Independent-Märchen

 ■ V O R L A U F

(Sara Drivers Sleepwalk, 22.55 Uhr 3 Sat) Die Fernsehzeitschrift bläht sich auf zum Umfang eines Telefonbuchs. Auf 22 Kanälen reihen sich Tag für Tag nichtssagende Titel aneinander. Wer hier eine Empfehlung aussprechen möchte, muß entweder frohen Mutes uralte Geister beschwören (die 125. Wiederholung von „Casablanca“) oder über ein eidetisches Erinnerungsvermögen verfügen, um der haltlosen Titelflut noch Bilder zuzuordnen.

Über den Filmtitel Sleepwalk - Spielfilm, USA/Bundesrepublik Deutschland, 1985, habe ich bestimmt dreimal hinweggelesen, bis das Telefon klingelte und ich beim Abnehmen des Hörers die Kaffeetasse über der Zeitung ergoß. Beim Abtupfen der schwarzen Lache bin ich überraschend auf den Namen Jim Jarmush gestoßen, der in der selben Spalte erwähnt wurde. „Die Kamera“, heißt es da, „führt Sara Drivers Kollege Jim Jarmush, an dessen bereits in 3sat gezeigten Filmen Stranger than Paradise und Down by Law die Regisseurin mitgearbeitet hat“.

Langsam dämmert es. Sleepwalk - war das nicht diese nichtssagend tiefsinnige Independent-Schnulze, die nach dem Erfolg von Down by Law von den Programmkinos nachgeschoben wurde? Richtig! - New Yorker Großstadtdschungel, schräge Bilder, grüner Neonflash, Entfremdungsromantik. Um sich und ihr Kind durchzubringen, arbeitet die alleinstehende Nicole (Suzanne Fletcher) in einer kleinen Werbeagentur. Eines Tages taucht dort ein souveräner Chinese auf und bietet der gelernten Sinologin eine Menge Geld für die Übersetzung eines geheimnisvollen Manuskripts. Die eigenartigen Dinge, die im Zuge der Übersetzung geschehen, schiebt Nicole zunächst auf ihre Übermüdung, denn sie kann nur nach der Arbeit spätnachts an dem mystischen Text arbeiten. Doch jedesmal, wenn sie die Instruktionen des Auftraggebers nicht peinlich genau befolgt, verändern die übersetzten Geschichten ihr Leben und ihre Umgebung. Morde geschehen...

Das atmosphärisch und storymäßig nicht durchweg überzeugende Independent-Märchen sticht zwar aus dem heutigen Programm-Müll etwas heraus, ist aber nicht ganz der optimale Tip, um den Abend 625-zeilig zu beenden. Wer nach halb elf noch die nötige Konzentration aufbringen kann, sollte daher ernsthaft in Erwägung ziehen, ob er nicht mit Reiner Werner Fassbinder und dem super genialen Dirk Bogarde auf West 3 Eine Reise ins Licht unternimmt.

Rie