: Dem alten SED-Denken verhaftet
■ Einige Antworten an Wolfgang Kil und Ähnlichdenkende
DEBATTE
Der Beitrag des Ostberliner Architekten und Kunsthistorikers Wolfgang Kil, „Überwältigung des Überbaus“, der am letzten Freitag auf dieser Seite erschien, darf nicht unerwidert bleiben. Kil erhob Vorwürfe und formulierte Unterstellungen, die vor allem eines offenbaren: Der SED-Staat entläßt seine Kinder noch lange nicht. Antworten sind nötig, weil nicht nur Kil so denkt und redet, sondern noch viele in der Noch -DDR. Antworten sind auch nötig, damit klar wird, wo Kil&Co denken gelernt haben und anscheinend immer noch denken lassen - anders wäre eine solche Aneinanderreihung von Propagandaschablonen aus dem alten Denken jedenfalls nicht denkbar.
Nach der wirtschaftlichen „Einverleibung“ der DDR, so Kil, folge „nun, als absichernde Maßnahme, die Überwältigung des 'Überbaus'“. Wer das so sieht, der sieht den Kapitalismus generalstabsmäßig Schlacht auf Schlacht schlagen, und die gesamte Gesellschaft ist sein Werkzeug. Das hat nun ausgerechnet die SED so gelehrt, die sich ihre gesamte Gesellschaft zum Werkzeug heranzuziehen versuchte. So gedacht folgert Kil prompt: „Auf die ökonomische Umwälzung folgt die 'Kulturrevolution'“. Also hat, nach Kil&Co, der Kapitalismus nur zum Schein und nur vorübergehend diese freundlich-bunte Fratze, und der Imperialismus ist nach wie vor sein höchstes Stadium. Diesen Stamokap-Blödsinn haben eingefleischte Marxisten-Leninisten auch hüben so zwar schon immer behauptet, und manche tun es, auch hüben, nachweislich noch. Aber Blödsinn wird durch Wiederholung nicht wahr.
„Gesprächswillige DDR-Intellektuelle“ würden „zunehmend mit hegemonialer Herablassung konfrontiert“, klagt Kil. Hat er sich schon mal gefragt, ob seine Ost-Kollegen überhaupt gesprächsfähig, diskussionsfähig sind? Sehr viele sind es nämlich nicht. Und die versammelten Kil-Stereotypen sind eigentlich alles andere als diskussionsfördernd! Da Diskussionsunfähigkeit zugestandenermaßen ein weit über die DDR hinaus verbreitetes Phänomen ist, muß Kil selbst als Kronzeuge für wohl doch vorhandene diskussionsfähige West -Intellektuelle herangezogen werden. Kil erwähnt ausdrücklich „traditionell solidarische Ost-West-Gruppen“. Zunehmend werde den Ost-Partnern jedoch von westlichen Teilnehmern, klagt Kil weiter, „Verstocktheit im Beharren auf eigenen, in jahrelanger Arbeitsmühsal entwickelten Gedanken“ vorgeworfen. Vielleicht haben die West-Partner ihre Ost-Kollegen tatsächlich viel zu lange geschont, oder sie waren nur „solidarisch“. Dann waren sie eigentlich weder „Partner“ noch solidarisch - und das wären schon zwei (West-)Fehler. Daß es sie aber gibt, dafür spricht, daß sie „vorher“, so Kil, „das Wachsen der - östlichen - Denkansätze und Lösungsversuche mit wohlwollendem Interesse“ verfolgten. Wahrscheinlicher ist aber, daß die Ost-Kollegen weder vorher noch jetzt so richtig geschnallt haben, was da an Diskussionen und in den Diskussionen wirklich ablief. (Auch Westler haben das Diskutieren, wenn sie es denn gelernt haben, in Jahren und Jahrzehnten meist mühsam lernen müssen!) Der Begriff Diskussion kommt in einer „Partei neuen Typs“, also in einer marxistisch-leninistischen Partei, nur als „Partei-Diskussion“ vor, womit aber nicht Diskussion, sondern Disziplinierung gemeint ist, Einschwören auf Parteikurs und Parteiparolen.
Der taz-Streit um die Veröffentlichung der Stasi-Adressen, schreibt Kil weiter, werde von vielen DDRlern „als ein Kampf um das Recht auf die eigene Geschichte“ erlebt. Verblüffend, mit wieviel Habsucht und Eigensinn die „eigene Geschichte“ partout behalten werden will, statt, was naheläge, von so viel beschissener Geschichte liebend gern ein gerüttelt Maß abgeben oder sie wenigstens teilen zu wollen.
Ein „Recht auf den selbstbestimmten Umgang mit der eigenen Herkunft“ reklamiert Kil - aber wer, bitte, arbeitet in der DDR die eigene Vergangenheit auf? Und wer sagt, wie das geschehen soll?
Und die DDR-Medien!? Für ein paar Wochen, so schien es, war, vor allem im Fernsehen, so etwas wie Umbruch wahrhaftig angesagt. Weil aber niemand ernst machte mit der Nachbereitung der Revolution, wurde sie dann doch wieder keine richtige und verkam zur Wende. Niemand entrümpelte ernsthaft Funkhäuser und Sendezentralen oder entsetzte sie gar. Die Herrschaften blieben und kehrten, ganz selbst -verständlich, bald zurück zum Quasi-Gewohnten. Die meisten Rituale sind wieder da, und Bild und Wort trügen wieder gewaltig. Was jetzt anders scheint, anders klingt, ist nur grad so viel wie unbedingt nötig angepaßt an die jetzige konkrete historische Situation. PDS statt SED, ist doch ganz einfach. Wer hingegen wie Kil meint, Rundfunk und Fernsehen der DDR hätten sich „zu einer völlig neuen Form massenmedialen Selbstverständnisses durchgekämpft“ (wovon sogar bundesdeutsche Anstalten noch lernen sollten!), der hat nichts begriffen. Nichts von der von den Nazis erstmals praktizierten und hochwirksam einstudierten „massenmedialen“ Perfektion, die vom SED-Staat fortgesetzt und - wenn auch am Ende bis zur Lächerlichkeit - weiterperfektioniert wurde; der hat offensichtlich weder vor noch nach der Wende Westfernsehen gesehen oder doch nichts draus gelernt; der kennt jedenfalls weder die Regeln noch die Grundregeln des Journalismus, und der weiß auch nicht, daß sie - selbst wenn sie im bundesdeutschen Medienmarkt und Mediengeschäft immer wieder malträtiert werden - vorhanden und kenntlich sind und, Gott seiDank, praktiziert und notfalls verteidigt werden. Und nicht nur die „Aktuelle Kamera“ ist grad so gewendet wie die alte Partei: Inhalte plus Form ergeben programmübergreifend allzu bekannte und diskreditierte Ideologiezitate. Da Kil aber meint, ausgerechnet Rundfunk und Fernsehen - wie übrigens auch der von ihm als „reformiert“ bezeichnete FDGB, der, so Kil und vermutlich ironisch, „noch rechtzeitig ausgeschaltet werden konnte“ könnten „durchaus zu einem Mobilisierungsfaktor für DDR -Identität taugen“, ist entweder dumm oder „verstockt“ oder ein SEDenker oder alles zusammen. So gesehen wird mit Kil & Co wahrlich schlecht Kirschen essen sein.
Welche DDR-„Identität“ gilt es denn zu retten, falls Identität nicht nur Synonym für Nationalismus ist? Die Identität einer geduckten, zum letztlich bedingungslosen Gehorsam verurteilten Gesellschaft? Die VEB-LPG-Identität, die Land und Leute entrechtete, ausbeutete und buchstäblich vergiftete? Die Nischen-Identitäts-Gesellschaft? Ganz im Gegenteil wäre zu wünschen, daß von alledem möglichst wenig, möglichst gar nichts verbliebe, denn nur das wäre die Chance für eine gemeinsame, bessere Gesellschaft.
Natürlich sind es die Kils & Co, die protestieren und demonstrieren, was ihr gutes Recht ist, wenn jetzt über tausend Leute aus den überbürokratisierten - Kontrolle war ja am Ende fast alles - Funk- und Fernsehhäusern der DDR entlassen werden sollen und demnächst vielleicht Hunderttausende oder mehr aus Verwaltungen und Betriebsleitungen. Und weil es nicht nur Mit-Schuldige und übereifrige Mit-Läufer trifft, sind bei Entlassungen tatsächlich Verantwortung und Umsicht geboten und nicht blindes Wüten. Aber es ist auch das gute Recht all derer, die eine pluralistische Demokratie, also eine wirklich andere Republik als die der SED wollen, all jene zu entlassen, die genau das verhindern möchten und sich zudem noch bestens dafür eignen, weil sie nämlich genau das und kaum etwas anderes gelernt haben. Denn für die überwiegende Zahl dieser Jobs hieß die Eintrittskarte Parteibuch, mindestens aber allerhöchst glaubwürdige Systemloyalität. Nun mag es ja sein, daß es dem einen oder der anderen in solcher Position gelang, den früheren Staat und dessen Partei und deren Kontrolleure höchst glaubwürdig zu beschummeln. Doch selbst dann ist Vorsicht geboten: weil, was als Schummeln begann, jetzt längst Mimikry sein könnte. Davon aber hätten dann wir alle, so oder so, nur noch das Nachsehen.
Was tun? Statt Strafe oder gar Rache: ein paar Jahre Enthaltsamkeit von politischen Ämtern und offiziellen Funktionen und Positionen, jedenfalls all der Chargen aus den ersten, zweiten und dritten Gliedern, und vielleicht ein paar Jahre mitten rein in die Produktion... Getreu dem deutschen Sprichwort, es gibt keinen besseren Demokraten als einen bekehrten Renegaten, könnte das ja mal gutgehen, vielleicht...
Anna Jonas
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