: „Da müssen wir uns wohl durchkämpfen“
■ Kleinstadtalltag mit der neuen Währung / Ein bescheidenes Warenangebot und saftige Preise Eher verhaltene Stimmung ob der historischen Stunde / Wer soll das bezahlen, und wer macht die Preise?
Aus Altlandsberg Jenny Marx
Na, das fängt ja gut an! Der „Konsum“ noch geschlossen, die Kisten im Gemüseladen gähnend leer, die Eisdiele auf „Inventur“, der Seifenladen mit dem verstaubten Sortiment gar nicht erst geöffnet und vor dem HO Schlangen wie gehabt. In den Regalen liegt neben den altbekannten Fruchtdrops jetzt zwar „Lila Pause“ und neben der DDR-Tafelbutter echter Leerdamer Käse, aber die Milch - die Milch! Statt 34 Pfennig kostet sie jetzt 74, und das Kilo Mischbrot ist gleich um drei Mark teurer geworden. Nein, der erste Werktag mit der „härtesten Währung der Welt“ hat für Altlandsberg nicht gerade erhebend angefangen. Aber Altlandsberg ist nicht die Welt, sondern eine Kleinstadt in der DDR, wie es sie zu Tausenden gibt: 3.000 Einwohner, eineinhalb Gaststätten. Zwei LPGs, ein drei Nummern zu großes sowjetisches Ehrenmal, das nach der Wende niemand mehr pflegen mag, ein Storchennest. Einst letzte Postkutschenstation vor Frankfurt/Oder liegt Altlandsberg heute nur gut 30 Autominuten vom Ostberliner Stadtzentrum entfernt.
Dennoch geht hier vieles seinen anderen Gang als in der nahen Hauptstadt. Pferdefuhrwerke sind hier noch Transportmittel, und vor vielen Häusern wird am Samstag der Bürgersteig nicht gefegt, sondern geharkt. D-Mark-Parties, Silvesterknaller, zerbrochene Scheiben, meterlange Endlosschlangen hat man in Altlandsberg am Wochenende nicht gesehen. Vor der Sparkasse, die hier gerade mal zwei Wohnzimmer groß ist, stauten sich am Sonntag kurzfristig zwar die Menschen, aber am Montag gibt es die neuen braunen und blauen Scheine schon ohne Wartezeit. Bei der anderen Auszahlstelle, der Post, hat man längst wieder andere Sorgen: Zu allem Überfluß sind seit einer Woche die Telefonzellen auf Westkleingeld umgestellt, das es noch gar nicht gibt. Nur etwa ein Drittel der Altlandsberger SparbuchbesitzerInnen hat sich sofort das begehrte Westgeld abgeholt. Viele hatten sich zuvor schon anderweitig mit D -Mark versorgt oder mit dem restlichen Alugeld noch schnell einen Vorrat an Grundnahrungsmittel angelegt. Man will ja nicht „gleich das gute Geld ausgeben“, und für die D-Mark „sich 'ne Brüsche rennen“ - kommt nicht in Frage. Die historische Stunde der Geldumstellung - man hat sie in Altlandsberg unspektakulär gemeistert. Der Rentner, der versäumt hat einen Auszahlungsantrag zu stellen, und nun im Flur der Sparkasse ohne Geld vor seinem vorerst gesperrten Konto steht, ist da die Ausnahme.
Nach Festtagsstimmung ist dennoch kaum jemandem zumute in Altlandsberg. „Düster“, „mal abwarten“, „sehr bang“, antworten die PassantInnen auf die Frage nach der Zukunft. Doppelt so teuer wie sonst war der Gang in den HO-Laden, und dabei hat sie doch nur das nötigste gekauft, rechnet eine junge Frau nachdenklich den ersten D-Mark-Einkauf nach und hofft, daß zumindest bei den Grundnahrungsmitteln bald wieder mehr billige DDR-Produkte in den Regalen stehen. „25 Pfennig für eine einfache Schrippe, die vorher fünf gekostet hat, Mieten und Strom werden teurer - wie soll das gehen von unseren Renten?“ schütteln zwei alte Frauen die Köpfe. „Aber was soll man machen. Da werden wir uns wohl durchkämpfen müssen.“
Uneingeschränkt „geil!“ beurteilen nur die Altlandsberger Schüler die Wirtschafts- und Währungsunion. In der großen Pause wird das kleine Spielwarengeschäft mit seinem neuen Sortiment gestürmt. Schulthema heute: Soll man das einen Tag alte neue Taschengeld lieber in eine Benjamin Blümchen -Kassette, eine neonfarbene Sonnenbrille für 99 Pfennig oder einen Düsenjet Marke „skybuster“ investieren. Die älteren Bürger der Stadt wollen das neue Geld lieber zusammenhalten. Sicher: Es gibt den Neffen, der sich seine neue Wohnung via Kredit mit Westmöbeln ausstatten mußte und von den rund 30 Westautos auf dem Gebrauchtwagenmarkt, trägt beinah die Hälfte das Schild „verkauft“ oder „bestellt“. Doch auch Worte wie „Verbrecher“ und „Gauner, die uns hier für acht Mille so 'ne Schrottkarre andrehen wollen“, machen die Runde.
Werner Hildebrandt (Name von der Redaktion geändert) hat da im Moment ganz andere Sorgen. Ihn interessieren im Moment nicht die Preise, die er zahlen soll, sondern die er machen muß. Als Mitarbeiter einer 25 Mann großen Kfz -Produktionsgenossenschaft kreisen seit Wochen Bilanzen, Steuerklassen und Kalkulationen durch seinen Kopf. „Das geht zu schnell. Man kommt mit den Informationen nicht mehr nach. Man wird einfach überrollt“, schwitzt CDU-Mitglied Hildebrandt. „Welchen Lohn sollen wir unseren Leuten im nächsten Monat zahlen? Weiß ich, ob die Mehrwertsteuer auf den Preis draufgeschlagen wird oder inklusive ist? Und wie soll ich 'nen Preis für eine Reparatur machen, wenn ich noch nicht einmal weiß, was die Ersatzteile kosten? Nee, das ist alles zuviel. Da kriegste entweder 'nen Herzinfarkt oder landest in der Klappsmühle.“ „Wir arbeiten zur Zeit nur auf Zuruf“, stimmt Altlandsbergs Bürgermeister Rene Koht zu. „Die Gesetze, die da jeden Tag in Ost-Berlin verabschiedet werden, sind noch nicht einmal gedruckt, aber wir sollen danach handeln.“ Mit 28 Jahren ist der vollbärtige CDU-Mann einer der jüngsten Stadtoberen der DDR. Als Bürgermeister ist Koht gleichzeitig Dienstherr der 160 Beschäftigten der Kommune, und die wollen auch bezahlt werden. Aber auch dafür gibt es noch keine Steuertabellen, und das Geld für die im März von der Regierung bewilligten Lohnzuschläge ist offenbar zwischen Berlin und Altlandsberg in ein Loch gefallen und muß aus der Gemeindekasse vorgestreckt werden. Auch im kommunalen Haushalt muß neu kalkuliert werden - nur wie berechnet man die Kosten für das Schulessen, wenn man nicht weiß, was die Milch morgen kostet, wie den Preis für einen Krippenplatz? Koht hat da erstmal über den Daumen gepeilt, daß 80 D-Mark statt der bisher 25 für einen Krippenplatz angemessen seien. Ab 1991 muß auch Altlandsberg seinen Stadthaushalt selbst finanzieren. An steuerträchtigen Unternehmensansiedlungen führt daher kein Weg vorbei. Koht beharrt zwar: „Wir nehmen nicht jeden ersten besten, sondern wollen hier einen vernünftigen Nutzungsplan aufstellen.“ Doch spätestens in 15 Jahren wird die einstige Postkutschenstation Altlandsberg eine Vorstadt des gefräßigen Berlins sein.
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