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Ein politischer Prozeß a la justitia bavariae

Was sich in bayerischen Gerichtssälen so abspielt / Amtsrichter erläßt Haftbefehl wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und Beleidigung / Angeklagte werden einen Monat später als Prozeßbesucher in Stammheim festgenommen  ■  Von Luitgard Koch

München (taz) - Wolfgang Simper ist starr vor Zorn. „Wenn der Angeklagte die Kopfbedeckung nicht abnimmt“, droht der drahtige Staatsanwalt, „beantrage ich eine Ordnungsstrafe.“ Was den Ankläger im schwülen Sitzungssaal des Münchner Amtsgericht so auf die Palme bringt, ist eine grüne Schiebermütze mit rotem Stern auf dem Kopf von Johannes L. „Das ist die Kleidung, die der Angeklagte trug, als er in Stammheim festgenommen wurde. Er hatte bisher noch keine Gelegenheit, sich neue zu kaufen“, versucht sein Rechtsanwalt, Michael Reiß, zu erklären. Seit zwei Wochen nämlich sitzt der 25jährige im Münchner Gefängnis Stadelheim ein. Nach einer mehrtägigen Irrfahrt von Gefängnis zu Gefängnis landete er dort nach seiner Festnahme in Stammheim. Dort war Johannes L. einer von vielen Prozeßbesuchern im Verfahren gegen Luitgard Hornstein, der vorgeworfen wird, an einem Anschlag auf Dornier beteiligt gewesen zu sein. Sein Freund Mike war ebenfalls dabei.

„Na Herr L., wie geht's uns denn heute“, begrüßte ihn der Polizeibeamte in Stammheim damals leutselig bei der üblichen Kontrolle vor Prozeßbeginn. Dann in Mittagspause: „Gegen Sie liegt ein Haftbefehl vor“, erklärte ein Beamter den beiden. Die jungen Männer wurden verhaftet. Eine Woche saßen sie dann im Stammheimer Knast, bis sie nach Bayern „verschubt“ wurden und dort im Stadelheimer Gefängnis zwei Wochen auf ihre Gerichtsverhandlung warteten.

„Der Haftbefehl ist nicht rechtmäßig“, protestiert Rechtsanwalt Reiß im Münchner Gerichtssaal. Mit diesem Haftbefehl hat es seine eigene Bewandnis. Angeklagt sind die beiden jungen Männer wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt und Beleidigung. Rechtsanwalt Reiß kann sich nicht erinnern, daß aus diesem Grund schon jemals ein Haftbefehl ausgestellt wurde, noch, daß jemand deshalb drei Wochen hinter Gittern saß. „Die Genannten sind hinreichend dafür bekannt, daß sie einer polizeilichen Vorladung nicht Folge leisten“, schreibt der Polizeibeamte Scheimer an den Staatsanwalt. Für den ist dieser Vermerk Grund genug, einen Haftbefehl zu beantragen. Und Richter Robert Feistkorn tut ihm den Gefallen mit der Begründung, die Angeklagten würden sich ihrem Prozeß entziehen wollen. Zum einen ist es jedoch keineswegs rechtswidrig, reagiert der Anwalt, auf Ladungen der Polizei nicht zu reagieren. Zum anderen hätten die Angeklagten, noch bevor Richter Feistkorn den Haftbefehl ausstellte, mit ihm telefoniert. Zudem schleppe sich das Verfahren bereits ein Jahr hin und die beiden Angeklagten sind zu ihren Verhandlungen immer erschienen.

„Es handelt sich eindeutig um Freiheitsberaubung im Amt“, verliest Mike H. seine Prozeßerklärung. Staatsanwalt Simper kocht. Zum wiederholten Mal hatte er dagegen Einspruch erhoben, daß die beiden Angeklagten ihre Erklärungen vortragen. Über die Hintergründe, warum die beiden Münchner Autonomen angeklagt wurden, will er schon überhaupt nichts hören. „Jetzt entscheide ich“, sichtlich nervös haut Feistkorn mit beiden Händen auf den Richtertisch. „Dem Antrag des Herrn Staatsanwalt wird nicht stattgegeben.“ Rot sieht Simper vor allem, als Mike H. vom früheren Paragraph -129a-Verfahren gegen Wolfgang K. und Janin S. berichtet.

Der Prozeß machte im November 1988 Schlagzeilen. Vor allem als die Münchner Polizei gleich am ersten Verhandlungstag ins Szenelokal „Normal“ einfiel, um mögliche Prozeßbesucher festzunehmen. Angeklagt wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung, wurde daraus zunächst Werbung - und letztlich mußte das Gericht Wolfgang K. freisprechen. Janin S. erhielt zehn Monate Haft auf Bewährung. Auch damals waren Johannes L. und Mike H. Prozeßbesucher. Auf einer Spontankundgebung vor dem Gericht forderten sie die Zusammenlegung der politischen Gefangenen. Kurz darauf räumte die Polizei den Gehsteig. Johannes L. und Mike H. waren dabei und wurden wegen Widerstandes und Beleidigung angezeigt.

„Da ist eine unliebsame politische Meinung, die kriminalisiert wird“, verliest Johannes L. Der vollbesetzte Saal klatscht. „Eigentlich ist das ein glatter Schlag gegen die Würde des Gerichts“, tobt Staatsanwalt Simper inzwischen. Immer noch kämpft er verbissen gegen die Kopfbedeckung des Angeklagten L. Er droht sogar, das Handtuch zu werfen. Da ihm Richter Feistkorn jedoch darauf aufmerksam macht, daß es außer ihm noch viele andere Staatsanwälte gibt, zieht er es vor zu bleiben. „Ich kann auf keine Demo in Bayern gehen, ohne zu wissen, daß ich festgenommen werden, ich kann keine anmelden, da alles vor Angst aufschreit, daß die dann verboten wird.“ Dieses Bild, das Johannes L. von der Inanspruchnahme seiner politischen Grundrechte zeichnet, will Richter Feistkorn nicht in den Kopf. „Wenn das tatsächlich so wäre, wäre das bedrohlich in unserem Staat“, meint er. Trotzdem beharrt er darauf, daß der Haftbefehl zunächst nicht aufgehoben werden kann. „Wir werden das Verfahren nicht aus der Haft herausführen“, lassen ihn die beiden Angeklagten wissen. Die Stimmung im Saal ist inzwischen eskaliert. Im Nebenzimmer warten bereits 30 Polizeibeamte auf ihren Einsatz. Die Angeklagten stimmen die Internationale an. Auf den Zuschauerbänken singt man kräftig mit. Der Gerichtsaal wird geräumt. Auf den Gerichtsgängen prügeln Polizisten die Besucher aus dem Gebäude. Einer von ihnen wird vorübergehend festgenommen. Das Kamerateam der Polizei filmt. Drinnen im Gerichtssaal singen Johannes L. und Mike H. unbeirrt weiter. Die Verhandlung wird unterbrochen. Die beiden Angeklagten werden wieder nach Stadelheim abtransportiert.

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