: 175er: „Sorgfältig ausloten“
■ „Schwules Museum Berlin“ befragte Fraktionen, Regierungen und Parlamente nach ihrer Haltung zum drohenden gesamtdeutschen Schwulenparagraphen 175
Kreuzberg. Wiedereinführung per Wiedervereinigung: Mit dem baldigen völligen Anschluß wird in der DDR wohl auch der Schwulenparagraph 175 übernommen werden. Wie stehen Parteien, Fraktionen, Regierungen und Parlamente in Deutschland-Ost und -West dazu? Zur Frontenklärung fragte das „Schwule Museum Berlin“ aus Kreuzberg von Bundeskanzler bis Vereinigte Linke brieflich nach, wie deren Vorstellungen für die Schaffung eines einheitlichen deutschen Sexualstrafrechts aussehen. Der Verein, der mit dem Aufbau einer Sammlung und eines Archivs seit 1985 auf einen schwulen Musentempel hinarbeitet, schickte am 15. Februar insgesamt 22 Briefe ab. Die Antworten sollten Teil einer Ausstellung über den Paragraphen 175 im Rathaus Schöneberg werden. Zwei Monate später waren erst sieben Antworten eingegangen, nach einem Erinnerungsschreiben kamen noch die Antworten der DDR-Liberalen und des Bundeskanzleramts hinterher.
Was die Antworten angeht, drückte sich das konservative BRD -Spektrum wolkig und damit eindeutig aus. Justizminister Engelhard (FDP) ließ ausrichten, „daß sich noch nicht absehen läßt, welche Folgerungen für das Sexualstrafrecht sich aus einer möglichen Angleichung des Rechts der beiden deutschen Staaten ergeben„. Die CDU/ CSU meint, „aus unserer Sicht spricht vieles dafür, das geltende Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland auf den Geltungsbereich des Gebietes der heutigen DDR auszudehnen“. Das Bundeskanzleramt möchte, daß „die Frage der Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit homosexueller Handlungen sorgfältig ausgelotet„ wird.
Nach 3 Tagen antwortet der Ex-Staatsrat der DDR und muß mangels Gesetzgebungskompetenz passen.
Klar äußern sich das Justizministerium der DDR und die Fraktion der Liberalen in der Volkskammer. Sie setzen sich für die Beibehaltung der DDR-Regelung ein. „Die Aufhebung (...) war eine notwendige gesetzgeberische Konsequenz aufgrund neuerer Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Sexualwissenschaft über die Ursachen der Homosexualität. Wir halten diese Regelung nach wie vor für notwendig und werden bemüht sein, sie in die Rechtsangleichung zwischen beiden deutschen Staaten einzubringen“, meint das DDR -Justizministerium. Die Liberalen „werden sich für die Schaffung eines liberalen Sexualstrafrechts einsetzen“.
Am konsequentesten sind die BRD-Grünen, sie schicken ihre insgesamt drei Gesetzentwürfe zur ersatzlosen Streichung des 175ers. Sie sehen aber zum Zeitpukt der Briefabsendung im März - weil sie den Einheitszug bremsen wollen - „keinen Sinn, an einem gesamtdeutschen Strafrecht zu basteln„. Aber: Die strafrechtliche Gleichstellung von Homo- und Heterosexualität dürfe „nicht unter die Räder kommen„.
Elegant aus der Affäre zieht sich die West-SPD. Sie schickt den Entschließungsantrag, mit dem sie am 29. März dieses Jahres eben den Gesetzentwurf der Grünenfraktion torpedierte: „Die Bundesregierung wird aufgefordert, den Entwurf eines Gesetzes vorzulegen, das strafrechtliche Diskriminierungen von Homosexuellen vermeidet und insgesamt den Schutz von Jugendlichen im Sexualstrafrecht verbessert.„ Genau die Kompromißhaltung, die weiter diskriminiert. Die Herabsetzung des Schutzalters für Jungen auf 14, so die SPD, „erscheint uns zu weitgehend“. Und was Deutsch-Deutsch angeht: „Im übrigen hat sich die SPD -Bundestagsfraktion über Einzelheiten im Zusammenhang mit der notwendigen Vereinheitlichung des Strafrechts in einem künftigen Deutschland noch nicht befaßt.„
kotte
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