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Schotten dicht an der Grenze zur CSFR

Wo vor kurzem noch tausende von DDR-Übersiedlern euphorisch empfangen wurden, jagen jetzt tschechische und bayerische Grenzschützer nach illegal einreisenden Kurden, Vietnamesen und Libanesen / Hoffnung auf grüne Grenze  ■  Von der Grenze Bernd Siegler

„An den Grenzen zeigt sich gleichsam in verdichteter Gestalt, welches Maß an Freiheit ein Land auszeichnet.“ (Bundesinnenminister Schäuble am 31.1.90)

Sanfte Hügel und Karpfenteiche prägen die oberfränkische Landschaft an der Grenze zur CSFR. Die Heuernte läuft auf Hochtouren, Schafe weiden direkt neben den weißblauen Grenzpfosten. Nur die Schilder „Landesgrenze“ und „Pozor Statni Hranice“ weisen auf die CSFR-BRD-Grenze hin. Rostige Masten, an denen bis vor kurzem noch Scheinwerfer hingen, sind die letzten Zeugen des lückenlosen Sperr- und Zaunsystems auf der tschechoslowakischen Seite.

Kurz vor sechs Uhr früh überqueren südlich der oberfränkischen Porzellanstadt Selb zwei Libanesen ohne gültiges Visum für die BRD die inzwischen „grüne Grenze“. Wenige Tage zuvor waren sie, ausgestattet mit einem Transitvisum für die CSFR, auf dem Prager Flughafen angekommen und wollten in der Bundesrepublik nach ihren eigenen Aussagen „Freunde besuchen“. Doch schon 500 Meter hinter der Grenze werden sie von einer Streife des Bundesgrenzschutzes (BGS) gestellt, der Bayerischen Grenzpolizei übergeben, dort erkennungsdienstlich behandelt und nach einer kurzen Befragung wieder der tschechoslowakischen Grenzwache „Puhranicni Straz“ (PS) übergeben - das Ende einer weiten Reise, für die sie alles aufgegeben hatten. Die beiden fügen sich in ihr Schicksal, stellen nicht einmal einen Asylantrag. Um 21 Uhr wiederholt sich das Schauspiel. Diesmal sind es vier Vietnamesen, die nach der Wende in der CSFR dort als „Gastarbeiter“ keine Perspektive mehr sehen. Sie schaffen es immerhin knapp acht Kilometer auf bundesdeutschem Hoheitsgebiet. Kurz vor Rehau fallen sie einer Grenzstreife in die Arme.

Seit die PS-Soldaten in nur fünf Monaten alle Sperranlagen an der 356 Kilometer langen Grenze zu Bayern beseitigt haben, liegt das Augenmerk des BGS nicht mehr auf dem Schutz von Flüchtlingen, sobald diese deutschen Boden erreicht haben - im Gegenteil: „Illegale Grenzübertritte und professionelle Schleusungen sind unsere neue Herausforderung“, bestätigt Werner Mallmann (47), seit 28 Jahren BGSler und derzeit beim Sachgebiet Sicherheit/Grenze bei der Grenzschutzabteilung Süd 4 im oberpfälzischen Nabburg stationiert. Mallmann und sein Kollege Alfred Pfab (34) bezeichnen sich als „Streife zur besonderen Verwendung“, oft sind beide als Zivilstreife tätig.

Knapp 500 aufgegriffene illegale Grenzgänger kann Klaus Papenfuß vom BGS-Kommando Süd in München als Erfolg der verstärkten Streifentätigkeit vermelden. „Die Dunkelziffer ist hoch“, schätzt Papenfuß, die Tendenz steigend. Insbesondere Kurden machen sich auf den Weg über die grüne Grenze, den Rest bilden Rumänen, Iraner, Vietnamesen, Tamilen, Sinti und Roma. Im Hintergrund vermutet Papenfuß professionelle Schleuser. Meist ortskundige Landsleute, aber auch Deutsche verdienen sich eine schnelle Mark an den Flüchtlingen. Zwischen 3.500 und 4.000 DM kostet eine derartige „Pauschalreise“ inklusive Flug ab Istanbul, berichtet Werner Ender, Grenzbeauftragter der Bayerischen Grenzpolizei. Doch Schleuser gehen BGS und Grenzpolizei nur selten ins Netz, obwohl die Zusammenarbeit mit der Grenzbevölkerung („Die sind in diesem Punkt sehr wach“, Mallmann) und mit den CSFR-Behörden „hervorragend klappt“.

Papenfuß lobt die CSFR. „Die sind gewillt, Vertrauen wachsen zu lassen“, vermutet auch BGS-Mann Mallmann, außerdem seien nach der Niederschlagung des Prager Frühlings geschaßte, zur Zusammenarbeit bereite Grenzbeamte jetzt wieder im Dienst. Ein altes Gesicht für Mallmann ist der 60jährige Emanuel Czech, PS-Oberstleutnant in Cheb (Eger). Czech mußte über 20 Jahre im Wald arbeiten, bevor er im April dieses Jahres wieder auf seinen Posten in Cheb zurückkehren konnte. „Wir haben starkes Interesse, die deutschen KollegInnen zu unterstützen, unsere Länder brauchen sich gegenseitig“, meint Czech vieldeutig. Für Peter Fuchs vom BGS in Schwandorf ist der Hintergrund klar: „Die CSFR strebt die Vollmitgliedschaft in der EG an.“ Auf Drängen aus Bonn hat die CSFR die Visabestimmungen für einreisewillige türkische Staatsangehörige inzwischen verschärft. Am 6. Juli sollen konkrete Maßnahmen gegen die illegalen Grenzübertritte verabredet werden. Von der Grenzwache werden die Aufgegriffenen und Rücküberstellten nach Prag gefahren und dort freigelassen. „Am nächsten Tag sind die im Böhmerwald“, erzählt Czech. Dort im Böhmer- und Bayerischen Wald ist die Grenze nicht so leicht einsehbar wie in Oberfranken. „Wir haben hier ein dankbares Gebiet“, bestätigt BGS-Mann Pfab.

Pfab und Mallmann hatten vom Oktober 1989 bis Februar dieses Jahres alle Hände voll zu tun, um ÜbersiedlerInnen aus der DDR zu helfen. „Ohne den BGS wäre der Flüchtlingsstrom nicht zu bewältigen gewesen“, erzählt Mallmann nicht ohne Stolz. Nach Feierabend hätten sie Wohnungen und Arbeitsplätze vermittelt, Kühlschränke und anderes Mobiliar für die Übersiedler organisiert und transportiert. „Das waren Deutsche, jetzt sind es Asiaten“, begründet Pfab die unterschiedliche Behandlung von Flüchtlingen. Mallmann fällt ihm ins Wort: „Aber es sind Menschen; es ist nicht einfach, zu Leuten, die alles aufgegeben haben, zu sagen, ihr müßt zurück.“ Ein „Gewissenskonflikt“ zwar, aber damit müsse er leben. Das ist nicht der erste, den ihm sein Beruf verschafft. Als altgedienter BGS-Mann war Mallmann an vielen Brennpunkten der Republik: Gorleben, Hafenstraße, Startbahn-West und natürlich Wackersdorf. „Ich war gegen die WAA und mußte gegen die WAA-Gegner vorgehen.“ Lautet für Pfab die Devise „Befehl ist Befehl“, präsentiert Mallmann eine Rechtfertigung für sein Vorgehen gegen die Flüchtlinge: „Wenn wir allen Tür und Tor öffnen würden, dann kann es sein, daß wir bald Gäste im eigenen Land sind, dann entsteht Ausländerhaß.“ An den Relationen - damals 1.000 Aussiedler stündlich in Schirnding begeistert empfangen, heute 200 Flüchtlinge im Monat zurückgewiesen - kommt auch Mallmann nicht vorbei. „Wir erfüllen unseren gesetzlichen Auftrag.“

Und der ist klar definiert. Spätestens mit Unterzeichnung des Schengener Abkommens und der Öffnung der Grenzen im Innern kommt der Abschottung der EG-Außengrenzen eine neue Bedeutung zu. Der BGS hat „an den Außengrenzen als Filter und Abschirminstanz zu operieren und dabei nicht nur die eigenen Sicherheitsinteressen, sondern künftig auch die aller Schengener Partner und später sämtlicher EG -Mitgliedsstaaten zu wahren“, so Innenminister Schäuble. Auch im Ostberliner Innenministerium wird eine deutliche Verstärkung der Einheiten entlang der 180 Kilometer langen Grenzen zur CSFR diskutiert. An der Grenze zu Polen, der CSFR und zur See müßten ab 1. Juli die „Interessen aller Deutschen“ gewahrt werden, befürwortet der Sprecher der DDR -Grenztruppen, Hartmut Küken, das Ende des Intermezzos einer durchlässigen Grenze.

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