: Selber leben ist besser als glotzen
■ „Kopffeuer“ von Erwin Michelberger im Moviemento
Sie haben blondgefärbte Wuschelschöpfe. Haarefärben und vor allem -schneiden sind wichtige Stationen der Identitätsfindung. Natürlich machen sie das selber, erstens weil sie kein Geld haben, zweitens weil es so sein muß. Sie tragen Overalls, Fundstücke vom Sperrmüll, schwere Stiefel, kurze Jacken. Sie trommeln auf Schrott herum und dröhnen sich mit dem Walkman weg; der Politmacker taut nur bei harten Rhythmen auf. Musik ersetzt Sprache, drückt ohnehin die Gefühle viel besser aus, als es die Brocken könnten, die man sich im Slang zuwirft.
Die bunten Szenen aus dem Film Kopffeuer von Erwin Michelberger vermischen sich schnell mit eigenen Erinnerungen, sofern man entsprechende hat. Wenn nicht, wird es ärgerlich. Denn der Inhalt ist dürftig und schnell erzählt. In einer nassen Großstadt spült der Regen zufällig vier junge Menschen zueinander. Alle vier versuchen mit ihrer Herkunft zu brechen. Alev floh von zu Hause, weil sie den für sie ausgesuchten Mehmet in der Türkei nicht heiraten will. Yukio, der junge Japaner, verließ die Familie, weil er davon träumt, als Rockmusiker nach London zu gehen. Derweil schnieft er Lösungsdämpfe. David, dessen Vergangenheit im verborgenen bleibt, vermutlich aber im Knast anzusiedeln ist, arbeitet hart, um selbstbestimmt leben zu können und nie wieder mit Speed dealen zu müssen. Gerold schließlich, Stricher und Schnorrer aus ehrenwerter Familie, will Stripteasebar und Strich für immer verlassen. Still besetzen die vier eine verlassene Fabrikhalle am Flußufer, fangen an, sich einzurichten, bis auch der Fernseher da ist, und sich kennenzulernen, bilden eine (Not-)Gemeinschaft, bis von irgendwoher ein Schlägertrupp kommt und alles kleinschlägt. Am Punkt Null wieder angelangt, sinnieren die vier, wie schön ein bißchen Sicherheit, ach, nur etwas Festes wäre.
Für Kopffeuer erhielt Michelberger 1989 den Max-Ophüls -Filmpreis. Dabei kommt der Film zehn Jahre zu spät, obwohl selbst schon damals Fernsehmacher aus den Sehnsüchten der Achtzigergeneration Kitsch fürs Kuschelkino daheim machten. Beispielsweise eine Tatort-Folge, mit Hans-Jörg Felmy. Da lebten die jungen Ausbrecher auch abseits des geborgenen bürgerlichen Heims in einer Fabriketage, nahe am Rand der Unterwelt. Sie trugen kurze Jacken, schwere Stiefel, redeten wenig, nahmen Drogen und putzten ihr Loft im New-Wave-Design heraus, vor allem mit Badewannen und Schaufensterpuppen. Michelberger muß diesen Tatort gesehen und stark von ihm beeindruckt gewesen sein. Bis zu der zentralen Stellung, die die Badewanne, natürlich zweckentfremdet, einnimmt, finden sich alle Motive wieder. Nur die Kriminalstory fehlt.
Wie überhaupt jede Story. Das wirkt sich verheerend aus. Denn der Raum, den eine nicht stattfindende Handlung der Kunstfertigkeit von Kamera und Regie läßt, wird von Michelberger und Jörg Schalk mißachtet und verschenkt. Nicht nur, daß sich die Kamera benimmt wie die Axt im Walde. Das entpräche noch der hölzernen Unbeholfenheit der DarstellerInnen und der Statik der Charaktere. Den Rest gibt dem Film das Drehbuch, von Michelberger selbst geschrieben. Logik oder Realitätssinn lagen ihm mehr als fern. So etwas wie persönliche Entwicklung läßt Michelberger nicht zu: Der Japaner widmet sich der Elektronik, die Türkin hat ihre ethnische Märchenwelt, in der sie immer wieder Halt sucht, und wer einmal bloß Ficken im Kopf hat, wird es immer haben. Was die vier von der Fabrikhalle von wirklichen Außenseitern unterscheidet (für den versoffenen Penner hat Michelberger nichts als tätschelndes Mitleid übrig), ist natürlich ihre ungemeine musische Begabung. Sie zeichnen und malen, daß die KunststudentInnen der Düsseldorfer Kunstakademie vor Neid erblassen müßten. Sie setzen sich ans Schlagzeug, als ob sie nie etwas anderes getan hätten. Kein Klischee bleibt aus.
Schlägertrupps kommen aus dem Nichts und fungieren nur als anonyme „sie“, als das Böse, das andere, gar „die Gesellschaft“ schlechthin. David mit seinen politischen Ansprüchen im Kopf hat nichts Besseres zu tun, als mit drei unreifen Unpolitischen im Alleingang reparierte Waschmaschinen zu verkaufen. Nichts ist echt. Oder doch?
Erwin Michelberger ließ die Laiendarsteller an ihrem Heimatort agieren. Trotz der Thematik ist das einmal nicht Berlin. Völlig unerwartet taucht hier Düsseldorf auf, hinter dessen blankgeputzten Marmorfassaden niemand, der nicht von dort kommt, überhaupt Raum für solche Jugendträume vermutet. Aber hier geht es den Menschen so gut, daß die Supermärkte ihre Anlieferungen bis im Morgengrauen vor der Tür stehen lassen können und der Sperrmüll Inventar für ganze Villen und alte Waschmaschinen hergibt, die sich leichterhand wieder reparieren und verkaufen lassen etc. Unsere vier von der Fabrikhalle wissen das zu nutzen. Michelberger geht es jedoch nicht um eine spezielle Stadtromantik. Er will die Konturen der Rheinidylle im dunkeln lassen und sitzt doch ihren Eigenheiten auf. Eigentlich will Michelberger die Geschichte der vier beispielhaft erzählen: Seht, so geht es euren Kindern überall. Aber das ist eben zu allgemein.
Claudia Wahjudi
Kopffeuer täglich im Moviemento, Kottbusser Damm.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen