Zwischen Verhandlungen und Krieg

■ Kambodscha: Während die Wirtschaftshilfe aus der Sowjetunion ausbleibt, rücken die Roten Khmer auf Phnom Penh vor

INTERVIEW

Cham Prasidh ist ein enger Berater des kambodschanischen Regierungschefs Hun Sen und Vizepräsident des Ministerrats. Er nahm Anfang Juni an den Kambodscha-Gesprächen in Tokio teil, wo Hun Sen und Prinz Sihanouk eine Art Waffenstillstandsabkommen unterzeichneten. Die Roten Khmer erkennen dieses Abkommen nicht an.

taz: Was sind aus Ihrer Sicht die Vorbedingungen für Frieden in Kambodscha?

Cham Prasidh: Einen dauerhaften Frieden wird es erst geben, wenn die Situation in Kambodscha dafür reif ist. Die Regierung Hun Sen hat versucht, den Frieden zu ermöglichen. Schritt für Schritt haben wir nach einer umfassenden Regelung gesucht. Das letzte Treffen in Tokio, auf dem Ministerpräsident Hun Sen und Prinz Sihanouk ein gemeinsames Kommunique unterzeichneten, war der erste Schritt in diese Richtung. Der nächste Schritt ist dann die Bildung eines „Obersten Nationalrates“ aus sechs Repräsentanten der feindlichen Regierungen, also der Regierung Hun Sen und der Widerstandskoalition von Prinz Sihanouk. Anschließend könnte der freiwillige Waffenstillstand in Kraft treten. Danach werden wir weitere Verhandlungen führen, die allgemeine Wahlen in Kambodscha vorbereiten.

Welche Rolle sehen Sie in diesem Prozeß für die Roten Khmer?

Wir verlangen die Ausschaltung der Roten Khmer, aber nicht ihre Ausrottung, also ihre physische Eliminierung. Wir möchten sie durch freie und faire Wahlen aus der kambodschanischen Politik ausschließen. Das Kommunique von Tokio sieht zwei Repräsentanten der Roten Khmer für den Obersten Nationalrat vor. Für die nationale Aussöhnung sind wir bereit, die Roten Khmer an einer politischen Lösung zu beteiligen.

Heißt das, daß die Roten Khmer, falls sie ihre Waffen niederlegen, bei zukünftigen Wahlen kandidieren dürfen?

Solange die Roten Khmer bewaffnet sind, können wir ihre Rückkehr nach Phnom Penh nicht zulassen. Wir würden das Leben von acht Millionen Menschen gefährden, die das Regime der Roten Khmer überlebt haben.

Im Moment kein Bedarf an Mehrparteiensystem

Wie sollen „freie und faire“ Wahlen nach einer Friedenslösung aussehen? Sollen viele Parteien daran teilnehmen dürfen, und gibt es irgendwelche Anzeichen für die Errichtung eines Mehrparteiensystems in Phnom Penh?

Falls es zu einer politischen Lösung kommt, würden die Wahlen automatisch im Rahmen eines Mehrparteiensystems stattfinden. Aber im Moment gibt es keinen dringenden Bedarf für ein Mehrparteiensystem, da wir die einzige Macht sind, die gegen eine Rückkehr der Roten Khmer kämpft. Wir können es uns nicht leisten, andere politische Parteien zuzulassen, da das unseren Kampf gegen die Roten Khmer schwächen würde.

Vor einigen Wochen wurde eine Reihe von Leuten verhaftet, unter anderem drei hochrangige Militärs und der Kommunikationsminister, weil sie versucht hatten, eine liberale, demokratische Partei zu bilden. Wenige Tage später wurden mehrere andere Mitglieder des Politbüros geschaßt, darunter der Gesundheitsminister. Auch Khieu Kannarith verlor seinen Posten als Chefredakteur der Wochenzeitschrift 'Kampuchea‘. Warum?

Diese Festnahmen fanden nicht wegen der Bildung einer politischen Partei statt, was nach unserer Verfassung erlaubt ist, sondern weil diese Leute einen Staatsstreich planten. Sie arbeiteten mit ausländischen Agenten zusammen und wurden von verdorbenen und nichtsnützigen Personen unterstützt. Was die drei Militärs angeht, die später entmachtet wurden, so gibt es andere Gründe für ihre Entlassungen. Der Gesundheitsminister wurde wegen seines hohen Alters zum Rücktritt gezwungen; er hatte nichts mit einer politischen Partei zu tun.

Es scheint derzeit drei Strömungen in der kambodschanischen Führung zu geben - genau wie in der Sowjetunion. Da sind diejenigen, die sich noch immer Reformen widersetzen und zu einer strikten Planwirtschaft zurückkehren wollen; diejenigen um Hun Sen, die Kambodscha auf den Weg der Reformen gebracht haben; und eine dritte Fraktion von liberaleren Leuten, ähnlich Jelzin in der Sowjetunion, denen die Reformen nicht schnell genug gehen. Teilen Sie diese Einschätzung?

Keine Fraktionen in der Führung Phnom Penhs

Ich glaube nicht, daß es bis jetzt Strömungen oder Fraktionen in der Führung Phnom Penhs gibt. Was wir bisher getan haben ist das Ergebnis eines Systems von kollektiven Entscheidungen. Wenn also einige Leute sagen, Hun Sen habe die Reformen nicht schnell genug durchgeführt, so können sie das nicht ihm allein vorwerfen. Es hängt nicht von ihm allein ab, denn alle Entscheidungen werden kollektiv vom Politbüro getroffen. So kann es auch keine Teilung innerhalb des Politbüros geben.

Europäische Hilfsorganisationen haben gerade einen Bericht über die ökonomischen Schwierigkeiten der Regierung Hun Sen vorgelegt. Sie weisen darauf hin, daß die osteuropäische und sowjetische Finanzhilfe, die 80 Prozent des kambodschanischen Staatshaushalts ausmachen, mit dem Ende dieses Jahres auslaufen werden.

Wir haben das seit zwei, drei Jahren vorhergesehen. Wir mußten darüber nicht nur seit der Einführung der Perestroika in der Sowjetunion und Osteuropa nachdenken. Vor vielen Jahren haben wir mit unserer eigenen Perestroika begonnen. Seit 1979 haben wir stille und diskrete Reformen eingeführt. Die Tatsache, daß die Perestroika in der Sowjetunion durchgeführt wurde, erforderte sorgfältigeres Denken und Planen auf unserer Seite. Wir wußten, daß es eines Tages eine Veränderung in unseren Beziehungen mit der Sowjetunion geben wird. Bis jetzt gründeten diese Beziehungen auf der Zusammenarbeit der beiden Regierungen. Nun verhandeln wir nicht mehr mit der Regierung, sondern direkt mit sowjetischen Unternehmen. Diese Unternehmen interessieren sich nicht für politische Gründe einer Kooperation, sondern nur für wirtschaftliche Belange.

Druck auf Rote Khmer ausüben

Mit der Regenzeit beginnt jetzt eine sehr gefährliche Phase für Kambodscha, da sie die Guerilla bevorteilt. Und in den vergangenen Wochen haben sich Berichte über Angriffe der Roten Khmer überall im Land gemehrt. Auf dem Höhepunkt der ökonomischen Krise droht der Regierung auch noch eine militärische Krise. Kann die Regierung Hun Sen überleben?

Dies ist keine Frage des Überlebens; es geht um die Verteidigung des Lebens des kambodschanischen Volkes. Vor allem für diejenigen in den entlegenen Gebieten, die wir nicht verteidigen können. Wir nähern uns tatsächlich dem Beginn der Regenzeit, aber wir haben diese Zunahme der Guerilla-Aktivitäten der Roten Khmer vorhergesehen. Das Kommunique von Tokio sieht den Beginn des Waffenstillstands für Ende Juli vor. So ist es ganz normal, daß die Roten Khmer vorher noch versuchen, so viel Boden wie möglich zu gewinnen, um ihre Verhandlungsposition in späteren Gesprächen zu stärken.

Aber die Roten Khmer haben das Abkommen von Tokio nicht unterzeichnet. Gibt es also irgendeine Möglichkeit, daß die Feindseligkeiten Ende Juli eingestellt werden?

Wir hoffen es, sofern die Roten Khmer ehrlich an einer politischen Lösung interessiert sind. Doch wenn sie diese Verhandlungen nur benutzen, um eine Lösung hinauszuzögern, dann wissen wir nicht, was wir noch tun können. Es ist Zeit für die westlichen Länder und die Supermächte, Druck auf die Roten Khmer und die Widerstandskoalition auszuüben, um sie vom Schlachtfeld an den Verhandlungstisch zu holen.

Interview: Larry Jagan