: Daimler bricht Rot-Grün
Der Streit um den Potsdamer Platz wird zur Koalitionsfrage in Berlin ■ K O M M E N T A R
Die geschichtsträchtige Wüstenei am Potsdamer Platz scheint nun zur Walstatt der rot-grünen Koalition in Berlin zu werden. Eines sollte die SPD dabei klar sehen: Wenn die Koalition jetzt bricht, bricht sie zu Recht. Mag auch der Streit noch so symbolisch aufgeladen sein, so ist es doch evident, daß die AL-Senatorin nicht im Namen eines symbolischen Antikapitalismus sondern im Namen der Stadt sich gegen die unkeusche Hast der SPD-Mehrheit wehrt, den Investoren aller Länder ein „Signal“ zu geben. Wie der Potsdamer Platz, die wichtigste Brache des geteilten Berlins bebaut wird, entscheidet über die Zukunft des geeinten Berlins. Der Platz ist das Herzstück, das Scharnier zwischen Ost und West und mithin das Paradigma der neuen Metropole. Daß hier mit gesicherten öffentlichen Einspruchsrechten, nach öffentlich akzeptierten Regeln und im übrigen auch mit wertgerechten Grundstückspreisen gebaut werden muß, ist nicht nur vernünftig, sondern auch die Vernunft der rot -grünen Koalition: einer höheren Verantwortung der Öffentlichkeit eine politische Chance zu geben. Durchbricht die SPD dieses Prinzip, ist sie es, die die Koalition bricht.
Gewiß, die Frage, wie die kommenden Haushaltsdefizite, die Mindereinnahmen Ost-Berlins finanziert werden sollen, löst jetzt schon Panik aus. Der Senat sieht sich schon in einer brutalen Standortkonkurrenz mit dem Umland um die Industrieansiedlungen. Gewiß fürchtet der Senat auch die Demagogie, gemischt aus Subventionsstreichungen und Arbeitsplatzangebot und sieht sich zwischen Waigel und Reuter. Es ist auch wahr, daß die AL wenig Bewußtsein und noch weniger Konzepte für die künftige Haushaltsmisere zu bieten hat. Aber das wäre dringender Anlaß für einen öffentlichen Streit um die Zukunft der Stadt. Keinesfalls kann es heißen, daß man bei der ersten Breitseite der Begehrlichkeit vom Flaggschiff der deutschen Industrie die weiße Flagge hisst. Ist Berlin eine Bananenrepublik, die um das Wohlwollen von United Fruit bangt? Ganz abgesehen davon, daß die Senatsmehrheit auf dem besten Weg ist, die Koalition zu beenden, nur weil Edzard Reuters die Kritiker seiner Konzernpolitik mit einem großen Berliner Extraprofit verstummen lassen will. Wenn der Verkauf des Geländes zum lächerlichen Quadratmeterpreis von 1.500 DM, der praktisch einer neunstelligen Subventionierungssumme für Daimler gleichkommt, ein Signal ist, dann ist es ein Signal der Erpreßbarkeit. Der Senat reagiert auf kommende Haushaltsprobleme im überholten Geist des ehemaligen Insulanerpolitikers: durch Kniefälle die Investitionslust westdeutscher Konzernzentralen anzuregen.
Die Entscheidung für Daimler und gegen Rot-Grün wird eine schwere Hypothek für die SPD sein. Einem Drittel der Stadt, das vierzig Jahre Staatssozialismus erlebt hat, wird jetzt Stamokap angeboten. Die SPD mag glauben, daß mit der AL die schärferen Verteilungskämpfe um den geringeren Haushalt, die Streiks und sozialen Konflikte nicht durchzustehen sind. Sie mag jetzt prophylaktisch auf eine große Koalition setzen. Das wird aber heißen, daß die Aufhebung der Teilung nicht mehr Demokratie bringt, sondern die Koalition des Mundtotmachens. Eine Politik, die in dieser Stunde so wenig Zutrauen zur Zukunft, zur zukünftigen Attraktivität der Stadt und zu der Bereitschaft der Berliner, auch unter Schwierigkeiten die Zukunft zu gestalten, zeigt, wird eine schlechte Politik sein. Alle guten Geister werden sie verlassen. Die SPD entscheidet am Sonnabend nicht so sehr über einen Investitionswunsch von Daimler, sondern über einen dramatischen politischen Rückschritt.
Klaus Hartung
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