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Beim Fußball gibt es kein Verursacherprinzip

■ Wenn es um Gewalt geht im Zusammenhang mit Fans und Hooligans leidet bei vielen das Differenzierungsvermögen

Aus Rom Herr Thömmes

Die Demonstranten wollten eigentlich nur ihren Protest gegen den Bau des Atomkraftwerks kundtun. Doch die Polizei hatte allerhand Überraschungen parat: Viele Zufahrtswege waren gesperrt, wer durch die dichte Polizeikette wollte mußte sein Auto durchsuchen lassen; Benzinkanister wurden beschlagnahmt (Molotow-Cocktails) wie Werkzeugtaschen (Waffen); Transparente und Stangen waren plötzlich gefährliche Gegenstände; beim Anmarsch zum Bauplatz begleiten martialische Beamte jeden auf Schritt und Tritt; tieffliegende Hubschrauber kreisen mit ohrenbetäubendem Lärm über den Köpfen; seit Wochen berichtet die Presse, Zehntausende Gewalttäter würden anreisen („Terrortouristen“) und furchtbare Schäden hinterlassen. Als dann einige Demonstranten den Bauzaun überklettern schlägt die Polizei zu: Willkürlich werden Personen abgegriffen, in Transportern weggeschafft, auf dem Weg ins Gefängnis mit Schlägen traktiert und anschließend mit einer Anzeige wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt bedacht.

Das alles kommt einem bekannt vor, wer würde bezweifeln, daß es so war, so gewesen sein könnte? Bloß: Seit drei Wochen sind das Bedingungen für viele (nicht nur) englische Fußballfans bei der Weltmeisterschaft. Und dann ist offenbar vieles anders.

Nach den ersten Krawallen gab es innerhalb der taz Kritik an der eigenen Berichterstattung; von Verharmlosung war die Rede, eine seltsame Deutschtümelei sei zwischen den Zeilen zu lesen. Alle hatten am Abend zuvor die Fernsehbilder gesehen und wußten genau Bescheid. Ein Redakteur, der gern als Querdenker gilt, verabschiedet sich so schnell von der Diskussion, wie sie beginnt: Er habe volles Verständnis, wenn die Rabauken abgeschoben oder eingebuchtet würden. Frage: Würden wir nach dem 1. Mai in Kreuzberg unsere Artikel auch ausschließlich aus Quellen wie TV-Aufnahmen, Presseagenturen und Polizeiberichten speisen?

Bundesdeutsche Zeitungen erhalten ihre Nachrichten über diese WM hauptsächlich aus zwei Quellen: der Deutschen Presse-Agentur (dpa) und dem Sportinformationsdienst (sid). Die beiden Konkurrenten prüfen regelmäßig ihre Abdruckquoten bei den Zeitungen, die fast alle Abonnenten dieser Agenturen sind. In der Berichterstattung zum Thema Hooligans/Gewalt/Fans habe diejenige Agentur besser abgeschnitten, deren Aufmachung reißerischer war, erzählen Kollegen. Da liegt die Vermutung nahe, daß bei nächster Gelegenheit vielleicht auch die Konkurrenz nachzieht. Wenn die Redaktionen es so wollen - wer produziert schon gern für den Papierkorb?

In einer Nacht sind in Rom 2.500 Beamte im Einsatz, am anderen Tag wird die Verhaftung von 5 Personen bekanntgegeben, mehrere Autos wurden beschädigt. Das entspricht in etwa den Folgen der in fast allen Medien beschriebenen „Schlacht um Cagliari“. Nur in Rom handelte es sich um die Freudenfeier italienischer tifosi nach dem 2:0 gegen Uruguay.

Vielleicht muß man einmal längere Zeit aus der Nähe beobachtet haben, wie die Zuschauer hier ins Stadion gehen, um zu verstehen, welchen Kulturschock der Auftritt z.B. deutscher, belgischer, holländischer und englischer Fußballfans in Italien auslöst. Während viele Ausländer schon tagsüber barbäuchig und in kurzen Hosen durch die Innenstadt ziehen, kommen die meisten Italiener und Italienerinnen (ja, es sind erstaunlich viele Frauen darunter) zum Fußball wie das Premierenpublikum der Berliner Volksbühne.

Fußballfans gelten als Dummbeutel, potentiell rechtsradikal, nationalistisch sowieso. Könnte es etwa sein, daß die Reaktionen aus taz-Kreisen auf die Gewaltereignisse und -phantasien von dieser Überzeugung rühren? Die „Toten Hosen“ beschreiben in einer Kolumne die deutschen Fußballfans als unangenehme, biertrinkende ADAC-Mitglieder. Wahrscheinlich kommt das der Sache näher, und möglicherweise sind viele darunter im Stadion harmloser als hinterm Steuer. Aber mit dem gemeinen Volk, zeitweise Objekt der revolutionären Begierde, haben Linke und Intellektuelle häufiger Schwierigkeiten.

Brian ist 24, Anhänger von Derby County (es steht auf seiner Hose). Über die „Football Supporters Association“ hat er sich - das war Vorschrift - registrieren lassen und Bezugsscheine für Tickets in Italien besorgt. Am Mittag nach dem Spiel der Engländer in Bologna kauft er sich - völlig nüchtern - im Bahnhof eine Fahrkarte für die Reise nach Neapel zum nächsten Spiel. In der Nacht hat ihn die Polizei mit anderen aus dem Bahnhof gejagt, wo sie schlafen wollten. Die Stadtverwaltung hatte kurzfristig in einem Park ein Zelt aufgestellt, wo Fans übernachten konnten. Am Bahnhof oder von der Polizei war das nicht zu erfahren. Brian ist freundlich und tätowiert. Gestern hat er im Fan-Block gestanden, vielleicht „England-Terror“ gerufen, auf jeden Fall „bis ein Uhr im Stadion gesungen, obwohl es ein Scheiß -Spiel war“. Er sieht aus wie einer auf dem Foto in der kommunistischen 'Unita‘, unter dem „Hooligan“ steht.

In Leserbriefen und von taz-Kollegen wird so argumentiert: Fußballfans seien alt genug, für sich selbst zu sorgen; die Forderung von Sozialarbeitern, Kulturprogramme, Schlafmöglichkeiten und Informationen zu organisieren, käme einer Entmündigung gleich; wer für die Trennung der Fans im Stadion ist, sei ein Feind der multikulturellen Gesellschaft. Fakt ist: Zur Zeit reisen Zehntausende durch Italien, ohne zu wissen, wo und wie lange „ihre“ Mannschaft bei der WM spielen wird. Heute Turin, morgen Bari. Das hat eine andere Dynamik als die Individualreise von drei Leuten.

Fakt ist auch, daß die FIFA als Ausrichter dieser Fußball -WM gigantische Profite einstreicht, sich jedoch weigert, die Schwierigkeiten derer zur Kenntnis zu nehmen, die sich die Veranstaltungen ansehen sollen (und wollen). Fan -Projekte haben schon bei der Europameisterschaft vor zwei Jahren in der BRD eingeklagt, es müsse auch hier das „Verursacherprinzip“ gelten. Wer Geschäfte machen will, solle auch für die entsprechenden Rahmenbedingungen sorgen.

Die schlechte Organisation und die schlechte Behandlung schüren Aggressionen. Wer nicht weiß, daß Schlaf- und Geldmangel auf Dauer die gute Laune vertreiben, muß zeitlebens mit Neckermann als Pauschaltourist unterwegs gewesen sein.

Natürlich gibt es unter Fußballfans einige, deren Hauptziel es ist, Schlägereien vom Zaum zu brechen; das in Abrede zu stellen wäre blödsinnig. Nur hat sich bei der Polizei inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt, daß es sich dabei in der Regel nicht um die martialisch bemalten und gekleideten Stadionbesucher handelt, sondern die mit hochseriösem Outfit. In diesem Fall könnten taz-Leser und -Mitarbeiter durchaus von den Erfahrungen der Staatsgewaltler lernen. Das hat nichts damit zu tun, zuzugeben, daß uns große gröhlende und pöbelnde Fangruppen Unbehagen bereiten oder sogar Angst.

Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Mit den meisten der in Italien umherfahrenden Fußballfans würde man nicht unbedingt enge persönliche Freundschaft schließen wollen. Das gilt aber, zumindest was mich angeht, in gleichem Maße auch für Katholiken, ÖTV-Mitglieder oder Tierschützer.

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