: Lenins Urenkel müssen zurück zu den Wurzeln
■ Die KPdSU muß unter den Bedingungen der Perestroika an ihre verschütteten Traditionen anknüpfen
„Zwei Parteitage - zwei Parteien“, so charakterisierte Wladimir Iljitsch Lenin die „Lage“ der marxistischen Organisationen am Vorabend der Revolution von 1905. Denn was sich schon auf dem 2. Parteitag der 1898 gegründeten „Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands“ (SDAPR) im Jahre 1903 zugetragen hatte - die Spaltung der marxistisch ausgerichteten Sozialdemokraten in zwei Richtungen, in einen fälschlicherweise als „Menschiwicki“ (Minderheit) und einen Bolschewicki (Mehrheit) bezeichneten Flügel -, verfestigte sich auf dem 3. Parteitag der SDAPR-Bolschewicki 1905 in London: Die „revolutionäre“ Sozialdemokratie war „unwiederbringlich“ gespalten. Während die vor allem aus Intellektuellen geformten Bolschewicki das Fundament für die Theorie der „Diktatur des Proletariats“, die ja bekanntermaßen in der monolithischen „Diktatur der Partei“ endete, legten, blieben die Menschewicki in unterschiedliche Fraktionen gepalten. Weil für sie aber weiterhin die Frage des Verhältnisses von Demokratie und proletarischer Revolution eine große Rolle spielte - und sie deshalb die Bildung einer monolithischen Kaderpartei und den „demokratischen Zentralismus“ folgerichtig ablehnten -, sind ihre Theoretiker wie Plechanow und Martow heute in der Sowjetunion erneut interessant geworden.
Wenn jetzt wieder, trotz der sich abzeichnenden konservativen Mehrheit auf dem 28. Parteitag, an sozialdemokratische Wurzeln gerührt wird, dann auch gerade bei diesem Inhalt: die KPdSU muß unter den Bedingungen der Perestroika an die lange verschütteten, ja buchstäblich „eliminierten“ Traditionen der vorrevolutionären Auseinandersetzungen anknüpfen. Denn am liebsten würden sich viele Kommunisten, so wie die in anderen Ländern Ostmitteleuropas auch, in sozialdemokratische Parteien umformieren. Die litauische Partei hat dafür ein Beispiel gegeben.
Zwar sieht es zu Beginn des 28. Parteitages noch nicht so aus. Wollte sich die Partei entlang der Ideen Gorbatschows reformieren, müßte sich dieser Parteitag zu einem der großen Parteitage entwickeln, der die „Fehler“ der vielen vorausgehenden korrigiert: Auf dem 10. (1921) wurde mit Einwilligung Lenins die innerparteiliche Demokratie abgeschafft, die den Aufstieg Stalins ermöglichte. Diesem gelang es sogar, sich auf dem nach der Kollektivierung und der Entwicklung des Gulagsystems folgenden Parteitag 1934 über die Partei zu erheben: die Ausschaltung der alten Garde war die Folge. Die auf dem 20. Parteitag unter Chruschtschow 1956 vorgenommene „Entstalinisierung“ hat die meisten „Deformationen“ der Einparteienherrschaft nicht beseitigt. Den Urenkeln der unter Lenin auf die „Vorhut des Proletariats“ reduzierten und nach der Revolution von 1917 zur KPdSU aufgestiegenen Bolschewicki bleibt nach der Diskussion über die Fraktionen der 20er Jahre in der Partei, über die inzwischen rehabilitierten Opfer Stalins und der Veröffentlichung sogar von Trotzkis Werken, nun auch die Diskussion über die Rolle Lenins gegenüber den anderen „Sozialdemokraten“ nicht erspart. Auch wenn es nicht zu einer Wiedervereinigung der beiden Flügel der Sozialdemokratie kommen kann: das Thema heute entspricht dem von damals. Welche Rolle soll die KP im Rahmen einer Demokratie spielen, kann es mit dem „demokratischen Zentralismus“ so weitergehen, ja „schlimmer“ noch, wie definieren sich die Kommunisten im Rahmen eines Mehrparteiensystems?
Erich Rathfelder
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