: Konkurrenz auf dem Konsumgütermarkt
■ An der Humboldt-Universität/Ostberlin entstand eine der ersten Bände über das Verhältnis von DDR-Bürgern zu Ausländern
Am 20.April 1990 - Hitlers 100.Geburtstag - sorgten heftige Auseinandersetzungen zwischen Hunderten von Skins, „Faschos“, jugendlichen „Antifas“ und Volkspolizisten in Ost -Berlin weltweit für Schlagzeilen. Vier Tage später rief eine weniger beachtete Kundgebung, organisiert von Gruppen in beiden Teilen Berlins, zur Unterstützung von AusländerInnen in der DDR auf und brachte 2.000 Menschen zum Alexanderplatz. Am selben Abend fand die Vorstellung von Irene Runges Buch Ausland DDR: Fremdenhaß statt, und zwar - nicht unangemessen - im ehemaligen ZK-Gebäude der SED. Dieser Band ist ein wichtiger erster Schritt zur Aufarbeitung der Probleme, mit denen AusländerInnen in der DDR konfrontiert waren und sind.
Im späten November 1989 hatte die Modrow-Regierung eine Hetzkampagne gegen Polen initiiert. In aggressiven Zeitungsartikeln wurde der polnische „Einkaufstourismus“ verantwortlich gemacht für die leeren Regale in den Geschäften der DDR. Das war offenbar einfacher, als die eigene Unfähigkeit anzuerkennen, die Bedürfnisse des täglichen Lebens der Bevölkerung zu befriedigen.
Als Reaktion auf den Versuch ihrer Regierung, die Schuld auf die Polen zu schieben, veröffentlichte nun Irene Runge, Ethnologin an der Ostberliner Humboldt-Universität, zusammen mit einigen ihrer StudentInnen diesen Bericht, der ihr Verständnis der Rolle und die Tätigkeiten von AusländerInnen in der DDR zum Ausdruck bringen soll. Obwohl der Dietz Verlag spontan seine Hilfe anbot, hat - auch das ein Zeichen der Zeit - keine DDR-Buchhandlung dieses Buch bestellt. Der Grund: Für Bücher aus dem eigenen Land gebe es keine Nachfrage.
Die Publikation wurde innerhalb eines Monats und ohne Budget vorbereitet. Auf 125 Seiten bietet Ausland DDR: Fremdenhaß ein knappes Forschungspapier, Interviews mit AusländerInnen in der DDR sowie mit DDR-Bürgern, die qua Amt für die Lebenssituation von Ausländern zuständig sind. Hinzu kommen Kurzinterviews mit Straßenpassanten und eine Dokumentation von Leserbriefen an die 'Berliner Zeitung‘.
Trotz der klaren Begrenzung ihres Projekts gelingt es Runge und ihren StudentInnen, Verständnis für die Situation von AusländerInnen in der DDR zu wecken und die ethnische Arbeitsteilung in diesem Teil Mitteleuropas infrage zu stellen.
Im Dezember 1989 gab es in der DDR rund 180.000 AusländerInnen, 90.000 von ihnen hatten auf der Grundlage von Regierungsabkommen mit den jeweiligen Herkunftsländern in der DDR Arbeit aufgenommen. Davon kamen allein 60.000 aus Vietnam, 16.000 aus Mosambik, 9.000 aus Kuba, 7.000 aus Polen, 1.000 aus Angola, 1.000 aus der VR China und 600 aus Nordkorea. Darüber hinaus lebten zu diesem Zeitpunkt 43.000 AusländerInnen mit ständigem Wohnsitz in der DDR, weil sie mit DDR-BürgerInnen verheiratet waren. Weiter hinzuzuzählen sind ausländische StudentInnen, DiplomatInnen, Geschäftsleute etc.
Wie in vielen anderen Staaten auch leisten in der DDR die ausländischen Beschäftigten vorwiegend gefährliche und schmutzige Arbeit und leben, isoliert von der deutschen Bevölkerung, unter unangenehmen Bedingungen. Trotz ihres Beitrags zum Lebensstandard der DDR waren und sind sie nicht sehr beliebt.
Im Vergleich zur Bundesrepublik, wo aufgrund des Wirtschaftsbooms eine Ausländerfeindlichkeit lange Zeit halbwegs abgefedert werden konnte, ist in der DDR dagegen die Anwesenheit von AusländerInnen stets mit dem Honecker -Regime, das sie ins Land holte, und insbesondere mit Honeckers gescheiterter Wirtschaftspolitik assoziiert und kritisiert worden. In der BRD waren ArbeitsemigrantInnen überwiegend unqualifiziert; in der DDR waren, wie Gruner -Domic in einem Beitrag des Buches darlegt, viele ausländische ArbeiterInnen überqualifiziert. Sie verschwiegen ihren Ausbildungsgrad, um überhaupt ins „Lohn und Konsumparadies DDR“ eingelassen zu werden.
In anderen europäischen Ländern bezieht sich die Feindseligkeit der einheimischen Bevölkerung häufig auf den andersartigen religiös-kulturellen Hintergrund der Gastarbeiter bis hin zur unterstellten sexuellen Bedrohung der eigenen Frauen. In der DDR aber konkurrierten Deutsche und Ausländer um die relativ geringe Menge vorhandener Konsumgüter. Mehr als anderswo kamen gerade beim täglichen Einkauf, wenn bestimmte Waren nur mit entsprechendem Ausweis zu haben waren, die nationalen Abgrenzungen und lang gärender Unzufriedenheiten zum Ausdruck.
Seit Veröfentlichung von Ausland DDR: Fremdenhaß sind vielen AusländerInnen die Verträge, die ihre Existenz in der DDR garantierten, verkürzt oder völlig aufgelöst worden. Die KoreanerInnen sind schon weg, und vermutlich werden bis Jahresende auch die Kubaner nach Hause geschickt - während sich wiederum in den vergangenen Wochen Sinti und Roma aus Rumänien und Juden aus der UdSSR in die DDR geflüchtet haben. Beide Gruppen versuchen, Aufenthaltsgenehmigungen zu erhalten. Die Antwort der DDR-Regierung auf dieses Gesuch wird die künftigen Entwicklungslinien einer Ausländerpolitik dieser mitteleuropäischen Gesellschaft widerspiegeln.
Robin Ostow
Irene Runge (Hrsg.): Ausland DDR: Fremdenhaß. Dietz Verlag, Ost-Berlin, 1990, 125 S., 5,40 Mark
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