: „Good Girls and Bad Guys“
■ Das Broadway-Musical „Guys and Dolls“ in Hamburg
Nach dem Zauberwald des Black Rider und Andrew Lloyd Webbers pompösen Opernphantom erobert nun der Broadway eine Hamburger Bühne: Bunte Nachtclubgirls bevölkern ihn, und Männer mit Namen wie Harry the Horse, Brandy Bottle Bales oder Gigolo Georgie. Dazwischen HeilsarmeesoldatInnen, eine Nonne auf Rollschuhen, ein zigarrerauchendes Baby - letztere werden im weiteren Verlauf keine Rolle mehr spielen.
Für die kleinen Gangster und Lückensteher dieses Musical -Broadways der 30er Jahre gibt es nichts Wichtigeres, als sich ihrem geliebten Würfelspiel Crap zu widmen und dafür, da illegal, immer wieder einen neuen Raum zu finden. Das Wichtigste für die „Dolls“ ist, männliche Nichtstuer zu arbeitsamen Ehemännern zu machen, und die Heilsarmee schließlich will Seelen retten. Wenn diese Basisbedürfnisse sich begegnen, gibt es Komplikationen, fast wie im wirklichen Leben, und aus dieser Mischung aller Klischees schlägt das Musical erbarmungslos Funken. Spieler Sky trifft Heilsarmee-Mädchen, wettet mit Spieler Nathan, daß er es schafft, mit ihr nach Havanna zum Essen zu fliegen, währenddessen in der Save-a-Soul-Mission gezockt wird. Am Ende steht die Doppelhochzeit in weiß, Zocker und Heilsarmee haben sich vereint und alle, alle steppen gemeinsam auf dem Broadway.
Nichts ist wahr an Geschichten dieser Art, und doch stimmt (fast) alles. Die Wahrheit eines Musicals liegt in seinem Rhythmus, seiner Farbigkeit, seiner Künstlichkeit, seinem Spiel mit den großen Gefühlen: Der schwarze Zocker Sky (Hugh Quarshie) und die Seelenrettungsmissionarin Sarah Brown (Susanne Schäfer), Erfindungen des in den 30er und 40er Jahren berühmten Broadway-Reporters Damon Runyon, haben eine Liebesgeschichte wie im Kino, und das muß so sein, weil mit solchen Geschichten die Broadway-Musicals den Kinos das Publikum abwarben. Das gelang ihnen, weil die Menschen auf der Bühne wunderbar tanzten, schnell und perfekt choreographiert, weil die Songs zu Schlagern wurden, und weil die Geschichten eben nicht wie das Leben waren, sondern wie der Traum vom Leben.
Guys and Dolls wurde 1950 euphorisch gefeiert. Gelingt es auch noch heute? Die Geschichten von den Bad Guys, die ihre Dolls dringend brauchen, das aber erst noch kapieren müssen, ist vor allem deshalb amüsant, weil sie nicht mehr sein will, als sie ist: nicht nur ein Musical-Märchen, sondern auch eine freche, ironische Parodie auf amerikanische und andere Träume. Wenn das Revue-Girl Miss Adelaide (Christa Berndl) ihrem kleinen Ganoven Nathan Detroit (Wolf Dietrich Berg) vom trauten Heim mit fünf Kindern und Tapeten vorschwärmt, um ihn nach 14jähriger Verlobung zur Ehe zu verlocken, muß das wirklich niemand ernst nehmen, und die „dumme Blondine“ ist, wie schon einige berühmte Vorbilder, wirklich komisch, dank Christa Berndl.
Regisseur Michael Bogdanov nimmt seine Guys und Dolls so ernst, wie es Kunstgeschöpfen gebührt; sie brechen in Liebesschwüre aus, und im nächsten Satz lügen sie dreist, alle, die braven und die bösen gleichermaßen. Das wäre immer noch albern genug, würde Bogdanov nicht zugleich auch Menschen und Szenerie zum Tanzen bringen. Gelbe Taxis schweben herab, zwinkern mit den Lichtern für die Dauer eines Telefongesprächs verschwinden wieder, und jeder weiß, daß sie ebenso aus Pappe sind wie die Skyline New Yorks. Der Schauplatz vor Mindy's Delikatessen und der Save-a-Soul -Mission verschiebt sich von Szene zu Szene, wird zum Hotbox -Variete mit Miß Adelaide und den Hotbox-Girls, wandelt sich zum kitschigen Traum-Havanna vor Sonnenuntergang oder führt geradewegs in die Katakomben New Yorks. Und überall dort wird getanzt: das Würfelspiel als Männertanz, der kubanische Sambaverschnitt als Anmache und Kneipenprügelei. Arthur Holitscher schrieb über den Broadway, es werde einem schlecht, wenn man dort durchfährt, und Stefan Zweig sah sich von Rhythmus dieser berühmten Straße hinweggeschwemmt wie abgefaultes Holz. Die Hamburger Guys and Dolls schwemmen niemanden weg, es wird sicher keinem schlecht, und wer tiefere Bedeutung sucht, sucht am falschen Ort. A musical is a musical is a musical? Nicht immer. Nur wenn es, wie hier, gut gemacht ist.
Lore Kleinert
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