: "Gattungsproblem"
■ betr.: "Kassandra muß Athene werden", von Reinhard ohr, taz vom 27.6.90
betr.: „Kassandra muß Athene werden“ von Reinhard Mohr,
taz vom 27.6.90
Von einem „grünen Stammwähler“ müßte man eigentlich mehr erwarten können als das blinde Wiederkäuen gängiger Vorurteile. Oder gehört er gar zu den Protagonisten solchen Unsinns? Wenn Reinhard Mohr vom „Gattungsproblem der globalen Bevölkerungsexplosion“ spricht (beachte die Militanz der Sprache!), dies sogar in eine Reihe mit der „ökologischen Zeitbombe“ und der „weltweiten Giftmüllawine“ setzt, dann reiht er sich ein in die Schar derer, die das Thema „Bevölkerungswachstum“ zum Spielball handfester politischer und ökonomischer Interessen mißbrauchen. In Zeiten, in denen in Anbetracht der zunehmenden Zerstörung der natürlichen Ressourcen der Erde die Kritik am Wachstumsmodell der Industrieländer immer lauter wird, bietet der Rekurs auf die „explosionsartige Vermehrung der Bevölkerung“ willkommene Ablenkung von den tatsächlichen Ursachen. Die Defizite und negativen Auswirkungen unserer verfehlten Industrialisierungspolitik lassen sich weder mit Bevölkerungskontrollprogrammen noch mit reformistischen Programmen beheben. Eine grundlegende Umorientierung im Denken und Handeln ist gefragt!
Ingrid Spiller, Öffentlichkeitsreferentin der Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt e.V., Berlin
Warum müssen sich kleine Männer immer so großer Worte bedienen, um ihren Quatsch abzulassen? „Kassandra muß Athene werden“, empfiehlt der grüne Hesse Reinhard Mohr der grünen Partei, um endlich ein politisches Niveau zu erreichen, auf dem sich Schwätzer Mohr seit langem befindet. Kostprobe: Die linken Grünen - wie Ströbele - interessieren sich nicht für die vier größten Zeitprobleme: „die ökologische Zeitbombe der maroden Kanalisationssysteme“..., „die weltweite Giftmüllawine“..., „die verheerende Vernichtung fruchtbaren Bodens“..., die „Gattungsprobleme der globalen Bevölkerungsexplosion“.
Allein die Reihenfolge der aufgezählten „Probleme“ deutet die Perfidie des Mohrschen Denkens an. In Übereinstimmung mit dem weißen Herrenmenschen Kohl und anderen scheint Mohr die vielverbreitete These zum besten geben zu wollen, die Vermehrung der Menschen in der Dritten Welt bedrohe die Gattung Mensch. Oder wollte Mohr zu bedenken geben, daß Deutsche und andere Bewohner der Industriestaaten, die rund 70 Prozent aller natürlichen Ressourcen der Erde verbrauchen und in dichtbesiedelten Ballungsgebieten leben, die Umwelt hier und in der Dritten Welt nach Leibeskräften verpesten, ihre Vermehrung einstellen sollten? Wenn ja, dann soll er es schreiben. Es wäre eine überlegenswerte These.
Oder teilt Mohr den latenten Rassismus der bürgerlichen weißen Freßsäcke, die, um der Bevölkerungsexplosion Herr zu werden, die internationale Bevölkerungspolitik vor allem gegen die Frauen in der Dritten Welt mit direktem und indirektem Zwang durchsetzen, damit sie hier ihre kleinen Helmuts weiter züchten können, was staatlich subventioniert wird? Ist Mohr auch der Ansicht, daß dem ungehemmten Fortpflanzungsdrang der „Neger“ Einhalt geboten werden muß, weswegen Frauen zwangssterilisiert werden müssen, ihnen entzündungsfördernde Spiralen in den Uterus eingebaut werden, sie mit Pillen vollgestopft werden und ihnen Hormonpräparate unter die Haut gepflanzt werden, die wegen ihrer Gefährlichkeit für weiße Frauen auf den hiesigen Märkten verboten sind? Teilt Mohr die Ansicht der rassistischen und frauenfeindlichen Bevölkerungspolitiker, deren Vokabular er gebraucht und die die obige Praxis weltweit betreiben? Oder plappert er es nur unüberlegt nach, da er bei einem Publikum um Gunst heischt, das sich wie Mohr „verantwortungsbewußt“ der „Gattungsfrage“ stellt und alle Maßnahmen begrüßt, die es nicht selbst betreffen?
Was denkt sich denn der kleine Mohr, warum Frauen in der Dritten Welt so viele Kinder bekommen, die leider nichts zu essen haben? Weil schwarze Babies so niedlich sind, weswegen mensch sie verhungern läßt? Wie möchte Herr Mohr denn das Gattungsproblem angehen, ohne eine Elitenlösung für Hessen und andere Weiße zu favorisieren? Die Systemfrage möchte er auf keinen Fall aufwerfen, und von Imperialismus darf auch nicht mehr geredet werden. Ja, Schwätzer Mohr, dann wird es schwierig.
Gaby Gottwald, GAL/Grüne, Hamburg
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