: Gähn, gähn, gähn auf der Autobahn
■ „Radio On“ von Christopher Petit in der Lupe 1
Ein offener Brief an Christopher Petit, den heute niemand mehr kennt, der 1980 aber einen Film gedreht hat, der jetzt in die Kinos kommt (zu spät).
Herr Petit, neulich sah ich Ihren Film Radio On im Kino, bei dem sich verschiedene Freunde von mir reichlich gelangweilt haben und der mich mit einigen Fragen zurückließ. Zum Beispiel: Warum kommt der Film gerade jetzt ins Kino, wo sich vielleicht ein Clash-Revival andeutet, aber noch lange keine New-Wave-Renaissance? War Radio On 1980 schon zu überkommen, und versucht der Verleih nun besonders weit vorn zu liegen? Der Soundtrack des Films ist ja hervorragend, Stiff-Record-Musik vom Feinsten und Kraftwerks Technikkitsch. Und Ihr Hauptdarsteller David Beames läßt sich sogar eine Bostoner Igelfrisur schneiden, mit der er langhaarige, deutsche Touristinnen noch einigermaßen befremden kann, aber trotzdem ist Radio On kein bißchen wavig, sondern - ich darf mich hier auf meine Freunde berufen - prätentiös öde. Heutzutage gilt es als chronisches Road-Movie-Leiden, daß unter keinen Umständen etwas passieren darf. Ich frage mich, ob Sie damals schon was von Jim Jarmusch gehört hatten.
Von wem Sie bestimmt was gehört hatten, war Wim Wenders, Ihr Koproduzent, der auch gleich seinen Kameramann Martin Schäfer mitbrachte. Das konnten Sie leider nicht voraussehen, daß unter der Wendersschen bedeutungsentsagenden Oberfläche die reine Geschwätzigkeit steckte. Damals war es einfach schwierig, europäische Road Movies zu drehen, und ich denke, man unterstützte sich gegenseitig. Aber es ist besonders schade, daß auf Ihrem Film schon Wenders Schatten liegt: Sie verleugnen zwar jedweden Ereignischarakter, zum Beispiel beim Tod des Bruders, aber Sie tun doch schon wieder geheimnisvoll. Hinter den nichtssagenden Begegnungen, hinter Kernsätzen wie: „Gestern dachte ich, wir würden miteinander schlafen, aber wir werden nicht“, hinter all dem bedeutungsschwangeren Schweigen ahnt man schon förmlich die drohend aufbrechende Geständnisfreudigkeit der folgenden Jahre. Natürlich ist das nicht nur ein Problem Ihres Films, sondern ein Problem der New Wave überhaupt, daß sie nicht durchhielt. Das läßt sich an keiner Person so schön exemplifizieren wie an Ihrem Nebendarsteller Sting, damals noch ein Policeman, heute... auch einer, dem ein früher Geniustod einiges erspart hätte (und uns erst).
Am Anfang des Films nimmt Martin Schäfer bzw. seine Kamera unter anderem auch ein Zettelchen in Augenschein, auf dem die gewichtigen Worte von der elektronischen Realität Ihrer Generation stehen. (Typisch, die Kamera, die bewußt nach gar nichts sucht und dann zufällig einen Toten findet. Genau wie bei den achtlos eingebauten Pornodias: mühsam unterdrückte Pathetik.) „Our change in society passes through a sympathetic collaboration with tape recorders, synthesizers and telephones.“ Ich war 1980 erst sechzehn, aber ich glaube nicht, daß das damals noch jemanden vom Hocker gerissen hat. Wie alt waren Sie? Auf jeden Fall sehr müde. Wreckless Eric, Ian Dury, Devo und Lene Lovich waren sicherlich auch oft müde, vor allem der gemeinen Stubennatürlichkeit, allerdings haben sie als Musiker schneller als Regisseure begriffen, daß Elektronik genießbar ist, tatsächlich eine unserer letzten Lustpfründe, während Sie noch immer mit existenzialistischer Menschlichkeit hadern. Und das macht mich mißtrauisch.
Daß sowohl Ihr schüchternes Bekenntnis zur Technik wie das im letzten Jahrzehnt tragisch mißverstandene Prinzip Langeweile nurmehr Schulterzucken hervorruft, dafür können Sie wohl nichts, aber Ihr klammheimlcihes Schielen auf artgenössische Abgründe hätte man schon vor zehn Jahren mißbilligen sollen. Richtungweisend ist in Radio On einzig die Erfindung des Barschel-Tods in der Badewanne, aber der war sowieso kein Devo, sondern Mensch, was Sie schließlich auch lieber sein wollten als Held für einen Tag.
Die Musik, Herr Petit, war ihrer sich selbst verheddernden Geschichte weit voraus. Was Sie wohl heute hören? Grüßen Sie Wenders noch auf offener Straße? Ich schon längst nicht mehr. Grüße kol
Radio On, Lupe 1, Kurfürstendamm 209.
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