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Gemischte Gefühle über Tommies

■ Britische Sparpläne und drohender Truppenabzug beunruhigen Verden / Stimmungsbild

„Das ist eine halbe Katastrophe!“, stöhnt Verdens Stadtdirektor Dirk Richter. Am kommenden Sonntag beginnt die deutsch-britische Woche und da verdirbt ihm der britische Verteidigungsminister die Festtagsstimmung.

Der muß nämlich sparen: 1,7 Milliarden Mark im Jahr. Vorsorglich hat er schon mal 33 Tornados abbestellt. Und London denkt laut darüber nach, die britischen Soldaten aus Deutschland abzuziehen. Allein in Niedersachsen sind das 37.000 Mann, die auf die Insel zurück sollen. Verden verliert auf einen Streich jeden 10. Einwohner. Hier ist das Hauptquartier der 1.Division mit 2.500 Soldaten. Die wirtschaftlichen Auswirkungen kneifen den Stadtdirektor ganz schön: rund 4,5 Millionen Mark lassen Armee und britische Soldatenfamilie pro Jahr in der Stadt. 250 deutsche Zivilangestellte verlieren ihren Job, wenn die englischen Rückzugspläne wahr werden.

Vor allem die Verdener Geschäftsleute trifft der überraschende Anschlag der Thatcher-Regierung. Rigo Paul, Geschäfts

führer von Woolworth in Verden, schätzt den Verlust auf über fünf Prozent. Bei den anderen großen Kaufhäusern sind es eher mehr. Das Geld fehlt so auch im Verdener Stadtsäckel. Eine angenehme Seite kann der Verdener Stadtdirektor dem Regierungsbefehl doch noch abgewinnen: die 440 britischen Wohnungen kann er gut gebrauchen. Aber sonst? - Nein - das findet er nicht die feine englische Art. Gerade in Sachen Kultur hält Dirk Richter viel von den Besatzern; es gibt einen deutsch-britischen Club, eine Theatergruppe. Überhaupt haben die fremden Truppen das gesellschaftliche Leben in Verden auf Vordermann gebracht. Die VerdenerInnen selbst sehen das ein bißchen anders.

Die Jungen, Friedensbewegten wollen die englischen Besatzungstruppen lieber gleich nach Hause schicken. Die ganz Alten fürchten noch den Feind im Osten und sind für Hierbleiben. Und die mittlere Generation denkt eher pragmatisch: Wohnungen werden frei, andererseits fehlt das britische Geld. Aber in Gottes Namen, wenn sie gehen wollen,

sollen sie gehen.

Die britischen Soldaten selbst - an Befehl und Gehorsam gewöhnt - halten sich raus. Nur die Ehefrauen sagen laut, daß Verden sowieso nur eine kurze Zwischenstation ist. Am wohlsten fühlen sie sich zu Hause. Ganz militärisch zugeknöpft gibt sich die englischew Divisionsführung in Verden. Traditionell, so heißt es freundlich, äußert sich die britische Armee nicht zu politischen Entscheidungen. Und das immerhin seit 400 Jahren. Doch hinter der vorgehaltenen Hand geben sie zu verstehen: an einen Abzug glaubt man nicht, weil gerade die 1. Britische Division in Verden mit der Bundeswehr militärisch eng verflochten ist. Ja - und außerdem möchte man noch ein Faustpfand für die künftigen Abrüstungsgespräche mit dem Osten behalten.

Also typisch britisch: Abwarten und Teetrinken. Merkwürdig ist bei der Hinhaltetaktik nur: Seit kurzem sind sämtliche Renovierungsarbeiten an britischen Kasernen und Wohnungen in Verden eingestellt worden.

Hans Peter Labonte

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