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Hochzeit nur bei Barzahlung

■ Vietnamesen in der DDR müssen bis zu 30.000 Mark an ihre Botschaft überweisen - Geld verschwindet auf Privatkonten

Von Christine Pöhlmann

„Ich hab‘ fast zwei Trabbis geheiratet,“ sagt Sabine. Doch ihr ist dabei gar nicht nach Lachen zumute. Eine Woche vor der Hochzeit flatterte ihr und ihrem Verlobten Minh ein Drohbrief der vietnamesischen Botschaft ins Haus. „Unverzüglich“ sollten sie 8.100 Mark zahlen, „ansonsten werden der Paß und die erteilten Dokumente anulliert“. Absender: Ngo Huu Manh, II. Sekretär für Konsularfragen der Botschaft in Berlin-Karlshorst.

„Ich dachte, ich kipp‘ vom Stuhl, als der Brief kam,“ erzählt Sabine aufgeregt. Schon vier Wochen vorher hatte das Paar zähneknirschend 8.100 Mark auf ein Konto eingezahlt. Denn wer als Vietnamese in der DDR heiraten will, der muß tief in die Tasche greifen: zwischen 8.000 und 30.000 Mark verlangt die Botschaft als „Auslöse“, angeblich für die erhaltene Ausbildung. Bei Sabine entspricht der Betrag fast genau ihrem Jahresgehalt. So kratzte sie ihre letzten Ersparnisse zusammen und verschuldete sich bei den Eltern. Minh selbst, der als ungelernter Arbeiter noch weniger verdient, konnte kaum beisteuern - zumal 12 Prozent seines Lohnes automatisch für den „Aufbau der sozalistischen Heimat“ nach Vietnam fließen. In der DDR aber hat die Botschaft das Sagen. Sie zieht bereits bei der Ankunft der Vietnamesen in Berlin den Paß ein. Sie entscheidet, ob eine Aufenthaltsgenehmigung verlängert wird oder auch nicht. Sie stellt auch die nötigen Papiere für eine Heirat aus Ledigkeitsbescheinigung, Geburtsurkunde, Paß. Zuvor allerdings muß bezahlt werden. Die Richtlinien sind eindeutig: 8.000 Mark müssen ungelernte Arbeiter aufbringen, 12.000 Lehrlinge, 22.000 Studenten und Promovierte müssen 30.000 auf den Tisch legen. Bei 200 bis 300 deutsch -vietnamesischen Hochzeiten pro Jahr nimmt die Botschaft im Schnitt 2 bis 3 Millionen Mark ein.

Seit der Währungsunion wird erstmal in harter D-Mark kassiert. Zum Umtauschsatz von 1:1. „Vietnam ist ein sehr armes Land, das seit Jahren Krieg führen muß,“ beeilt sich Attache Nguyen Xuan Dong von der Abteilung für Konsularfragen zu antworten. Das Dauerlächeln auf seinem Gesicht verschwindet, als er auf den „Heiratsmarkt“ angesprochen wird. Zwar finanziere das DDR -Solidaritätskomitee die Ausbildung jährlich mit 35 Millionen Mark. Doch dieses Geld werde auch anderweitig verwendet, orakelt der Attache. „Es ist ein großes Privileg, wenn jemand in der DDR arbeiten oder studieren darf und nicht an die Front muß.“ Schlußfolgerung: Es sei nur gerecht, wenn dafür bezahlt werden muß.

Der Appell der Botschaft an den Gerechtigkeitssinn hat nur einen Schönheitsfehler: das Geld verschwindet in dunklen Kanälen. Als Sabine zweimal zahlen sollte, forschte sie nach und förderte Erstaunliches zutage. Das Geld floß auf ein Konto bei der Berliner Stadtbank. Nach DDR-Gesetz aber dürfen Botschaften und deren Angehörige ihre Konten ausschließlich bei der Deutschen Außenhandelsbank eröffnen, bestätigt dort Marion Tümmel, stellvertretende Abteilungsdirektorin für Diplomatenzahlungsverkehr.

„Mir wurde dann gesagt, dieses Konto sei einen Tag vor unserer Einzahlung eröffnet worden. Am gleichen Tag haben mit uns noch 33 andere einbezahlt. Das muß man sich mal ausrechnen!“ Sabine wagt sich wutentbrannt in die Höhle des Löwen. Denn mehr einer Höhle als einem Palast ähnelt die vietnamesische Botschaft in der Herrmann-Duncker-Straße in Berlin. In dem barackenähnlichen Flachbau, der für den Besucherverkehr geöffnet ist, warten bereits Dutzende von Vietnamesen auf Einlaß. Immer Dienstags strömen die Heiratswilligen aus der gesamten Republik in dieses muffige Hinterzimmer. In der Mitte eines billigen Holztisches bündelt ein Botschaftsangestellter hunderte von blauen Pässen mit einer Schnur. Dahinter stehen in dicken Lettern die An- und Abfahrtszeiten angeheftet, Fahrpläne der DDR -Reichsbahn direkt unter dem Porträt von Karl Marx. Mit gesenktem Blick vermeiden die Vietnamesen jedes Gespräch, über den „Heiratsmarkt“ schweigt man sich besser aus. Lautstark protestiert allein Sabine: „Das ist Menschenhandel ... Betrug ... Erpressung.“ Als Antwort wirft sie der Botschaftsangestellte hinaus; ihren Mann verwarnt er, beim nächsten mal alleine - ohne sein „freches Weib“ - zu erscheinen, sonst müsse er zurück nach Vietnam.

Zuletzt bleibt nur noch der Weg zum Gericht. Aber auch von DDR-Seite bekommt Sabine zu spüren, daß sie ein heikles Thema angeschnitten hat. Nach nur einer Woche Prüfung schmettert das Stadtbezirksgericht Pankow ihren Antrag auf Anzeige ab. Begründung: Diese Angelegenheit falle nicht in den Zuständigkeitsbereich der DDR-Gesetzgebung. Für das illegale Konto interessierte sich das Gericht nicht. Ermittlungen aber hätten ergeben, daß das Geld ordnungsgemäß am 3. Mai 1990 gebucht wurde. Ebenso „weitere Beträge in ähnlicher Höhe“, wie die Reklamationsabteilung der Zentrale der Berliner Stadtbank bestätigt. Auch sei das Geld nicht, wie von der Botschaft behauptet, an den Einzahler rücküberwiesen worden. Als Kontoinhaber wird Fran Ngoc Oyen, Rat der vietnamesischen Botschaft, geführt. Der Verantwortliche für den Deal, bei dem an einem einzigen Tag über eine viertel Million „verdient“ wurde, stellte auch flugs einen Umtauschantrag für einen Kurs von 2:1 bei der Währungsunion. „Wir konnten ihm aber nur 3:1 gestatten, da der offizielle Stempel der Botschaft fehlte“, verrät eine Angestellte.

„Das Geld werden wir wohl nie wiedersehen,“ resümmiert Sabine achselzuckend. Allen Drohungen der Botschaft zum Trotz konnte sie Minh heiraten, ohne ein zweites Mal zu bezahlen. Ob demnächst deutsch-vietnamesische Hochzeiten glücklicher verlaufen, ist zweifelhaft. Die Berliner Botschaft soll in ein Generalkonsulat umgewandelt werden, erwartet Pressesprecher Lampe im Bonner Außenministerium. Das Personal der Botschaft wird dann wohl übernommen.

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