Ein Toast für die Königin

■ Wer beim „Ball von Wimbledon“ dem Tabak frönen möchte, muß erst gebührend die Queen begießen

PRESS-SCHLAG

Was macht man eigentlich mit zwei Gabeln, drei Messern, zwei Löffeln und vier Gläsern neben einem kleinen Tellerchen? Diese tiefgreifende Frage stellte sich mir auf dem traditionellen „Ball von Wimbledon“ in der Nacht von Samstag auf Sonntag. Mehr als 1.000 Tennisfreunde und Spieler, davon die meisten manierenfest, kamen, aßen, tranken und tanzten bis in die frühen Morgenstunden hinein.

Der Beginn dieses Spektakels im feinen Londoner Grosvenor House Hotel verzögerte sich allerdings um eine gute Viertelstunde, weil einige der geladenen Gäste in exquisiter Abendgarderobe ihre ganze Aufmerksamkeit einer Fernsehübertragung in der Hoteleingangshalle widmeten. Erst als man ihnen versicherte, daß sie im Ballsaal regelmäßig über den aktuellen Zwischenstand der Fußball WM-Partie Italien gegen Irland informiert werden würden, ließen sie sich ohne jeglichen Widerstand an die Tische nebenan abführen.

Während sich diese dramatischen Szenen im Foyer abspielten, hatte ich genügend Zeit, mir an Tisch Nr. 84 einige passable Entschuldigungen für den Fall auszudenken, daß ich während des Abendessens an irgendeinem Punkt zur falschen Gabel greifen würde. Zu keiner befriedigenden Erklärung dagegen gelang ich bezogen auf die hübsch verpackten Geschenke (Seife, Schokolade und Krawatten, wie sich später herausstellte), die auf Tisch Nr. 84 herumlagen. Um nicht als ungezogener, egoistischer Bengel aufzufallen, entschied ich mich, getreu meiner konservativen Erziehung, die Dinger erst einmal liegen zu lassen. „Es wird schon einer kommen und erklären, was Sache ist“, dachte ich.

Ich Idiot. Kurz darauf nämlich fiel eine Horde von Tennisspielern und Freunden über den Tisch her, räumte alles ab, was nicht niet- und nagelfest war, steckte es in Hosen bzw. Handtaschen und gesellte sich mit einem freundlichen „hello“ zu mir. Also die feine englische Art war so etwas ja wohl nicht. Von nun an galt es, die Augen nicht mehr vom neunteiligen Besteck, vier Gläsern nebst Tellerchen zu nehmen. Man lernt ja schnell.

Als dann wenig später endlich das Essen aufgetischt wurde, mußte ich unbedingt einen Blick auf die Speisekarte werfen, um herauszufinden, was ich denn da vor mir hatte. Erstaunlicherweise war das hübsche Pappkärtchen mit französischen Vokabeln bedruckt. Da hätte ich den Engländern schon mehr Patriotismus zugetraut.

So kann denn auch an dieser Stelle nicht mit Sicherheit geschrieben werden, was denn da seinen Weg vom Tellerchen in den Magen fand. Die Vorspeise war irgendetwas Fischiges, das Hauptgericht eine Art Hähnchen und zum Nachtisch gab es Schokoladenpudding. Geschmacklich in etwa mit der Küche des Ruhrgebiets zu vergleichen, nur halt ein wenig anders.

Laut Karte hatte es auch drei Toasts geben sollen, nur war wohl der Toaster kaputt. Dafür mußten dann die 1.000 Gäste nach Aufforderung des Grafen von Kent ihre Gläser auf die Königin (die nicht da war), die anwesenden Diplomaten (hab keinen einzigen gesehen) und auf „das beste Tennisturnier der Welt“ (die U.S. Open??) erheben.

Übrigens: Nachdem alle auf Elisabeth getrunken hatten, fing der halbe Saal an zu qualmen. Auf mein Anfragen erläuterte ein Engländer neben mir, daß man bei formalen Festen in Großbritannien erst rauchen darf, nachdem man auf die Königin angestoßen hat. Meine Rückfrage, warum man denn nicht schon am Hoteleingang ein Glas in die Hand gedrückt bekommt, um „es“ dann schon hinter sich zu haben, muß ihn wohl beleidigt haben oder so. Jedenfalls redete er dann nicht mehr mit mir.

Schade, daß Becker, Graf, Sabatini und Lendl nicht auch auf dem Ball waren. Ob die sich im letzten Jahr wegen dieser vielen Gabeln, Löffel, Messer und Gläser blamiert haben?

Ralf Stutzki