: Den DDR-Wollschafen geht es an den Kragen
■ Mit dem Ende der bislang hochsubventionierten Wollproduktion beginnt das große Schlachten / Zukunft in der Lämmermast
Von Claudia Haas
Sie haben ein dickes Fell, ein sanftes Gemüt und ein großes Problem: es gibt viel zu viele von ihnen. 2,65 Millionen Schafe grasen auf den Wiesen der DDR, für viele von ihnen wird dieser Sommer der letzte sein - die Öffnung zum Weltmarkt fordert ihre Opfer.
Das Schaf, wegen seiner Genügsamkeit auch „Pfennigsucher“ genannt, war in der DDR jahrelang hoch angesehen: jedes Kilo Wolle, das auf seinem Rücken wuchs, mußte nicht aus Neuseeland oder Australien gegen harte Devisen importiert werden.
Nach einem Beschluß der Agrarplaner von 1983 mußte jede Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft eine Schafherde halten. Daß in vielen LPGs die Wiesen zu feucht, die Weideflächen zu knapp und Schäfer Mangelware waren, interessierte die staatlichen Devisenzähler nicht. Der Plan sah vor, mit drei Millionen Schafen 9.000 Tonnen Schafwolle selbst zu produzieren, etwa die Hälfte der Menge, die die heimische Textilindustrie pro Jahr benötigte.
Als der Schafbestand auf 2,65 Millionen Stück gestiegen war und jedes einzelne Schaf sein Plansoll mit 3,11 Kilogramm Reinwolle im Jahr sogar übertraf, öffneten sich die Grenzen. Und auf der anderen Seite standen die, die fortan als Norm gelten sollten: die West-Schafe mit den schwarzen Köpfen und der einzigen Funktion, möglichst schnell möglichst viel Lammbraten zu produzieren. Den DDR-Schafen wurde heiß unter ihrem subventionierten Fell, das über Nacht wertlos geworden war. Sie ahnten, was kommen mußte: das große Schafeschlachten.
„Wie werden wir die alten Hammel los?“ lautet die dringlichste Frage für Lothar Nisseke, der im Ministerium für Ernährung, Land- und Forstwirtschaft für die Schafe zuständig ist. Die beiden DDR-Rassen, das feinwollige Merino -Fleischschaf, und die landeseigene Züchtung des langwolligen Merino-Wollschafes haben ausgedient. Ihre Wolle, die den staatlichen Aufkaufstellen bisher 103 Mark pro Kilogramm wert war, bringt auf dem Weltmarkt noch sieben bis acht DM ein.
Jetzt liegt die Zukunft der Schafwirtschaft in der Lämmerproduktion, wofür es eine neue Subventionsquellen gibt: die Mutterschafprämie der EG (Nicht zu verwechseln mit dem Mutterschaftsgeld! d.S.), die zwischen 40 und 60 DM für jedes Tier beträgt. Lothar Nisseke schätzt, daß die DDR mit einer knappen Million Mutterschafen auf dem EG-Markt bestehen könne. Bisher spielte die Aufzucht von Lämmern für die Schlachtung in der DDR nur eine Nebenrolle. Die etwa 200.000 Lämmer, die jährlich zu Fleisch verarbeitet wurden, landeten fast ausnahmslos in bundesdeutschen Bratpfannen.
Für die DDR-Bürger blieb das Hammelfleisch, garantiert alt und zäh. Die Hammel mußten erst vier Jahre lang Wolle produzieren, bevor sie geschlachtet werden konnten. Das Schaffleisch war ein Abfallprodukt und türmte sich jährlich zu einem Berg von 36.000 Tonnen auf. Ein Teil davon konnte exportiert werden, vor allem Rumänien und der Libanon wurden mit Altschaf aus der DDR beglückt. „Der Schaffleischmarkt ist versaut“, resümierte der Schafexperte im Landwirtschaftsminiserium. „Wenn die DDR-Bürger Schaffleisch hören, rümpfen sie die Nase.“
Das bekommen auch die LPGs zu spüren, die mit dem großen Schlachten bereits begonnen haben und über Zeitungsannoncen schlachtfrische Schafe und Lämmer frei Haus anbieten. Die Verbraucher sind nachtragend, selbst bei den Lämmern gibt es Absatzprobleme. Rudi Klein, Schäfer im Volkseigenen Gut Müncheberg östlich von Berlin, muß seine Lämmer für 40 DM verkaufen. Die Zeit drängt, das Futter reicht gerade noch für den Sommer, und die neuen Herren stehen schon vor der Stalltür: ein Pferdezüchter aus Westdeutschland will Stall und zugehöriges Weideland kaufen.
Mit den fast drei Millionen Schafen bangen etwa 7.000 Schäfer um ihre Zukunft. Bisher war der Schäfer in der DDR hoch angesehen, und sein Können stellte er in Hütewettbewerben unter Beweis. Wer mit einer fremden Herde die Aufgaben am besten erfüllen konnte, wurde „DDR-Meister der Schäfer im Hüten“. 1990 wird es keinen DDR-Ausscheid mehr geben, die Schäfer haben andere Sorgen.
In der einzigen Schäferschule Mitteleuropas, in Wettin bei Halle, wird allerdings vorerst weiter unterrichtet. Hier lernten bisher jedes Jahr 200 Schäferlehrlinge das wichtigste über Wollsorten, Schafhygiene und Stallbau, und 50 Schäfer wurden zu Meistern weitergebildet. Berufsschullehrer Richard Böttcher sieht dem Umbruch in der Schafwirtschaft gelassen entgegen. Auf dem Stundenplan ist der Abschied von den Wollschafen bereits vollzogen, dort stehen jetzt schnellwachsende Mastlämmer und Mutterschafe mit hoher Fruchtbarkeit. Vielleicht werden zukünftig alle deutschen Schäfer in Wettin ausgebildet, erste Kontakte sind geknüpft, es gab schon eine gemeinsame Hüteveranstaltung in der Lüneburger Heide.
Nicht nur die Schäfer müssen sich umorientieren. Im Frühjahr zogen die Schafscherbrigaden zum letzten Mal aus, um die Schafe der LPGs und der Privatbesitzer zu scheren. Jetzt sitzen die LPGs auf Bergen von Wolle, die niemand mehr abnimmt. Bis Mitte Juni wurde die gesamte Schafwollproduktion der DDR in der Leipziger Wollkämmerei abgeliefert, jetzt hat diese ihre Abnahmeverträge storniert.
Günter Meißner ist seit 30 Jahren Kontrollwieger in der Abteilung DDR-Wolle, die es bald nicht mehr geben wird. Täglich muß er etwa zehn Schäfer abweisen, die in ihrer Wolle versinken. Die einzige Wollkämmerei der Republik verarbeitet nur noch alte Lagerbestände. Die Wolle wird per Hand sortiert, gewaschen und gekämmt - um dann wieder ins Lager zu kommen. Denn auch die Spinnereien sind aus den alten Verträgen ausgestiegen. Die 1.200 ArbeiterInnen, von denen die ersten in den Vorruhestand geschickt wurden, stellen sich auf Kurzarbeit ein.
Die volkseigene wie private Wollwirtschaft ist am Ende, fast drei Millionen Wollschafe sind quasi über Nacht zur Plage geworden. Doch eine kleine Überlebenschance gibt es auch für die alten Hammel: Sie können sich als Landschaftspfleger nützlich machen, wenn 20 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche stillgelegt werden.
So wird es in der LPG Hohenzieritz in der Nähe des Müritzsee auch weiterhin Hammel geben. Das unwegsame Gelände des zukünftigen Nationalparks ist auf die Vierbeiner als umweltfreundliche Rasenmäher angewiesen, die dort seit Jahren eine bedeutungsvolle Aufgabe erfüllen: sie dürfen die wilden Orchideenbestände vor dem wuchernden Unkraut schützen. Denn Schafe mögen keine Orchideen.
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