: Auch Schüsse sind in Tirana gefallen
■ Mehrere Botschaften haben Flüchtlinge an albanische Behörden ausgeliefert
Belgrad (afp/ap) - Mehrere Botschaften in Tirana haben damit begonnen, die albanischen Flüchtlinge, die seit Montag in verschiedenen ausländischen Vertretungen Schutz gesucht hatten, an die albanischen Behörden auszuliefern. Meldungen der jugoslawischen Nachrichtenagentur 'Tanjug‘ zufolge handelte es sich dabei um die bulgarische, die ägyptische und kubanische Botschaft. Am Dienstag hatte schon Radio Belgrad berichtet, die Botschaft Chinas habe in Tirana „mehrere“ albanische Flüchtlinge an die Behörden ausgeliefert.
Bei der Massenflucht hat es vermutlich auch Tote gegeben. Diplomaten in Tirana hätten beobachtet, wie albanische Sicherheitskräfte leblose Körper abtransportiert hätten, teilte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes am Mittwoch auf Anfrage mit. Insgesamt sollen in den vergangenen Tagen mehrere hundert Menschen in ausländische Botschaften geflüchtet sein. 84 Flüchtlinge halten sich in der Bonner Botschaft auf. Auch in der DDR-Botschaft sollen sich einige Flüchtlinge aufhalten. In Brüssel will sich am Mittwoch die EG-Runde für politische Zusammenarbeit mit den Vorfällen in Tirana befassen und sich für eine freie Ausreise der Flüchtlinge einsetzen. Ein Flugzeug mit deutschen Hilfsgütern ist unterwegs.
In Tirana herrscht eine „angespannte Ruhe“. Die Sicherheitskräfte seien verstärkt worden. Für den normalen Bürger bestehe keine Möglichkeit mehr, den Stadtteil, in dem die Botschaften liegen, zu betreten. Die meisten geflüchteten Albaner wollen wieder zurück in ihre Familien und an den Arbeitspatz. Sie erwarteten jedoch Sicherheitsgarantien, damit ihnen nichts geschehe. Der Flucht in die Botschaft war nach Berichten aus Tirana eine Demonstration in der Innenstadt vorausgegangen, die von staatlichen Sicherheitskräften unter Schußwaffengebrauch zerschlagen worden sei. Daraufhin habe der Sturm in östliche und westliche Botschaften begonnen. Flüchtlinge berichteten, die seien in die diplomatischen Vertretungen geeilt, um einem schlimmen Schicksal zu entgehen. Sie hätten Angst gehabt, von der Polizei „erschlagen zu werden.
Da die Behörden keine Auskünfte erteilen und keine ausländischen Journalisten in Albanien akkreditiert sind, ist die Medienpräsenz praktisch Null. Anfragen der internationalen Nachrichtenagenturen wurden bis Mittwoch früh nicht beantwortet. Montag abend ging es Schlag auf Schlag: Um 18.45Uhr brach ein Lastwagen in voller Fahrt durch die Außenmauer in das Gelände der erst vor drei Wochen bezogenen deutschen Botschaft. Die Polizei eröffnete das Feuer, ein Diplomat sprach von 50 Schüssen. Doch auf die Bekanntgabe des ungewöhnlichen Falls an der bundesdeutschen Botschaftsmauer durch Bonn reagierte Tirana rasch.
In einer Erklärung wurden die Botschaftsflüchtlinge Dienstag nachmittag als „Rowdies, Vagabunden und Ex -Sträflinge“ bezeichnet, die „mit Gewalt in eine Botschaft eingedrungen“ seien und „Steine, Ziegel und andere Dinge auf die Ordnungskräfte geworfen“ hätten. Familienangehörige von ihnen hätten sich gesammelt, den Verkehr blockiert, Polizeikräfte attackiert, Schaufenster eingeschlagen und Krawall gemacht. Es habe auf beiden Seiten Verletzte gegeben, einige seien festgenommen worden, hieß es in der Erklärung.
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