: Voglia di vincere?
Noch hat Kamerun nicht verloren / Kleine Chronik der Fußball-Weltmeisterschaft 1990, aus dem Abseits geschildert ■ Von Ralph Raschen
Bologna (taz) - „Ohne Fußball wäre längst die Revolution ausgebrochen“, meint Peter-Paul Zahl, und Il calcio e la sublimazione della guerra, Fußball ist Sublimierung des Krieges, sagt Nello, mein Mitbewohner. Aber damit stehen beide ziemlich weit im Abseits. Fast alle übrigen hier in Italien scheinen das in diesem Juni 1990 nicht so eng zu sehen. Für sie gilt eher das Motto, das Gianna Nannini und Edoardo Bennato mit ihrem WM-Song ausgegeben haben: Voglia di vincere, Lust auf Sieg.
Was die beiden letzteren betrifft, so scheinen deren Gelüste einen recht einfachen Grund zu haben - einen ziemlich schnöden eben. Der größere Teil der übrigen - von Mafia und vergleichbaren Organisationen einmal abgesehen verdient jedoch kaum etwas an diesem monströsen Spektakel im Gegenteil. Über ihre Steuern wurde die ganze Geschichte finanziert. Haben wir den Songtitel vielleicht falsch verstanden? Ist vielleicht eher „Lustgewinn“ gemeint? Die Steuer- und Energiepreiserhöhungen zum Ausgleich des durch die Mondiale erheblich gesteigerten Haushaltsdefizits die Reparationszahlungen sind zu entrichten, ganz gleich, ob der Krieg gewonnen oder verloren wird - sind ja auch erst für den Herbst angekündigt. Ganz im Sinne zweier italienischer Sprüche: L'importante e divertirsi - die Hauptsache ist das Vergnügen - und ci si arrangera irgendwie werden wir uns schon behelfen.
In der Zwischenzeit versucht man, sich den Spaß nicht allzusehr durch postmoderne Hooligans vermiesen zu lassen. Vielleicht liefern die sogar ein kleines nervenkitzelndes Rahmenprogramm. Das womöglich sogar aufregender als der degenerierte Fußball selbst sein kann. Aber darüber kann ich mir kein Urteil erlauben, ich verstehe nichts von Fußball.
Lassen wir also das Nörgeln. Krieg hin, Revolution her, l'importante e divertirsi, hinein ins Vergnügen, du kannst dich ihm ohnehin nicht entziehen. Nicht, daß ich es nicht versucht hätte...
Noch zwei Wochen bis zum Anpfiff: Stazione di Bologna. Ich komme von Norden her dort an, wo ich gern zu Hause sein möchte. Mit mir steigen einige der ersten nordischen Schlachtenbummler (diese Sprache!) aus dem Zug aus: fünf teutonische Dreikäsehochs, die sich scheint's auch gleich hier heimisch fühlen. Sie rotzen in alle vier Himmelsrichtungen um sich, schmeißen ihr Gepäck den anderen Ausgestiegenen vor die Füße und gröhlen, Bierdosen in der Hand. Ein erstes Stück Terrain ist somit bereits für sie gewonnen - um aus dem Bahnhof herauszukommen, ist es notwendig, einen größeren Bogen um sie zu machen. Ich sehe, wie einigen anderen Anwesenden die Kinnlade herunterfällt, grazie a dio, ich bin nicht der einzige, der es gern hätte, daß der ganze Spuk schon vorbei wäre. Va bene, pazienza, denke ich. Die Hauptsache ist, sich nicht aufzuregen.
Noch zwei Stunden bis zum Anpfiff: Ich fahre mit dem Auto stadtauswärts in Richtung Berge, zu einem Bekannten, vielleicht gibt es, wenn genug Leute kommen, dort heute abend ein kleines Fest. Hier in der Stadt hat das Fest bereits begonnen: Stau, eine circa 100 Leute starke Gruppe von Kolumbianerinnen und Kolumbianern behindert den Verkehrsfluß auf dem Altstadtring. Na, die sehen wenigstens lustig aus, rufen „Ciao Italia“! Autohupen, Winkewinke, ciao Italia, ciao, ciao! Und überall Polizisten, Carabinieri wie gut, daß ich gestern endlich die Gurte eingebaut habe! Ich muß noch einmal tanken. An der Tankstelle die schon nicht mehr ganz frische Werbung: „Gewinne mit den Azzurri!“. Oder so ähnlich, ich schaue schon nicht mehr so genau hin. Was haben Benzin und Motoröl mit Fußball zu tun?
Noch zwei Minuten bis zum Anpfiff: Ich bin bei der Berghütte angekommen. Die Ruhe hier tut gut. Paolo hackt Holz, Luca dreht 'nen Joint, zwei andere wachen gerade von einem Nickerchen auf, einer davon bin ich. Eine friedliche Männergesellschaft. Es ist noch einer dazugekommen, der plötzlich ganz nervös wird: „Hat denn keiner 'ne Uhr hier? Gleich beginnt das Spiel. Mir ist Fußball wirklich egal, echt, aber das erste Spiel, das erste Spiel muß man wenigstens gesehen haben! Da wird doch wohl eine Kneipe in dem Dorf sein. Mensch, ist doch geil, mit den Rentnern Wein zu trinken, sich das Spiel reinzuziehen und zu quatschen!“ Und ward nicht mehr gesehen.
Drei Stunden nach dem Anpfiff: Marco ist wieder da, gerade noch rechtzeitig zum Essen. Na, wie war's? „Ganz nett, die Rentner haben mir jede Menge Wein ausgegeben, beim zehnten Glas habe ich aufgehört zu zählen“ - er sieht auch etwas angeschlagen aus - „die waren alle sauer wegen dem Schweinegeld, das die Regierung für die Mondiale zum Fenster rausgeschmissen hat.“ Na, vielleicht gibt es ja Grund zu hoffen, wenn die pensionati sich noch aufregen... Voglia di vincere.
Eine Woche nach dem Anpfiff: Von wegen abseits! Du gehst aus dem Haus, und schon stehst du mitten drin. Jetzt gibt es nicht mehr nur die ewiggleichen Chianti-, Bardolino-, Pinot -, Marsalaweine; wenn du in eine Bar gehst, findest du die Regale mit Italia-90-Wein vollgestopft. In Reih und Glied. Weil du etwas gegen die Vermarktung des Fußballs hast (wenigstens dieses notgedrungene differenzierte Dagegensein läßt du dir nicht nehmen) bestehst du natürlich auf dem Wein des Hauses. Du trinkst ihn zügig aus, auch weil hier der Fernseher läuft, und was siehst du wohl darin? Ein tiefes Grün, in dem sich was bewegt. Bevor sich einer der Davorstehenden doch noch umdrehen und dich fragen könnte, für wen du als Deutscher in Italien denn..., trinkst du dein Glas lieber zügig aus, bezahlst ebenso zügig und bewegst dich Richtung Piazza.
Die Demo müßte eigentlich schon angefangen haben. Die gegen das neue repressive Anti-Drogengesetz aus der Feder von Craxi (der nicht nur meiner Meinung nach wie ein Kokser aussieht). Eine gute Idee, dieses „öffentliche Massenrauchen“ hatte ich gedacht, nur leider fehlt hier beides, die Masse und was zum Rauchen. Die VeranstalterInnen haben ihre Rechnung ohne König Fußball gemacht. Die Kifferinnen und Kiffer geben sich lieber vorerst geschlagen und rauchen heimlich zu Hause vor dem Fernseher, wobei das satte Grün seinen Teil zur Entspannung dazutut. Ach, Revolution...
Ich will noch nicht nach Hause, ich geb mich doch nicht gleich geschlagen! Gut, denk ich, dann mache ich eben einen kleinen Stadtbummel. Nach hundert Schritten springt mich an der Ecke der großen Piazza die Werbung des renommiertesten Pornokinos am Ort an. „Porno mondiale“, Weltmeisterschaftsporno mit „Cicciolina“ (die vom Partito Radicale). Ich gehe doch lieber nach Hause. Kaufe mir noch ein Päckchen Zigaretten. No grazie, die neue „Mundial“ will ich immer noch nicht probieren, meine alte Marke „MS“ ist mir, wenn der Volksmund recht hat (MS: Abkürzung für morte sicura, sicherer Tod) schon starker Tobak genug.
Voglia di vincere? Immer nur zu antworten, Fußball interessiere mich nicht im geringsten, wenn man mich fragt, für welche Nationalmannschaft ich als Deutscher in Italien sei, wird mir jetzt auch zu langweilig. Tifo per il Camerun, ich bin für Kamerun, lautet nunmehr meine Antwort, obwohl ich die Mannschaft noch nie habe spielen sehen. Sie ist eben einfach mitreißend, diese Mondiale. Ob das mit der Revolution stimmt, weiß ich nicht, aber Peter-Paul Zahl hat auch noch was anderes gesagt: „Wer keinen Mut zum Träumen hat, hat keine Kraft zum Kämpfen.“ Ich halte mich daran fest, auch wenn diese mondiale di merda mich eigentlich eines Schlechteren belehren sollte. Noch ist, nein: noch hat Kamerun jedenfalls nicht verloren.
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