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Ganz in Weißwurscht

■ Wabbelig windet sich weiß die Wurst in den Schlund, schäumend schießt das Bier hinterher... Bayerische Brotzeit: Weißwurst und Weißbier.

Tapfer erkundete

MICHAEL GÖLLERT das Nationalgericht von Deutschlands exotischem Südstaat.

„...und der Boden tat sich auf unter mir und ich blickte in die Eingeweide der Stadt. Ich sah riesige Katakomben und gigantische Stahltanks. Überall schäumte und brauste es, denn das Bier gärte. Und ich sah gewaltige Hände eine weiße Masse kneten und in endlos lange Därme füllen. Fleisch, Gewürze und gehackte Kräuter türmten sich auf zu gewaltigen Bergen...“

ünchen, Viktualienplatz. Samstag morgen, 9 Uhr 25. Noch etwas benommen von der bierseligen vergangenen Nacht, blinzele ich in die Sommersonne. Wo ist die nächste Vitamin -Bar? Mit einigen magischen Mantras versuche ich die letzten Dämonen des Rausches zu vertreiben: „Brotzeit, Leberkäs, Brezn, Obatzter...“ (ein Rohmilchkäse, der mit Zwiebeln, Ei und Gewürzen angemacht wird). Gefrühstückt habe ich natürlich nicht, denn heute morgen werde ich mich von einem echten Münchner in die Geheimnisse des Weißwurstessens und Weißbiertrinkens, kurz des Weißwurst-Frühstücks, einweihen lassen.

Der Initiationsritus beginnt auf dem Viktualienmarkt, dem kulinarischen Herzen der Stadt. Gleich in der Nähe, vor einer größeren Marktbude, finden wir unseren magischen Platz - eine kleine Kneipe mit regionalen Spezialitäten. Wir lassen uns an einem kleinen Tisch im Freien nieder und bestellen.

„Eine Halbe Weißbier, eine Brezn und ein Paar Weißwürscht“, heißt die rituelle Formel, mit der die Zeremonie eröffnet wird. Das Weißbier kommt in den charakteristischen hohen und schlanken Gläsern auf den Tisch. „Hefeweizen muß es sein!“, erklärt mir mein Begleiter. „Was der Champagner für den Franzosen, ist das Weißbier für den Bayern. Da gibt es erstaunliche Gemeinsamkeiten. Beide Getränke bekommen ihren Pfiff durch die Flaschengärung. Beim Champagner wird die Hefe durch das Rütteln der Flaschen verteilt und gelöst, beim Hefeweizen bleibt ein kleiner - erwünschter - Rest in der Flasche. Und beide Elixiere schäumen beim Eingießen und perlen wunderbar im Glas.“

Das Weizen rinnt prickelnd durch meine Kehle. Und dann kommt die Weißwurst: zwei etwa 17 Zentimeter lange, weiße Würstchen mit grünen Einsprengseln in der Füllmasse. Meine Bedenken hinsichtlich der Qualität des verarbeiteten Fleisches und der sonstigen Zutaten stelle ich wegen akuten Magenknurrens erst einmal zurück. Dann beiße ich in die Brezel und beobachte verstohlen andere Gäste beim Verspeisen der weißen Brühwürstchen zwecks Studierens ihrer Technik. Aha, die Wurstpelle wird nicht mitgegessen!

Wohlwollend blickt mich mein Mysterienführer an und erklärt, daß das Genießen dieser Köstlichkeit strengen Regeln unterworfen ist: „Wer die Wurst lediglich mit Messer und Gabel zerteilt und mit der Pelle zum Munde führt, ist ein 'damischer Saupreiß‘, das heißt ein Unwissender. Die Eingeweihten zerschneiden den Darm der Länge nach und trennen mit dem Besteck die Füllmasse heraus. Die höchste Meisterschaft im Weißwurstessen jedoch findet ihren Ausdruck im „Suzeln“, also dem Heraussaugen des Inhalts bei gleichzeitigem Festhalten mit allen zehn Fingern. Dazu wird die obligatorische Laugenbrezel gegessen. - „Ein Weißwurst -Frühstück ist übrigens auch ein heilendes Katerfrühstück! Mehr als 100.000 Weißwürste werden pro Tag in München verzehrt. Laut einem städtischen Amtsblatt muß die Wurst zu mindestens 50 Prozent aus Kalbfleisch und höchstens zu 25 Prozent aus Schweinespeck bestehen. Hinzugefügt wird noch Wasser, etwas Zitrone, Petersilie, Muskat, Zwiebeln und Pfeffer“, verrät mir mein Meister.

ch nehme einen kräftigen Schluck vom Weißbier. „Yin und Yang, Weißbier und Weißwurscht...“, murmle ich entrückt vor mich hin. Zwischen welchen Polen schwingt die Seele dieser Stadt? Ist das sogenannte bayerische Lebensgefühl, das südliche Flair, das „Isarflimmern“ lediglich das Ergebnis einer chemischen Reaktion? Ist das Weißbier die bayerische Droge schlechthin? Oder nur der Champagner des kleinen Mannes? Wieviel Weißbier braucht der Mensch?

Mein Begleiter reißt mich aus meinen Meditationen. „Aber da gibt es noch einige Dinge zu beachten! Weißwurst wird ausschließlich mit süßem Senf gegessen. Nur so können die Gewürze in der Füllmasse ihren Geschmack entfalten. Ein lukullischer Zusammenklang des milden Kalbfleischgeschmacks, ein Hauch Muskat, etwas Zitrone, verschmolzen mit der angenehmen Süße des Senfs!“, schwärmt er und ergänzt: „Weißwurst wird grundsätzlich nur bis zum Mittag, zwölf Uhr, gegessen. Das ist eine alte Regel, die die Frische des Produkts garantieren soll.“

Wir stoßen an. Die Gläser berühren sich dabei zweimal: einmal am breiten oberen Rand und einmal am schmalen, verdickten Fuß. Ich bin schon „gut beieinander“ (fränkisch: leicht betrunken) und lasse meine Blicke munter umherschweifen. Wir zahlen und nehmen unseren Rundgang auf dem Viktualienmarkt wieder auf. Es riecht nach Kräutern, Käse, nach Bratwurst, Blumen und frischem Brot. Überall türmen sich Obst und Gemüse, Berge von Basilikumbündeln, herzhafte Würste, exotische Früchte, feinste Molkereiprodukte, edelste Weine, Gläser voll Honig oder süßem Senf und alle sonstigen vorstellbaren Delikatessen. Sogar frische Pfifferlinge und Steinpilze aus dem Bayerischen Wald und aus Polen werden angeboten für die Wagemutigen unter den Gourmets (Becquerel!). Eine Symphonie in Eß-Dur!

Am Rande des Marktes, in einem unscheinbaren Holzhäuschen, soll es die beste Kalbsbratwurst weit und breit geben, verrät mir der Meister. Im Stehen vertilgen wir die wirklich leckere Wurst. Dazu gibt es diesmal eine Semmel und scharfen Senf. Das obligatorische Weißbier kommt diesmal jedoch aus der Flasche statt aus dem Faß, und das ist der Augenblick, die Kunst des Einschenkens kennenzulernen: Um dem Aufschäumen, bedingt durch den hohen Kohlensäureanteil, vorzubeugen, hält man das Weißbierglas fast waagerecht und versenkt den Flaschenhals tief ins Glas. Ein Ritual, das nur eingeweihte Weißbiertrinker beherrschen.

„Trinken, trinken, trinken...“, hallt es in meinem Kopf. „Essen, essen, essen...“ Yin und Yang, Weißbier und Weißwurscht. Ganz München ißt, trinkt und verdaut. Die unendliche Brotzeit!

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