: DDR deckt Schalck-Golodkowski
■ Der per Haftbefehl gesuchte Devisenbeschaffer Honeckers darf mit Hilfe der DDR-Staatsanwaltschaft seine Beute aus der DDR abholen / Eine Rechtsgrundlage für den Transfer ist nicht erkennbar
Von Kintzinger und Malzahn
Berlin (taz) - Der in der DDR per Haftbefehl gesuchte Exstaatssekretär, Stasi-Oberst und Chefdevisenbeschaffer des alten SED/CDU/LDPD-Staates, Alexander Schalck-Golodkowski, genießt noch mehr Privilegien als bisher angenommen. Schalck hält sich in der Bundesrepublik auf, sein Wohnsitz ist zumindest dem Bundesnachrichtendienst (BND) bekannt - und wird nicht ausgeliefert. Jetzt darf er zudem die „Besitztümer“ aus seinen ehemaligen Immobilien holen. Und das, obwohl seine Villa in Ost-Berlin als auch sein Wochenendhaus an einem malerisch gelegenen See in Gollin rund 70 Kilometer nördlich von Berlin - beschlagnahmt und versiegelt sind.
Die taz wurde gestern Zeuge, wie Schalck-Helfer gemeinsam mit dem für Gollin zuständigen Kreisstaatsanwalt von Schönbeck, Hagen, die Versiegelung aufbrachen und Möbel, Unterlagen sowie andere Wertgegenstände in einen LKW und mehrere Personenkraftwagen verluden. Kreisstaatsanwalt Hagen räumte ein, er kenne die Rechtsgrundlage für sein Handeln nicht. Ihm sei das juristische Problem bewußt, als Staatsanwalt beschlagnahmtes Material über die Grenze schaffen zu lassen. Die einzige Legitimation für seine Amtshilfe sei ein Telefonanruf der für den Fall Schalck -Golodkowski zuständigen Generalstaatsanwaltschaft der DDR. Die Pressestelle des Generalstaatsanwaltes bestätigte diese Aussage: „Abgeholt werden dürfen aber nur persönliche Gegenstände, die nicht illegal erworben wurden.“ Wie der kostspielige Besitz Schalcks als „persönlich“ zu definieren ist, wußte der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft jedoch nicht. Hagen, der bereits vor der Wende als Kreisstaatsanwalt von Schönbeck fungierte, klärte auch die herbeigerufene Kriminalpolizei nicht näher über die Hintergründe dieser Nacht- und Nebelaktion auf. Und weder Hagen noch die Kriminalpolizisten erkundigten sich bei einem der Schalck-Helfer nach dem Verbleib des millionenschweren Devisenschiebers. Das Gespräch zwischen den Vopos und Hagen nahm eine knappe Minute in Anspruch, dann zogen die Vopos unverrichteteter Dinge und schweigend ab.
Der Coup war generalstabsmäßig geplant worden. Mittelsmänner Schalcks aus der DDR hatten sich mit einer Westberliner Spedition am Kreuzberger Moritzplatz getroffen, waren von dort aus im Konvoi aufgebrochen und leiteten die Möbelpacker nach Gollin. Ursprünglich sollte der Umzug schon in der letzten Woche über die Bühne gehen. Da bestand aber immerhin noch die theoretische Gefahr, von einem Grenzposten kontrolliert zu werden. Seit Sonntag sind die Grenzen jedoch restlos offen, und diesen Termin wollte Schalck abwarten. Seine Beute soll in einem Westberliner Möbellager zwischengelagert und später in ein westdeutsches Bundesland weitertransportiert werden. Die auffälligsten Wertgegenstände sind allerdings schon vor Monaten von der DDR-Staatsanwaltschaft abgeholt worden - etwa ein echter Chagall aus seiner Ostberliner Villa. Nach Angaben der Golliner Bürgermeisterin Renate Hasse ist das Wochenendhaus Schalcks mit teuren West-Möbeln, einer Sauna und „einem gut eingerichteten Jagdzimmer“ versehen. Was sich in verschiedenen Tresoren im Untergeschoß befindet, weiß aber auch sie nicht. Das Wochenendhaus war Schalck 1977 auf Vorschlag von Ex-Wirtschaftsminister Günter Mittag als Geschenk Erich Honeckers für die „außerordentlichen Leistungen“ gebaut worden. Kosten: 80.000 Valuta-Mark. Von einem großen Garten umgeben, reicht das mitten im Wald gelegene Grundstück bis an den Golliner See Bootsanlegestelle inklusive.
Schalck wird vorgeworfen, sich am „sozialistischen Volkseigentum“ vergriffen und Millionenbeträge ins Ausland transferiert zu haben - ohne Belege. Er habe auch als Beschaffer von Luxusgütern für die SED-Spitze fungiert. Nach seiner Flucht im Dezember 1989 hatte Schalck fünf Wochen in Westberliner Untersuchungshaft gesessen, war dann aber freigelassen worden. Der Mann mit den besten Westkontakten der DDR packte beim BND in Pullach bei München aus. Sein Wissen über Interna aus dem alten DDR-Apparat wird ebenso gefürchtet wie seine Detailkenntnisse über westdeutsche Politiker - etwa über Franz-Josef Strauß, der zusammen mit Schalck den sogenannten Milliardenkredit für die DDR eingefädelt hatte. Gollins Bürgermeisterin Hasse, zusammen mit der Polizei eingetroffen, schäumte vor Wut: „Ich seh‘ es kommen - nach der Einheit kriegt der auch noch diese Luxus -Datsche zurück.“
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