: Währungsunion als ökonomisches Experiment
■ Stabilitätspolitik ist in der BRD herrschende Doktrin - wie werden sich ab Montag Inflation, Geldmenge, Sparquote und Zinsen verändern?
Frankfurt (ap) - Für die Zunft der Ökonomen beginnt am Sonntag mit Einführung der D-Mark in der DDR das aufregendste Experiment seit der westdeutschen Währungsreform von 1948. „Hier passieren Dinge, die wissenschaftlich außerordentlich interessant sind“, meinte der Würzburger Professor Otmar Issing, Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Im Blickfeld der Volkswirte steht vor allem die Ausweitung der D-Mark -Geldmenge durch die Ablösung der DDR-Mark und ihre ökonomischen Folgen.
Zur Zeit ist in der Bundesrepublik eine Geldmenge von 1,218 Billionen D-Mark im Umlauf - als Bargeld, Sichteinlagen auf Girokonten, Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist sowie Kapitalanlagen in Form von Termingeldern mit einer Laufzeit bis vier Jahren. Nach den zur Wochenmitte veröffentlichten Daten von Ende Mai übertraf diese Summe, von der Bundesbank als Geldmenge M3 bezeichnet, ihren Wert vom vierten Quartal 1989 mit einer saisonbereinigten Jahresrate von vier Prozent. Innerhalb von zwölf Monaten gelangten 47 Milliarden Mark zusätzlich in den Wirtschaftskreislauf - diese Ausweitung entspricht etwa der Steigerung der Gesamtleistung der Volkswirtschaft in diesem Zeitraum, also einer Zunahme des Bruttosozialprodukts von rund vier Prozent.
Mit der Währungsunion fließen weitere 25 Milliarden Mark neu ins Wirtschaftsleben. Das ist Geld, welches die Bundesbank aus gutem Grund bisher zurückgehalten hat, unter anderem, um beschädigte Banknoten gegen neue auszutauschen. Hinzu kommen weitere rund 100 Milliarden D-Mark, die nach der Umstellung zunächst auf irgendwelchen Konten in der DDR liegenbleiben. Da Geld im Prinzip nichts anderes als ein Schuldschein mit dem Versprechen ist, bei Einlösung Güter eines bestimmten Wertes zu erhalten, muß die Bundesbank darauf achten, daß dem Geldumlauf ein entsprechendes Gütervermögen gegenübersteht. Fließt darüber hinaus noch mehr Geld in die Wirtschaft, dann verringert sich der Wert der Währung, am Ende steht die Inflation.
An dieser Stelle wird die Währungsunion spannend: Entspricht der zusätzlichen Geldmenge für die DDR eine ebensogroße Ausweitung des realexistierenden Vermögens? Die Bundesbank hofft, daß es so sein wird. Sie rechnet damit, daß die Geldmenge im gemeinsamen Währungsgebiet beider Staaten um „etwa zehn Prozent“ steigt, also um gut 120 Milliarden Mark, und erklärt: „Diese Schätzung der Ausweitung des 'deutsch-deutschen Geldmantels‘ entspricht etwa den zusätzlichen Produktionsmöglichkeiten der DDR.“ Geht die Rechnung auf, so bleibt die D-Mark auch nach der Währungsreform so stark wie vorher.
In der Bewertung des Produktionspotentials sehen Issing und viele andere Wissenschaftler jedoch „eine große Unsicherheit“. Eine Bestandsaufnahme des Werts aller Produktionsanlagen in der DDR nach westlichen Maßstäben steht ebenso aus wie eine zuverlässige Analyse, wie viele Betriebe sich halten können, wenn sie ab Juli dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt werden. Zudem schätzt Issing die Ausweitung der Geldmenge auf 13 bis 14 Prozent und erwartet somit „ein geringfügig stärkeres monetäres Wachstum“. Daß heißt, es wird wohl etwas mehr Geld in die DDR gepumpt, als es dem Wert der „realen Güterseite“ entspricht. Dies müsse allerdings keineswegs gleich dramatische Folgen haben, betont Issing.
Denn entscheidend wird die Frage sein: „Was machen die Leute mit ihrem Geld?“ Eine rasant ansteigende Nachfrage nach Konsumgütern würde unweigerlich die Preise anschnellen lassen - wie es sich auf dem Markt für Gebrauchtwagen schon beobachten läßt. Die Bundesbank setzt aber darauf, daß die neuen Möglichkeiten zinsattraktiver Anlageformen viele DDR -Bürger dazu veranlassen werden, ihr Erspartes nicht gleich voll in den Konsum zu stecken. Issing verweist auch auf „die Erfahrung, daß es in Zeiten erhöhter wirtschaftlicher Unsicherheit eine größere Sparneigung gibt“. Doch bisher konnten die DDR-Bürger ihre Sparguthaben anders als im Westen jederzeit für Zahlungszwecke einsetzen und haben dies auch getan. Eigentlich sei die Geldmenge in beiden Staaten daher nicht vergleichbar, meint Issing. Zudem haben sich viele im Vorgriff auf die Währungsunion bereits bei Banken und Händlern verschuldet, für ein Auto aus dem Westen oder anderes lang entbehrtes.
Eine weitere Unsicherheit besteht darin, daß niemand weiß, wieviel der Umbau der DDR-Wirtschaft im Endeffekt kosten wird. „Vor allem die Reform des Bankensystems und die Einführung neuer Finanzinstrumente, die Preisreform und die Verfügbarkeit einer stabilen konvertiblen Währung sind gegenwärtig in ihrem Einfluß auf die Geldnachfrage kaum abzuschätzen“, erklärt Horst Reichert von der Dresdner Bank. Bei der Steuerung des Geldmengenwachstums könne sich die Bundesbank daher nur vornehmen, flexibel auf alle Entwicklungen zu reagieren und „sich bei der Geldversorgung allmählich an das angemessene Niveau heranzutasten“. Selbst wenn es dabei zu kurzfristigen Pannen kommen solle, sieht der Ökonom „eine gewisse Stabilität dadurch, daß Wirtschaftskraft und Vermögen der DDR im Vergleich mit der Bundesrepublik gering sind“.
Die ersten vagen Hinweise darauf, ob das Experiment gelingt, werden sich schon in den ersten Julitagen in Geldinstituten und Geschäften der DDR beobachten lassen. Die Entwicklung der Geldmenge im Juli wird aber frühestens Ende August erkennbar sein, wenn die Bundesbank ihre Monatsstatistik veröffentlicht. Allerdings kann sich dieser Zeitpunkt auch noch etwas verzögern: in der DDR muß ein entsprechendes Meldesystem der Banken erst noch aufgebaut werden.
Peter Zschunke
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