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Reaktionärer Biologismus

■ betr: "Natürlich weiblich"- (Franz Alt über das neue Buch von Christa Mulack: "Natürlich weiblich - Die Heimatlosigeit der Frau im Patriarchat"), taz vom 22.6.90

betr.: „Natürlich weiblich“ (Franz Alt über das neue Buch von Christa Mulack: „Natürlich weiblich - Die Heimatlosigkeit der Frau im Patriarchat“),

taz vom 22.6.90

Beim Lesen dieses Artikels kriege ich echt die Krise. Biologismus und neue Mütterlichkeit läßt grüßen. Herr Alt hat sich anscheinend nur sehr mangelhaft mit feministischen Theorien beschäftigt, wenn er Gentechnologen mit Feministinnen gleichsetzt.

G.Conrad, Berlin-West

Herr Alt, sie werden senil. Wie anders soll ich mir Ihre affirmative Haltung zu einem Buch erklären, daß in das gleiche Horn mit umgekehrten Vorzeichen bläst, vor dem sie gleich zu Beginn der Besprechung so richtig warnen?

Was soll die Rede von der natürlichen Überlegenheit: „Das 'schwache‘ Geschlecht ist stärker als das 'starke'“.

Wir wissen nicht, ob - und wenn, was - außer der unterschiedlichen Ausprägung der Geschlechtsorgane, die Geschlechter „natürlich“ unterscheidet. Auch nicht Frau Mulack. Fakten wie die Selbsttötungsquote oder Kriminalstatistiken sollen Aufschluß über eine natürliche Ungleichheit geben?

Und gesetzt, es gibt solche natürlichen Unterschiede auch im Psychischen: Was soll denn bitteschön daraus abgeleitet werden? Etwa ein analoger Schwachsinn, zu dem, der sich derzeit mit den dazugehörigen Privilegien auf wenige Zentimeter stützt? (...)

Martin Scholz, Münster

(...) Kaum noch jemand verlangt von Männern, daß sie nicht stark, beschützend, sozialorientiert und ehrfurchtsvoll vor dem Leben sein dürfen, weil das ihrer natürlichen Männlichkeit widerspricht, die sie kriminell egozentrisch und machtgeil werden läßt; andererseits verlangt Alt von Frauen, daß sie nicht verantwortungslos, kinder- und umweltfreundlich sein dürfen (oder gar mächtig und rücksichtslos wie M.Thatcher), weil das ihrer natürlichen Weiblichkeit widerspricht.

Daß es Alt nicht um die Verwirklichung der Frauen geht, macht schon jener Absatz besonders deutlich, in dem er von den Politikergattinnen spricht, die ihren Einfluß auf die Politik geltend machen sollten (fragt sich nur wie? (...) ), während er die Politikerinnen ignoriert und die Quote als frauenfeindlich hinstellt.

Immerhin - diese Art von Feminismus, stellt mir wenigstens die Vorteile vor Augen, die mir der von Alt kritisierte Feminismus (der Frauen) gebracht hat: Die Möglichkeit (als Frau), das zu sein und zu machen, was ich will: ob machtgeil oder kinderlieb oder beides, lesbisch, heterosexuell oder bi, abtreiben oder Kinder haben, egozentrisch oder sozialorientiert sein, oder irgendwo dazwischen, monogam oder polygam zu lieben, Verantwortung übernehmen oder ablehnen. Sollte diese Freiheit einmal für alle Frauen Wirklichkeit geworden sein, dann wird keine mehr ein Interesse daran haben, wie frau am besten der natürlichen Weiblichkeit entspricht.

Daß viele Frauen (aber auch Männer), sich in dieser Gesellschaft heimatlos fühlen, ist kaum zu bestreiten. Allerdings glaube ich, daß Männer sich vor allem deshalb noch geborgener fühlen, weil Frauen weiterhin dazu bereit sind, Männern, Kindern und Hilfsbedürftigen Wärme und Fürsorge zukommen zu lassen, die sie selbst von Männern nicht bekommen. Während dem Mann der Spielraum vorbehalten ist, das sein zu können, was er will, sorgen Frauen dafür, ihm diesen zu erhalten, für den Preis, immer die Stärkere sein zu müssen und sich selbst ungeborgen zu fühlen.

Während Alt für die Möglichkeit plädiert, die Frauen (noch mehr) einzuspannen, um die Gesellschaft und Umwelt lebenswerter zu gestalten, schlage ich vor, sich einfach mal zu weigern.

Christine Plaß, Hannover

(...) Franz Alt behauptet, daß Gleichberechtigung, soweit möglich, erreicht ist und damit diese Forderung ihre Berechtigung verliert, da es eine wirkliche Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann nicht geben kann. Nun sollen Frauen sich auf ihre wahre Befreiung konzentrieren, die in ihrer biologischen Funktion liegt. Alt leugnet also die alles andere als gleichberechtigte Realität von Milliarden von Frauen.

Er spricht auch von den „heiligen Kühen des Feminismus“: Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit. Wir fragen uns, was daran so verwerflich sein soll. Gleiche Berechtigung und gleiche Wertigkeit heißt doch, daß Menschen nicht auf Verhaltensmuster festgelegt werden sollen, sondern jede Existenz in ihrer Vielfalt gleich viel wert und jede Existenzform berechtigt sein sollte. Dies ist eine Forderung von „alten“ Feministinnen und immer noch völlig richtig!

Für Franz Alt haben „alte“ Feministinnen versucht, Identität mit dem Mann zu erkämpfen, zum Manne zu werden. Im Gegenteil wurde versucht, Machtstrukturen zu analysieren und anzugreifen, nicht sie zu übernehmen. Woraus soll feministische Kultur entstanden sein, woher kommt die politische Analyse und daraus folgende Forderungen, wenn Frauen nur versucht haben, Männer zu werden. (...) Es geht nicht darum, biologische, das heißt körperliche Unterschiede zu leugnen. Alt reduziert diesen Ansatz auf die Leugnung dieser Unterschiede und findet dies absurd. Entweder er hat nichts verstanden, oder er vertritt die These - und das halten wir für wahrscheinlicher -, daß weibliche Verhaltensweisen angeboren sind, überwiegend zumindest. Er ist also offensichtlich Anhänger eines reaktionären Biologismus.

(...) Frauen sollen sich auf ihre wahre Bestimmung - zu gebären - besinnen. Tun sie dies nicht, ahmen sie „seine (des Mannes) Gebärunfähigkeit nach“, leisten der Gentechnologie Vorschub. (...) „Alte“ Feministinnen waren die ersten und aktivsten im Kampf gegen Gentechnologie und deren Auswirkungen. Alt aber setzt Herrschaftsinteressen und „alt„-feministische Ziele gleich. Der „neue“ Feminismus kämpft anscheinend dafür, daß alle Frauen sich auf ihre Gebärpflicht, aus Freude und Bestimmung, besinnen. Eine Erfüllung und Selbstverwirklichung außerhalb dieses Bereiches wäre dadurch fehlgeleitet und unmöglich.

Diese These ist sexistisch und alles andere als neu, männlich altbekannt. Sie paßt zu einer Zeit, in der „alte Werte“ wieder auf dem Vormarsch sind, oft verpackt in Thesen, die von fortschrittlichen Wörtern nur so wimmeln, auch dies eine altbekannte Taktik von reaktionären Kräften. (...)

Maria, Emma, Luise, Berlin 36

Christa Mulack hat die Gebärmutter neuentdeckt. Bravo! Frauen steht zu eurem Körper! Was haben wir denn noch in der bösen, unterdrückenden, männlichen Politik, Arbeitswelt und an den Universitäten (die so subjektiv-männliche Wissenschaft verbreiten) zu schaffen? Besinnen wir uns also auf das heimatliche Avalon, wo die Muttermilch fließt und heiße Babyküsse es danken. Nur schade, daß es Probleme gibt, wie zum Beispiel die Eheprostitution oder Überbevölkerung. Möglicherweise könnte ein Rückzug in weiblicher Selbstverherrlichung zum „Eigentor“ in göttlicher Verantwortungsüberlassung führen. Christen, wie Franz Alt, wissen das zu schätzen.

Martina Wolter, Claudia kann ich nicht lesen, Aachen

Daß wir Frauen, uns wieder auf unsere biologische Bestimmung besinnend, unsere Forderungen nach Gleichberechtigung aufgeben, scheint Herrn Alt zu gefallen. Das gefällt vielen Männern. Daß uns dies als unsere wirkliche Befreiung, als wahrer Feminismus angepriesen wird, empört uns. (...) Werden die Forderungen von Feministinnen nach Selbstbestimmung, ihre Analyse der herrschenden Bedingungen als Anpassung an patriarchalische Strukturen verstanden, so hat dieser Mann entweder nichts kapiert oder es hat ihn dermaßen geängstigt, daß er nun erleichtert die Forderung nach „wahrer Emanzipation“ nämlich die Rückbesinnung auf die natürliche Weiblichkeit, biologisch bedingt, feststellen kann.

Große Kritik bringt er da, wo Frau Mulack „feministisch verbissen“, anstatt „feminin flexibel“ schreibt. Nicht Standpunkte vertreten soll frau, sondern ganz natürlich weiblich und nachgiebig sein.

Alles bleibt beim Alten beziehungsweise kehrt dahin zurück. Und das nennt sich dann Fortschritt.

Anette, Gaby, West-Berlin

(...) Es ist ein zweifelhaftes Kompliment für die Autorin, wenn gerade so ein Typ von ihrem feministischen Konzept begeistert ist, sonst ist seine Meinung schlicht uninteressant und auch nicht gerade von allzuviel Sachkenntnis getrübt. „Gleichwertigkeit“ war nie eine heilige Kuh des Feminismus, sondern ein Ablenkungsmanöver des Patriarchats, meist mit dem Zusatz „aber Verschiedenheit“. Der am Anfang genannte „linke Feminismus“ hat nur am Rande was mit 'Emma‘ zu tun, aber schon früh und grundsätzlich kritisch gegen Gentechnologie gearbeitet.

Grundlegend für die ganze Theorie soll der angeblich so große biologische Unterschied sein. Aber worin besteht er? Daß Frauen im Durchschnitt länger leben und weniger Straftaten begehen, ist ja ganz nett, aber für die einzelne Frau bedeutet es erstmal gar nichts.

Was dabei rauskommt, wenn Gebärfähigkeit als Frauen bestimmend angesehen wird, zeigt Alt: Für ihn ist es eine natürliche weibliche Haltung gegen Abtreibung zu sein; dazu paßt, daß Kinder das Wichtigste und das Ziel des ganzen Feminismus sind; und überhaupt geht es um die Potenz zur Mütterlichkeit, die besondere weibliche Identität, die Männer hilfreich ergänzt (wieso fühle ich mich nur so faltal ein ein REP-Programm erinnert?); am Ende weiß Alt schon genau, was lebendiger, erotischer Feminismus ist: nicht feminstisch verbissen, sondern feminin flexibel und ansonsten viele Verben und wenige Fremdworte!

Christa Mulacks Buch ist besser als Alts Besprechung und deshalb so gefährlich, daß eine vernünftige Auseinandersetzung damit nötig ist!

Judith Hartenstein, Berlin-West

(...) Im zweiten Schritt unterstützt Franz Alt die von Mulock aufgestellte These von der Natur der Frau. Sie sei „biologisch bevorzugt“, weil sie Kinder gebären kann. Die Ehrfurcht vor dem Leben sei eine „natürliche weibliche Haltung“. Die Frau sei „gesünder an Leib und Seele“, sie begeht weniger Verbrechen als der Mann. Und das alles nicht aufgrund ihrer Sozialisation, sondern wegen ihrer Biologie. Meiner Meinung nach grenzt diese Theorie an faschistoidem Biologismus. Konsequenz wäre dann zum Beispiel, daß Männer aufgrund ihrer Natur keine Ehrfurcht vor dem Leben haben oder entwickeln können.

Wie stellt Franz Alt sich die „neue“ Frau vor? Als „feminin flexibles“ Wesen, als Frau des „erotischen Feminismus“, ohne „Verkopfung“. Der „Traum von der Liebe“ ist „erotisch“, läßt somit die geistigen und selischen Komponenten untergehen; die Erotik wird also zum grundsätzlichen und bilogischen Element der Frau an oberster Stelle. Weg fällt die geschlechterspezifische Sozialisation, weg fällt die historische Dimension der Entwicklung von Patriarchat und Kapital, alles ist aus der Biologie der Frau/des Mannes abzuleiten.

Völlig merkwürdig auch die Einschätzung zur Machtkomponente. Sie tritt nur in der „Vorstellung“ auf, daß „die deutschen Politiker-Gattinnen“ sich „ihrer Macht, ihrer Würde und ihrer Werte bewußt werden“. Dann nämlich wird alles wieder gut, zum Beispiel „das Vaterland würde (...) Mutterland“, „Kindergärten in der DDR würden nicht geschlossen“, „es würde wirklich und endlich abgerüstet“ und so fort. Anstelle von Frauensolidarität und kollektivem Erkämpfen von Rechten wird subtil der individuelle Einfluß auf den Liebespartner empfohlen. Dies scheint mir ein recht unwahrscheinlicher Weg zum Sturz des Patriarchats, die Methode kann ich höchstens noch als schlechten Witz auffassen.

Insgesamt kann ich diesen Artikel nur als Unverschämtheit werten. Er ist einer produktiven Auseinandersetzung über den Feminismus eher abträglich, da mit (wissentlichen?) Unterstellungen und Fehlinterpretationen seitens seines Verfassers keine diskussionswürdige Grundlage geschaffen wurde. Es ist an der Zeit, wieder eine regelmäßige Frauenseite in die taz aufzunehmen, auf der Platz für einen qualifizierten Austausch gegeben ist.

Regine Lipka, Neumünster

(...) Ich sehe im Gegensatz zu Herrn Alt nicht, wo Gleichberechtigung und Geschlechterdifferenz sich ausschließen. Was sonst als Gleichwertigkeit sollten Frauen anstreben? Wem sollte eine Anderswertigkeit zugute kommen? Den Männern? Der Gesellschaft? Sollen Frauen weiter als unbezahlte Sozialarbeiterinnen, Gebärmaschinen und Objekte der Gesellschaft dienen?

„Die Wahrnehmung geschlechtsspezifischer Unterschiede (...) führt ganz zwangsläufig zu einer Neubewertung von Weiblichkeit überhaupt.“ Unterschiede sind immer wahrgenommen worden. Sie haben dazu geführt, daß Frauen fortwährend ausgenutzt werden. Ich möchte auch nicht mehr als Gleichberechtigung, nicht in den Himmel gehoben werden, wie Herr Alt und Frau Mulack es tun, um den Preis, in einen bestimmten Bereich abgedrängt zu werden.

Simone de Beauvoir hat niemals „weibliche Qualitäten“ und „weibliche Werte“ geleugnet. Sie hat nur gesagt, daß sie anerzogen worden sind.

Ursula Scheus Buchtitel Wir werden nicht als Mädchen geboren - sondern dazu gemacht, bezieht sich nicht auf die biologischen Fakten, sondern auf die anerzogenen Verhaltensmuster.

Ich weiß auch nicht, warum Herr Alt und Frau Mulack, sich so viele Sorgen darum machen, daß „die von Natur aus gebärfähige Frau“ durch die Gentechnologie „endgültig überflüssig gemacht“ wird.

1. Bedeutet das „endgültig“, die Frau ist schon überflüssig, bis auf ihre Gebärfähigkeit?

2. Die Männer sind heute schon überflüssig, was ihren Teil an der Fortpflanzung betrifft. (Ich glaube, Sperma läßt sich fast unbegrenzt konservieren.) Sind Männer deshalb unterdrückt oder nutzlos? Der Naturdeterminismus im folgenden („die Natur hat uns (...) mit (...) gegengeschlechtlichen (...) selischen Anteilen geschaffen“) ist wissenschaftlich nicht haltbar. (...)

Claudia Schraetz, Köln

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