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Pasta. Basta.

Die italienische Nudel ist nicht nur ein simples Nahrungsmittel, sondern sie repräsentiert nachgerade eine Lebensweise.

MICHAELA NAMUTH ging der Pastaphilosophie auf den Grund.

asta ist pure Energie. Ich esse jeden Tag mindestens einen Teller“ - Ennio Martino, Innenarchitekt aus Salerno, 60 Jahre.

„Pasta versaut die Linie. Ich esse nur mal sonntags Pasta al forno, wenn sie meine Mutter gemacht hat.“ - Antonella Altieri, Verwaltungsangestellte aus Rom, 35 Jahre.

„Pasta macht nicht dick. Es kommt immer auf die Sauce an.“ Grazia Bianchi, Modejournalistin aus Florenz, 51 Jahre.

Eine Umfrage des italienischen Fernsehens bringt es ans Licht: Nicht einmal untereinander können sich die ItalienerInnen über die Wirkung ihrer Nudel einigen. Nur daß es ihre Pasta ist, darüber wollen sie keinen Zweifel lassen. Die Legende, Marco Polo habe die Kunst der Teigwarenproduktion von seiner Reise durch Asien nach Italien importiert, wischt Pastaanhänger Ennio Martino mit einer Handbewegung beiseite. „Maccheroni haben wir schon gegessen, bevor sich der Polo auf den Weg gemacht hat.“ Mit einem triumphierenden Lächeln verweist er auf das Kochbuch eines anonymen Autors aus dem späten 13. Jahrhundert. Es enthält Angaben für die Zubereitung von Vermicelli und Tortellini. Die Theorie, daß die Pasta auf dem Mist der Chinesen gewachsen sei, hält Martino schlichtweg für eine Zumutung.

Wie dem auch sei - auf jeden Fall rankt sich in Italien eine solch reiche Mythologie um die Erfindung einzelner Pastasorten, daß es kaum noch jemand wagt, ihren Ursprung außerhalb des Stiefels zu suchen. Vor allem die Bologneser Weihnachtsnudeln, die Tortellini, inspirieren seit Jahrhunderten die Fantasie von kulinarisch interessierten Schreiberlingen. Sie seien „wichtiger als die Sonne für einen Samstag und die Liebe für eine Frau“, war 1874 in der 'Gazzetta di Bologna‘ zu lesen. „Der Ursprung der Tortellini verliert sich im Nebel der Vorzeit“, heißt es weiter in diesem Artikel. Im Jahre 1925 schrieb der Bologneser Dramatiker Ostio Lucarini ein Stück mit dem Titel Der Erfinder der Tortellini. Es handelt von einem Koch, der angeblich die schlafende Frau seines Dienstherrn nackt gesehen und sich hoffnungslos in sie verliebt hatte. In seiner unstillbaren Leidenschaft verfiel er schließlich darauf, Pasta in der Form ihres Nabels zu bereiten.

esicherte Hinweise gibt es jedoch darauf, wie die Pasta im 15. Jahrhundert Hauptbestandteil der italienischen Mahlzeiten wurde. Ihre fabrikmäßige Herstellung begann während der Renaissance in Neapel, das heute noch Zentrum der Massenproduktion von Maccheroni und Spaghetti ist. Ebenfalls in der Renaissance verbreitete sich unter den Wohlhabenden die Sitte, Maccheroni mit dem jüngst eingeführten Rohrzucker zuzubereiten. Die Armen konnten sich diesen Genuß jedoch nicht leisten und aßen ihre Pasta weiterhin ungesüßt.

Aber wie gesagt, dies waren Exzesse in der Geschichte der Pasta. Ihre eigentliche Bedeutung lag schon immer darin, daß sie eine kostengünstige Volksmahlzeit darstellte, die mehr und mehr den römischen Getreidebrei Polentum verdrängte. Die Polenta ist heute charakteristischer Bestandteil der lombardischen Küche und wird aus Maismehl hergestellt. Polentoni, „Polentafresser“, nennen die Süditaliener die Bewohner Mailands und Umgebung, wenn sie von denen mal wieder als Terroni, als „Erdfresser“, beschimpft werden.

Die wirtschaftliche, politische und kulturelle Kluft zwischen Nord- und Süditalien geht auch durch die Mägen. Bologna, die Hauptstadt der Region Emilia-Romagna, beherrscht die Küche des Nordens, und Neapel, als Zentrum der Campania, die des Südens. Während im Norden Parmiggiano, der würzige Hartkäse der Stadt Parma, auf die Nudel gerieben wird, kommt sie im Süden oft mit dem Schafskäse Pecorino auf den Tisch. Und während es im wohlhabenden Norden vor allem die flachen, mit Butter gekochten Eiernudeln gibt (Fettucine, Tagliatelle), herrscht im Süden die Tradition der röhrenförmigen Teigwaren (Spaghetti, Maccheroni etc.), die mit dem dort produzierten Olivenöl zubereitet werden.

Doch sollte das kulinarische Nord-Süd-Gefälle nicht auf die Spitze getrieben werden. Die italienische Küche ist eine „Küche der Regionen“. Jeder Landstrich beharrt auf Eigenheiten, die sich schwerlich in ein zweigeteiltes Schema pressen lassen. Auch die Nudel unterliegt dem Einfluß der verschiedenen regionalen klimatischen und kulturellen Bedingungen. Es gibt rund 50 verschiedene Pastaarten. Viele Bezeichnungen sind unübersetzbare, oft aus dem Lokaldialekt stammende Spitznamen.

Allein die Sortenvielfalt beweist: Pastagerichte sind alles andere als simpel. Zu der endlosen Reihe von Formen gesellt sich eine schier unübersichtliche Liste der Soßen. Aber Vorsicht! Jede Sorte kann nur mit bestimmten Soßen kombiniert werden. Dies wird hierzulande von vielen italophilen Kochkünstlern, die unbeschwert neuartige Pastasoßen-Bastarde kreuzen, oft vergessen. Nudeln aus Hartweizengries schütteln sich vor Abscheu, wenn sie mit Sahne bekleckert werden.

m italienischen Familienalltag wird zwischen der Pasta für Werktage und für Sonntage unterschieden. Typische „Werktagsgerichte“ in der Campania sind Pasta al Pomodoro (Spaghetti oder Spaghettini mit Tomatensoße), Pasta all'aglio e olio (Spaghetti oder Lingue di passero mit Knoblauch und Öl) und Pasta ai fagioli: ein deftiger Eintopf aus verschiedenen Nudelresten der vergangenen Woche und einer Soße aus Saubohnen. Die leichte Tomatensoße ist ein frisches Sommeressen. Der schwere, aber köstliche Bohneneintopf eignet sich indessen für kalte Wintertage, an denen man sich mangels Heizmöglichkeiten von innen aufwärmt.

Es gilt im Süden die Regel: Pasta für Suppen und zum Kochen wie Annellini, Spaghetti, Capellini und Lingue gibt es an Werktagen. Die Nudel zum Backen (Lasagne, Penne, Rigati, Farfalle) und zum Füllen (Ravioli, Tortellini, Cannelloni, Agnolotti) ist dem heiligen Sonntag vorbehalten.

Farben spielen in der italienischen Küche eine wichtige Rolle. Das Auge ißt mit im schönheitsversessenen Modeland. Im Gegensatz zu Frankreich, wo die Farbpalette auf den Tellern von zurückhaltenden Pastelltönen dominiert wird, sind die Farben der italienischen Küche ungehemmt kräftig. Die Pastasoßen machen da keine Ausnahme. Tiefschwarz ist die sizilianische Pasta cu niuru di sicci: Spaghetti mit Tintenfischsoße. Giftgrün ist frisches Pesto alla genovese: eine Basilikumsoße mit Pinienkernen und Parmesan, die zu den ligurischen Bandnudeln Trenette am besten schmeckt. Ja und rot, rot ist eben alles, wo die Tomate ihren Saft in der Soße hat. Hier sind die Schattierungen endlos: Je länger sie mit Öl verkocht wird, desto dunkler und schmackhafter, aber auch schwerverdaulicher wird sie.

Es kommt eben wirklich auf die Soße an, bei der Frage, ob Pasta dick macht oder nicht. Doch nicht nur aus Gewichtsbewußtsein wendet sich die jüngere Generation vermehrt ab von ihrem Nationalgericht. Die amerikanische Fast-Food-Lawine rollt in Italien ebenso siegreich wie die gesundheitsversprechende Bio-Welle. Die ganz Jungen stürmen die Hamburgertempel, während sich das gestreßte Yuppie -Völkchen der mittel- und norditalienischen Großstädte ganz auf Müsli und Joghurt konzentriert. Pasta ist out. Oder doch nicht? Eine arbeitsgestreßte Bekannte aus Florenz erlitt nach monatelanger Joghurt-Körner-Ernährung ihren dritten Kreislaufkollaps. Die Ärztin gab ihr den Ratschlag, öfter mal einen Teller Pasta zu essen. Am Ende wird der Salernitaner Martino doch recht behalten.

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