: Mariacron oder Liebe geht immer
■ Norbert Eberleins Romandebüt „Seidenmatt“
Norbert Eberlein ist Werbetexter in Hamburg und hat bisher unter falschem Namen Stücker sechzig „abgeschlossene Liebesromane“ heruntergenudelt. Dafür muß er sich nicht schämen; auch Tieck hat so angefangen. Im Gegenteil: Wer sich im romantischen Lore-Roman auskennt und den seidenmatt creativen Zeitgeist in griffige Slogans zu fassen vermag, kann sich leicht zum Art-Director des „Lebens“ empordienen. Eberlein handhabt alle Formen, Stile und Kniffe der Erzählkunst mit jener lässigen Souveränität, alle Slangs und Schlagwörter der Hierundjetztzeit mit jener spöttischen Nonchalance, die einen postmodernen Romancier auszeichnet: Seht her, ich kann's auch, mit links sogar und im Als-ob -Ernst, wenn's sein muß. Nichts falscher daher, als Eberleins Debütroman Seidenmatt, bloß weil er sein Lokalkolorit von der Reeperbahn bezieht, mit Hubert Fichtes Subkultur-Collage Die Palette zu vergleichen, wie es jüngst Walter Hinck in der 'FAZ‘ tat.
Eberlein ist ein Tausendsassa; er hoppelt über Stock und Stein und ist doch allen Sätteln gerecht. Natürlich will er einen Bestseller schreiben. Den Roman seines Lebens? „Erst Scheiße bauen, dann das Buch zur Scheiße. Und dann die Tantiemen zum Buch.“ Dann doch lieber ein verhinderter Liebesroman. Gott im Simmel rät ihm im Traum väterlich zu: „Liebe geht immer. Mach's nicht zu dick Herstellungskosten! Keine häßlichen Menschen, sonst wird's Literatur. 'n bißchen Krimi, das liegt im Trend. Sex, Junge. Aber nicht zuviel. Reisen ist immer noch gut, Politik ist out. Auf jeden Fall Dialoge - Fernsehen! Schreib die Chose auf Diskette, das spart Satzkosten. Und laß ein paar neue Fotos von dir machen. Schwarz-weiß. Seidenmatt.“
Wie es euch gefällt, Zitate und Travestien: Schnitzlers innerer Monolog oder Zarah Leanders Orgelton, Hamburger Platt oder Psychoslang („Ich mach dir eine Triebabfuhr“), Zelda Fitzgerald, Lessings Briefe oder Madame Bovarys K(n)utschfahrt. Eberlein hat alles drauf, und sein Stellvertreter im Roman, der flapsige Jungautor Felix Mohr, probiert in stellenweise hinreißenden Literaturparodien alles durch: den hartgesottenen Detektivroman a la Chandler („Ich hatte an diesem Nachmittag in meinem Büro gesessen, eine Flasche Bourbon getrocknet und mir das Tapetenmuster eingeprägt. Dann endlich war es dunkel genug. Ich zog meine 48er Browning an und machte mich auf den Weg. Ich fuhr mit einem alten Plymouth die Crescent Avenue nach Süden...“), die verschmockten Memoiren eines kultiviert leidenden Emigranten („Florenz ödet mich an. In den überfüllten Straßencafes sprach von Existentialismus wer glaubte, ihn verstanden zu haben. Und mitten in dieses eisige Schweigen brachen die Neuigkeiten von Hitlers Einmarsch in Wien. Ich wartete auf die Geldanweisung meiner Mutter, wartete auf Inspiration, eine Anna Karenina, deren Tolstoi ich sein könnte, wartete auf Regen...“), den vornehmen Schundroman („Patricia Wright lag erschöpft auf ihrem Hotelbett und hörte das Geläut der Yachten, die im Hafen von Bridgetown unter der gleißenden Sonne von Barbados dümpelten...“) natürlich sowieso. Eberlein ist raffiniert und verspielt genug, um auf allen drei Stilebenen nur eine einzige triste Erfahrung virtuos zu sublimieren: Der einsame Wolf, der mit den Frauen unverdient viel Pech hat. Der Mohr tut also seine Schuldigkeit; allein sein Problem ist, daß er keines hat und, reflektiert im Quadrat, auch gar keines vorgaukeln will.
Liebeskummer - das ja, und nicht zu knapp. Aber daß er seine Traumfrau Fanny Ardant nicht einmal im Traum kriegen wird, ahnt er selber. Daß „Hormontaten“, selbst mit einem Fräulein Blender (eine der amüsantesten Passagen), nur Kommunikationskatastrophen sein können: Die schmerzliche Einsicht ist jedem Intellektuellen geläufig. Daß Rita, die Epiphanie wahrer Liebe, der süßen Gewohnheit Eva nicht standhält: Auch das gehört zur Prosa eines Alltags, in dem Liebe ein viel zu großes Wort ist, eine Lachnummer. Bleibt die Erinnerung an die Jugendliebe, und das ist selbst für den abgebrühtesten Heftchenautor das Einfallstor des Kitsches. Also spielt der abgebrochene Buchhändler den Henscheidschen „Vollidioten“, der als intellektuelles Faktotum im Büro einer Berufsgenossenschaft mit älteren Herren Mariacron pichelt und sich im übrigen, ein schüchterner Softi im Macho-Pelz, mit der Problematik des Liebesromanschreibens in prosaischen Zeiten vergnügt.
Wenn Eberlein - nomen est omen - nach guter Haffmans-Art flotte Zynismen, säuische Herrenwitze und ethnologische Bonmots aneinanderreiht, dann prätendiert er nie „Literatur“. Seidenmatt ist nicht mehr als eine hanseatische Milljöhstudie, nicht weniger als ein moderner Lore-Roman für die gebildeten Stände: Jeder authentische Liebesschwur ein kühl kalkuliertes Kino-Zitat, ein Werbetext für postmoderne Impotenz. Nirgends ein „eigener Ton“, aber originell noch in seinen Klischees und für den Connaisseur eben deshalb ein hochsympathisches Lesevergnügen.
Am Ende landet Felix auf der Bühne eines Theaters, „auf daß gestaltend wir ergreifen, was vorgefertigt uns umgibt“: Alles, was er erlebte und erzählte, war nur Rolle und Text. Und für das Versäumnis, „eigene Entwürfe zu formulieren und ihnen handelnd näherzukommen“, wird er zuletzt vor dem Jüngsten Gericht sogar noch verknackt: Fernsehkonsum gilt nicht als mildernder Umstand; wenn nicht für sein Leben, so ist Eberlein doch für sein Schreiben voll zurechnungsfähig.
Martin Halter
Norbert Eberlein: Seidenmatt. Liebesroman. Haffmans Verlag, 224 Seiten, 28 Mark
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen