Nelson Mandelas Triumphzug durch Amerika

Vor allem das schwarze Amerika feiert seinen „Ersatz„-Helden Nelson Mandela / Für die Schwarzen verkörpert Mandela sowohl das Charisma von Martin Luther King als auch die Radikalität von Malcolm X / Bestrebungen zur Aufhebung von Sanktionen vorläufig verschoben  ■  Aus Washington Rolf Paasch

In dem Land, in dem die Aufmerksamkeitsspanne von 30 Sekunden das Optimum ist, schaffte Mandela das Unmögliche. 12 Tage lang blieben ihm die Medien bei seiner Tour durch die USA auf den Fersen. Und die Begeisterung in den Städten seiner Auftritte nahm im Verlauf seiner Reise eher noch zu als ab: Harlem im afrikanischen Freudentaumel und 80.000 jubilierende Mandela-Fans im New Yorker Yankee-Stadion; 19 stehende Ovationen von den sonst so abgebrühten Volksvertretern beider Häuser des Kongresses und über 200.000 Neugierige auf den Straßen von Boston; ehrfürchtige Stille bei seiner Kranzniederlegung am Grab des schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King in Atlanta und eine wahre Mandela-Manie in Hollywood. Kein Abend vergeht ohne Bilder vom spektakulären Empfang Mandelas in den Nachrichten.

Zwischendurch schaffte es der 71jährige Reisende in Sachen Sanktionen noch, den US-Präsidenten bloßzustellen und den arroganten Starmoderator einer TV-Show zu brüskieren: Nach George Bushs Appell, der ANC möge doch bitte der Gewalt abschwören, mußte sich dieser von dem schwarzen Ex-Häftling in „seinem“ Weißen Haus sagen lassen, er -Bush - sei offensichtlich immer noch nicht richtig über die Situation der Schwarzen in Südafrika informiert. Und dem kritisch nach dem Sinn von Sanktionen fragenden TV-Moderator Ted Koppel beschied Mandela auf „Nightline“: „Das sollte ich nun wirklich besser wissen als Sie, Herr Koppel“. Worauf dieser wohl zum ersten Mal in seiner hochbezahlten TV-Karriere sprachlos war.

Selbst Mandelas Dankadressen an die drei Unpersonen der USA, Fidel Castro, Jassir Arafat und Muammar el Gaddafi für ihre Unterstützung des Befreiungskampfes in Südafrika, konnten ihm nichts anhaben. Amerika, jene dissidentenfreie Zone mit ihrem institutionalisierten Opportunismus, bewunderte den aufrechten Gang des Nelson Mandela.

Nirgendwo jedoch trat die Sehnsucht nach moralischer Anleitung, nach einem prinzipientreuen Führer deutlicher zu Tage als unter den Afro-Amerikanern. Fast ein Vierteljahrhundert nach dem gewaltsamen Tod von Martin Luther King und Malcolm X konnten Amerikas Schwarze 12 Tage lang auf einen neuen Helden blicken, der Kings Charisma und Malcolms Radikalität auf sich zu vereinen scheint. Hier, in den schwarzen Innenstädten der USA, wird die Reise des ANC -Führers denn auch die nachhaltigste Wirkung hinterlassen.

„Ich erwarte“, so schrieb die schwarze Kolumnistin der 'Washington Post‘, daß der Mandela-Besuch den beginnenden schwarzen Aktivismus in Amerika noch weiter fördern wird.“

Aber auch Mandela kann, wenn er am Sonntag erschöpft im Flugzeug nach London sitzen wird, zufrieden auf seine USA -Tour zurückblicken. Nach seinem US-Triumphzug ist hier die Debatte über eine mögliche Aufhebung der Sanktionen gegenüber dem südafrikanischen Apartheidsregime erst einmal auf unbestimmte Zeit verschoben.