: Diskussion um Christa Wolf
■ betr.: "Bitte um Aufklärung" von Arno Widmann, West-taz vom 14.6.90
betr.: „Bitte um Aufklärung“ von Arno Widmann,
West-taz vom 14.6.90
(...) Ich habe die meisten der Bücher von Christa Wolf gelesen und konnte nirgendwo die von den Autoren beschworene Werbung um Akzeptanz für das hiesige System entdecken. Gelesen wurde sie wohl vor allem deshalb, weil sie öffentlicht nachdachte und weiterfragte, wo andere eilig zur Tagesordnung übergingen. Oder hat der wirklichkeitsferne und korrumpierte Leser ihre subtile ideologische Agitation gar nicht bemerkt? Dämlich waren die Deutschen ja schon immer. Aber es würde mich schon interessieren, ob Herr Widmann die letzten 40 Jahre in der DDR gelebt hat? (Sein Stil assoziiert arrogant-links-intellektuelle Kursbuch -Mentalität.) Denn in diesem Falle dürfte ihm eigentlich nicht entgangen sein, wie genau Christa Wolf die Befindlichkeit vieler Menschen hier artikulierte. Nicht jeder bringt halt soviel Naivität oder Zynismus auf, das westliche System als die verwirklichte humane Utopie zu feiern. (...)
Ulla Kilias, Berlin-Ost
Plädoyer für Kassandra
„Troer, es gibt keine Helena.“ Kassandra weiß, daß diese Frau, wegen der ein zehnjähriger mörderischer Krieg ausgebrochen ist, nicht in Troja weilt, niemals die Stadt betreten hatte. Helena ist nur das Symbol, um einen Krieg, der materielle Hintergründe besitzt (Zugang zum Hellespont), ideologisch zu verbrämen.
Grundmuster der Kassandra-Erzählung Christa Wolfs, und symptomatisch für die Entwicklung der späten siebziger und frühen achtziger Jahre in der DDR. Es war offiziell nur das existent, was die damalige Staatsführung für wahr und richtig erklärte. Punkt. Schluß. Aus. Dieskussionen darüber waren nicht erwünscht, im Gegenteil, sie waren verboten.
In dieser Zeit, als der Schein für das Sein ausgegeben wurde, die Wahrheit nur „parteilich“ sein durfte, erschien das Kassandra-Buch von Christa Wolf. (...)
Das war die Wahrheit, die ungeschminkte Parabel über unsere Gesellschaft, die tagtäglich versuchte, jeden von uns zu verdummen, uns die eigene Meinung zu nehmen. In Kassandra fanden wir uns wieder; der leise mahnende Aufruf nachzudenken, nicht alles gedankenlos hinzunehmen. Auch diese Erzählung gehört zu den Anfängen, die Jahre später in der gewaltlosen „Novemberrevolution“ mündeten.
Aber da jede Revolution ihre Kinder frißt, das mußten nicht nur Danton und Robespierre am eigenen Leib spüren, so haben heute die Leute das Sagen, die damals, im stürmischen Herbst '89, noch still abwarteten.
Und jetzt, da die eigentlichen Macher der Wende wieder in den Hintergrund gedrängt wurden, beginnt ein Kesseltreiben gegen die linken Intellektuellen, ohne deren Vorarbeit die Veränderungen in der DDR und somit auch das künftige einheitliche Deutschland nicht möglich geworden wären. (...)
Roswitha Temper, Kirchberg/DDR
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