypsephilosophen, Theaterplastikers, Monstermalers und Selbstformisten ist vielleicht gar nicht möglich, infolgedessen und aus finanziellen Gründen kommen Vor- und Beilieben, Selbstbenotungen und gesellschaftliche Orgien in der Ausstellung etwas zu kurz. Trotzdem hat die NGBK mit Unterstützung der Klassenlotterie, der Stiftung Tagesspiegel und nicht zuletzt privater polnischer Initiative soviel Witkiewiczsche Heimatkunst in der Bethaniensakristei ausgelegt, daß auch die internationalen Qualitätsforscher auf ihre Kosten kommen dürften.
Den Anspruch auf Dekadenz lösen die Bilder aber nur zum Teil ein. Das „Malen von Ungeheuern“, in konvulsiven, verfließenden Formen, wirkt gleichzeitig dekorativ wohldurchdacht, die Ungeheuer wie freundliche Fantasy -Acrylgestalten auf der Motorhaube, die Farben harmonisch bis zur Dissonanz abgestimmt. Tatsächlich hatte sich Witkiewicz nicht nur über eine Farbtheorie bis in zweite und dritte Verwandtschaften, Nachbarschaften und ferne Nachbarschaften Gedanken gemacht. Den eigenen „Hunger nach Form“ mußte er nach seiner Theorie bereits als Krankheitssymptom diagnostizieren, als ständig zu erhöhende Dosis Perversion auf der Suche nach Metaphysik. Im Einklang mit der Theorie - die nebenbei noch nicht widerlegt ist, gesetzt, die gerechte Ordnung ist eine Art höheres Chaos nehmen die Ungeheuer in Öl folglich an auratisch-perverser Kühnheit ab, je später sie angeschaut werden: sind wir doch gegen diese Dosis Profandämonen schon immun. Wietkiewicz erhöhte beständig die Dosis an Kunst und an Leben im Bestreben, alle Kombinationen durchzuspielen bis zum natürlichen Ende der Variationen. „Dann kann man versuchen, alles da capo zu tun“, doch irgendwann wird „keine Form unsern Hunger mehr stillen“. Als 38jähriger hört Witciewicz zu malen auf und widmet sich ausschließlich der „angewandten“ Kunstporträtmalerei nach Auftrag, Fotografie und Theater, als 54jähriger nimmt er sich als Kriegsfreiwilliger das Leben.
Im Künstlerhaus Bethanien ballen sich die Farb- und Formentladungen, steigern sich in ihrer Grundstimmung gegenseitig und durch das Zinnober der Wandflächen. Im Altarraum der völlige Bruch: Witkiewicz vergrößerte Fotografien von Familienangehörigen und Freunden, von sich oder sei ner Frau, an denen er mehr als (Selbst-)Auslöser oder Bodenprobennehmer menschlicher Physiognomien denn als Fotograf beteiligt gewesen scheint. Die Gesichter fallen aus dem Fotopapier oder sind ausschnitthaft überdimensioniert; über dem offensichtlichen formalen Interesse am Bildausschnitt tritt die konkrete Persönlichkeit nicht zurück, im Gegenteil. Witciewiczs Interesse gilt vor allem seinen imaginären Inszenierungsfotos, auf denen er Theater spielt, den übersteigerten Gesten, fanatischem Augenrollen, dem Stummfilmpathos, tragisch, ernst und komisch zugleich, vielleicht weil er ans rechte Maß nicht glauben kann. Offenbar haßt er die absolute Größe in der Kunst, was ihn sympathisch macht: „Ich habe mit der Malerei beendigt, und jeder, der große Anlagen in dieser Richtung macht, erfüllt mich mit Unbehagen. Ich hatte immer Vorgefühle gehabt, daß diese Richtung mit großen Zielsetzungen verhängnisvoll sein muß. Es macht mir sehr leid darüber zu denken, daß du mit so einem Gespenst zu kämpfen hast“, schrieb er an den Adorno -Schüler Hans Cornelius.
Statt der großen Entwürfe blieb er sich über Jahre einem Thema treu, machte Selbstversuche im Kunstlabor. Die expressionistische und kubistische europäische Avantgarde auf der einen, die russischen Konstruktivisten auf der anderen Seite ließ er liegen zugunsten einer Art konkreter Konzeptkunst, die auf Gattungen nicht festzulegen ist. Zwischen 1919 und 1924 schrieb der „Formist“ Witciewicz theoretische Abhandlungen, dreißig Theaterstücke, heiratete und gründete eine Porträtfirma. In den folgenden Jahren malte er in Kategorien von „geschniegelten Porträts“ bis zu deformierten Köpfen unter genau archivierter und ärztlich kontrollierter Zuführung von Drogen: Meskalin, Peyotl, Brom, Kokain mischte er allerdings nach Tageslaune und erweiterte mit „Bierchen“, Wodka, Kaffee. So wird auf der wüstesten Fließvisage neben dem Eierkopf mit Fischschwanz die Signatur und die jeweilige Drogenkombination als chemische Produktionsformel abgehakt plus Entzugserscheinungen („zwei Tage keine Zigaretten“). Der Kunde, verpflichtet, die Geschäftsordnung zu studieren, mußte sich nach Vollendung nicht nur jeglicher Kritik enthalten (Bemerkungen wie „Ich bin zu hübsch hier“, „Bin ich tatsächlich so mißmutig?“) allerdings brauchte er das fertige Bild nicht mitnehmen -, vielmehr konnte „es vorkommen, daß die Firma ihr eigenes Werk von sich aus ablehnt“. Dabei ging es dem Künstler ums schnöde Geld (die geschniegelten waren die teuersten, Konvention macht Arbeit), mehr aber noch ums schnöde Gesamtkunstwerk Mensch, reales Theater mit echten Erfahrungswerten.
Daß Witkiewicz auch heute sein Publikum fände, beweist das Gästebuch der Ausstellung. Von lakonischer Begeisterung wie „Firma sehr in Ordnung“, „Endlich!“, „Uns fehlen die Witkiewiczs“, „An intensely burning flame“ oder „WOW C + Co + Et + Peyotl“ über langatmige poetische Ergüsse mit Paradies und Regentag bis hin zu nachdenklichen Betrachtungen polnischer Besucher über die Rolle polnischer Kunst in West-Berlin. Sie zeigt, daß Polen mehr als Polenmarkt bedeutet, und kann Verständnis für die polnischen Probleme wecken. Einer schreibt sich anstelle des Künstlers mit einem polnischen Originalzitat aus Witkiewiczs Polemik gegen die „ungewaschenen Seelen“, die polnische Bürokratie, ins Buch: „Einzig einzig Schweinerei wird sich überall ausbreiten. S.J.W. Berlin, Juli 90.“ Vielleicht war er, der Fahnenflüchtige und kosmische Patriot, wirklich da.
Dorothee Hackenberg
Stanislaw Ignacy Witkiewicz, nur noch bis 1. Juli täglich 10 -19 Uhr im Künstlerhaus Bethanien, Studio 1, Mariannenplatz 2 in Kreuzberg; Katalog 15 DM
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