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„Von Übergriffen wegen Stasi-Listen nichts bekannt“

Kriminalpolizei und DDR-Innenministerium haben keine Kenntnisse über Gewalt gegen Bewohner ehemaliger Stasi-Objekte / DDR-Medien verbreiten Gerüchte / „Ich habe mit jemand gesprochen, der die Leute kennt, die verprügelt worden sind“ / Unbestimmte Furcht  ■  Aus Berlin Petra Bornhöft

Riesengroß waren die Befürchtungen, die taz werde mit der Veröffentlichung von 9.251 Adressen ehemaliger Stasi-Objekte in der DDR eine „Lynchjustiz“, „Pogrome“, „gewalttätige Übergriffe gegen Unschuldige“ auslösen. Tatsächlich - und Gott sei Dank - ist nach Erkenntnissen verschiedener Kriminalpolizeien und des DDR-Innenministeriums nichts dergleichen geschehen. In den vergangenen zwölf Tagen hat die taz in der DDR rund 65.000 Exemplare der Liste verbreitet.

Nicht wenige Anrufer beschweren sich, befürchten „Ausgrenzung und soziale Diskriminierung“. Oft ist es eine unbestimmte Angst vor dem, „was da noch kommen kann“. Diejenigen, die den Sonderdruck bestellen - säckeweise wird eingetütet - nähren diese Furcht nicht. Im Gegenteil. Häufig finden sich in den Briefen Äußerungen wie diese: „Hiermit verpflichte ich mich, keinen Mißbrauch mit der Liste zu betreiben“.

Über einen „Mißbrauch“ des Dokumentes schwirren vor allem in der Hauptstadt Berlin die Gerüchte. So schrieb die Zeitung 'Der Morgen‘, bei der Springer schon fast auf dem Chefsessel sitzt, am 26. Juni: „P.S.: Inzwischen hat es schon die ersten Übergriffe aufgrund der Listenveröffentlichung gegeben“.

Auf Nachfrage erklärte das Blatt, die „Information“ stamme von Dankward Brinksmeier, dem Vorsitzenden des Volkskammerinnenausschusses. Seine Kenntnisse schilderte der SPD-Parlamentarier gegenüber der taz so: „Ich habe mit jemand gesprochen, der die Leute kennt, die aus ihrer Wohnung gezerrt und dann verprügelt wurden.“ Näheres müsse er „nicht belegen“. Er halte die Liste für problematisch, meint indes, „daß eine Veröffentlichung angesichts der Situation in der DDR bitter nötig gewesen ist. Eigentlich hätte der Innenminister die Liste veröffentlichen müssen“. Ein Widerspruch, den LeserInnen der DDR-Zeitungen vergeblich suchen.

Ein weiterer in Journalistenkreisen kolportierter Fall erwies sich als Ente. Der ehemalige DDR-SPD-Vorsitzende Ibrahim Böhme habe erzählt, im Nachbarhaus sei jemand zusammengeschlagen worden. Böhme zur taz: „Dort war eine konspirative Wohnung. Der junge Mann wohnt schon länger nicht mehr dort. Es kam in einer Gaststätte zu einer Prügelei zwischen zwei Betrunkenen und dem ebenfalls angeheiterten Mann. Der Vorfall hat nichts mit der Liste zu tun. Schlägereien und Übergriffe hat es in den vergangenen Wochen immer gegeben.“

Auch verschiedene Kriminalpolizeien haben keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen wachsender Gewalttätigkeit und Stasi-Listen festgestellt. Die Kripo Erfurt registrierte „keine Vorkommnisse“. In Gera sei „vor längerer Zeit ein ehemaliges Stasi-Objekt besetzt worden“. Das Kreiskriminalamt Weimar erteilt der Presse „nur gegen persönliche Vorsprache“ Auskunft. Nach Angaben eines Mitgliedes des örtlichen Untersuchungsausschusses zur Stasi -Auflösung „ist in Weimar die ganze Stasi-Angelegenheit seit Wochen leider überhaupt kein Thema mehr“. In Leipzig fand die Kripo „keinen diensthabenden Offizier, der aussagefähig wäre“ gegenüber der taz. Die Berliner Kripo-Abteilung „Extremismus“ versichert „definitiv, daß in unserem Bereich weder Anzeigen noch Ermittlungen laufen“. Und die Kripo -Pressestelle ergänzt: „In Berlin ist nichts Unliebsames passiert. Ein Vorkommnis hätte Wellen geschlagen“. Weil die „Listenveröffentlichung als äußerst brisant eingeschätzt“ werde, erübrige sich „ein Rundruf in der DDR. Mit Sicherheit wird das Innenministerium informiert, wenn etwas passiert“, sagt der Sprecher der Kriminalpolizei.

Im Diestel-Ministerium ist „nichts bekannt über Zwischenfälle“, so der „diensthabende Pressesprecher“ nach Rückfragen in der Behörde. Telefonnummern von Kripo-Stellen in der DDR rückt er nicht heraus - die Fernsprechauskunft funktioniert nicht, bei den Postämtern ausliegende Telefonbücher aus anderen Städten sind geklaut, die Kripo kennt nur ihr internes Netz. Daß Polizei und Innenministerium teilweise zugeknöpft reagieren und er selbst die Telefonnummern nicht preisgibt, erklärt Diestels Sprachrohr mit dem Satz: „Vielleicht liegt das ja an Ihrer Veröffentlichung.“

Auskünfte

Die von der taz veröffentlichte Liste des staatlichen Komitees zur Auflösung der Stasi mit den Adressen ehemaliger Stasi-Objekte hat viele Fragen zu einzelnen Immobilien ausgelöst. Leider ist es der taz nicht möglich, alles zu beantworten. Offizielle Auskunft ist nur erhältlich bei den örtlichen Bürgerkomitees und den bezirklichen „Arbeitsstäben“ des staatlichen Komitees. Dort, wo keine der beiden Institutionen tätig ist, müßten der Rat der Gemeinde, der Stadt oder des Kreises weiterhelfen können. Erfahrungsgemäß ist Hartnäckigkeit angebracht: Laut Innenministerium hat jede/r das Recht, Einsicht zu nehmen in die Listen.

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