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KeineR will die Schule

■ Betr.: „Jugendliche zurück zur Schule - Marsch!“, taz vom 23.6.90

Herr Hannig behauptet also öffentlich und ernsthaft, daß die Behörde seit einem Jahr die Maßnahmen für Schulverweigerer plant.

Hier also die Fakten:

Die für den männlichen Teil der Zielgruppe vorgesehene Allgemeine Berufsschule hat vor ca. 2 Wochen den Auftrag erhalten, die Maßnahmen für ihren Bereich zu planen. Das Kollegium hat dies abgelehnt, so zuletzt am 24.06.90. Die für den weiblichen Teil der Zielgruppe in Frage kommenden Schulen sind bis heute noch nicht beauftragt worden. Die Frauen hat Herr Hannig wieder einmal vergessen.

Vor diesem Hintergrund bringt es die Behörde fertig, Maßnahmen freier Träger, die bisher vom Arbeitsamt gefördert werden, zu zerstören, indem die Jugendlichen für absolut schulpflichtig erklärt werden und damit keinerlei gesetzliche Grundlage zur Förderung nach dem Arbeitsförderungsgesetz besteht.

Immerhin erreichen die Träger mit dem Konzept „Arbeit und Lernen“, daß 50 und mehr Prozent der die Kurse besuchenden Schulverweigerer den Hauptschulabschluß und damit die Voraussetzung für einen Einstieg in das Berufsleben schaffen.

Die Schule erreicht diese Jugendlichen nicht mehr zumindest nicht allein, die Träger schaffen das offen -sichtlich noch.

Trotzdem wird diese funktionierende Infrastruktur zerstört und die Aufgabe mit Krampf in den Schulbereich geholt. Das, obwohl die Berufsschulen schon jetzt vor existentiellen Nöten stehen und den jetzigen Aufgaben kaum gewachsen sind.

Nun ist zu fragen: Warum macht Herr Hannig das? Verbessert sich die Situation der Jugendlichen? Diese Frage ist eindeutig mit „nein“ zu beantworten; sie verschlechtert sich sowohl materiell (weniger Geld) als auch prinzipiell (sie wollen eben nicht mehr in die Schule!). Es ist kein einleuchtender Grund dafür zu sehen, daß die Behörde sich diese Maßnahme, die wenig Erfolgsaussichten hat und viel Geld kostet, zu Lasten der freien Träger an Land zieht. Trotzdem scheinen die geplanten Maßnahmen Herrn Hannig so wichtig zu sein, daß er dafür seinen neuen Senator im Regen stehen läßt: Am 16. Mai 1990 beantwortet Herr Scherf eine Anfrage der Grünen in der Bürgerschaft wie folgt: „Eine Umgestaltung der Allgemeinen Berufsschule (genau darum aber handelt es sich hier - die VerfasserInnen) ist vor der endgültigen Beschlußfassung über die Perspektiven beruflicher Bildung nicht vorgesehen.“ Das Konzept ist in der parlamentarischen Beratungsphase. Henning Scherf erzählt im Parlament das Gegenteil dessen, was Herr Hannig auf dem Verordnungswege tut. Dieses mag jedeR werten, wie er/sie will. Für uns beibt nur festzuhalten, daß die im o.a. Artikel zitierte Aussage von Herrn Hannig falsch ist. Die Behörde stolpert sehr wohl: Sie will mit Lehrkräften, die aus gutem Grund nicht wollen, SchülerInnen unterrichten, die auch nicht wollen, und das mit einem Konzept, das nachweislich für diese SchülerInengruppe nicht greift, wobei sie die Schülerinnen vergessen hat. Dieses Chaos nennt er Ergebnis einer einjährigen Planung und verkauft es womöglich als fortschrittliches Konzept. Den Preis für dieses Unvermögen zahlen wieder einmal die SchülerInnen.

E. Kornol und H. Zachau für die Fachgruppe Hauswirtschaftliche und gewerbliche Berufsschulen in der GEW.

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