: „Dafür gingen wir nicht auf die Straße“
■ Journalisten in Berlin gegen Kahlschlag in DDR-Medien / Ersten Entlassungen bei allen Medien wurden schon vorgenommen / Die Kollegen wehren sich gegen Fremdsteuerung aus Bonn
Berlin (afp) - Wie beschwörend tauchte dieser Satz immer wieder auf: Nein, nicht für ihren Arbeitsplatz ständen sie hier, denn schließlich sei die Auseinandersetzung mit drohender Arbeitslosigkeit heute eine Art Training, das viele Menschen in der DDR durchmachen müßten - ihnen gehe es vielmehr um den Erhalt der Medienlandschaft in der der DDR, die Informationsfreiheit des Bürgers, um nichts weniger als die Bewahrung von in Jahrzehntern gewachsener Kultur.
Vor rund 5.000 KollegInnen und SympathisantInnen klagten am Donnerstag nachmittag JournalistInnen von Rundfunk und Fernsehen der DDR auf dem Alexanderplatz in Berlin den drohenden Kahlschlag in ihren Anstalten an, hinter dem sie in erster Linie politische Absichten vermuten, wiewohl er mit wirtschaftlichen Erwägungen begründet wird. In den Sendern ist die Angst eingezogen, seit Anfang dieser Woche bekannt wurde, daß beim Rundfunk 1.400 Entlassungen vorgenommen werden.
Die ersten „Freisetzungen“ sind per vorgezogenen Ruhestandsregelungen bereits erfolgt. Beim DDR-Fernsehen ist offiziell noch keine Entscheidung gefallen, doch gilt als sicher, daß der 8.000 MitarbeiterInnen starke Moloch ebenfalls drastisch schrumpfen wird. Die Nachrichtenagentur 'adn‘, bangt gleichfalls ums Überleben, ebenso wie die DDR -Filmproduktionsgesellschaft DEFA.
Daß es am Geld fehlt - die Entlassungen beim Rundfunk wurden mit einem Haushaltsloch von über 31 Millionen Mark in der zweiten Jahreshälfte begründet - will Käthe Reichel nicht glauben. Die Brecht-Schülerin und Bühnenschauspielerin ging bei der Demonstration am 4.November in der vordersten Reihe. Doch „dafür sind wir nicht auf die Straße gegangen“, wetterte die zierliche Frau.
Am Geld liege es nicht - die Geldlaster mit der Westmark, die nun alle ins Land kämen, hätten jedoch Lenkräder, „und die werden von Bonn gesteuert“. Nun wolle man diejenigen, die bereits ihre eigene Revolution anderen Siegern überlassen mußten, auch noch um den Arbeitsplatz bringen.
Mit den Rundfunkleuten hat das Ensemblemitglied des Deutschen Theaters in der Vergangenheit viel bei Hörspielen zusammengearbeitet, sie fühlt sich mit ihnen solidarisch. Die 5.000 ZuhörerInnen spendeten Beifall - begeistert oder amüsiert oder auch nur höflich, wie bei dem Auftritt des bundesdeutschen IG-Medien-Chefs Erwin Ferlemann, der sich allzu routiniert kämpferisch gab. Konrad Weiß, Abgeordneter der Volkskammer für das Bündnis90, forderte unter Applaus, als erstes diejenigen „auf einen anderen Arbeitsplatz zu verfrachten, die früher in der ersten Reihe saßen“.
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