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Auf Kanzler und Kapitän ist immer Verlaß

■ Viele kleine Unwägbarkeiten können den Ausgang des Finales beeinflussen: ein Ferrari, gelbe Karten, die „trottolini“

Aus Rom Herr Thömmes

Maradona verhaftet! Keine Panik, es war der falsche. Das Problem war im Grunde nur, daß Maradona die Papiere vergessen hatte, aber wenn einer glaubt, zum Clan der Unberührbaren zu gehören, dann versteht er natürlich nicht, daß die Carabinieri einfach zulangen.

Das alles klingt ein wenig wirr, doch es wird sich gleich zeigen, welch unmittelbarer Zusammenhang zum morgigen Finale besteht... Halt! Versetzen wir uns einen Moment in die Polizeistreife aus Tor de‘ Cenci, die Dienst tut auf den Straßen um Trigoria. Kommt also dieser rote Ferrari daher, den wir selbstredend anhalten, um die Insassen nach den offiziellen Dokumenten anzugehen; sagt der eine, er habe keine und im übrigen sei das egal, er sei der Bruder von Maradona.

Hahaha, sagt da selbstredend der Beamte, und der daneben ist der Kaiser von China. Nö, sagt der, ich bin der Schwager von Maradona. Also geht der Disput weiter und, um die Sache abzukürzen, es klärt sich alles auf. Später. Tatsächlich handelt es sich beim Fahrer des Ferrari um Herrn Raul Alfredo Maradona, 23, genannt Lalo, und der Kaiser von China ist tatsächlich aus der Sippe von Claudia Villafane, der Angetrauten von der Rückennummer 10.

„Wer hat es sich erlaubt, meinen Bruder anzuhalten“, schrie erbost der Mann, der morgen zum zweiten Mal Weltmeister werden will, und in diesem Moment wird noch immer diskutiert, wer dieses „traumatische Ereignis“ ('Gazzetta dello Sport‘) zu verantworten hat. Jener „Kerl wie ein Berg“ (Lalo) unter den Carabinieri, der Torwächter von Alcatraz II, dem Trainingslager der Argentinier, der den Ferrari hat passieren lassen, der Ferrari selber...?

Die Auswirkungen dieser Geschichte können natürlich fatal sein, denn Diego Armando Maradona ist ein familiärer Mensch, dem der Titel so wenig bedeutet wie Franz Beckenbauer, der aber „am Sonntag meine Töchter glücklich sehen“ will, und wie kann er das besser schaffen... Halt! Caniggia fehlt doch, jener Caniggia mit dem blonden Wallehaar, der Brasilien das K.o. versetzt hat mit seinem Tor und den Italienern soviel Schmerz bereitet, weil er mit dem Kopf ein wenig schneller war als Walter Zenga. Hat Hand gemacht im Mittelfeld, zweite gelbe Karte - Aus.

Unangenehm ist das für Carlos Bilardo, denn sein ganzes System war abgestellt auf die Schnelligkeit und das unstete Gerenne von Claudio Caniggia, der sogar einem Haudegen wie Riccardo Ferri Krämpfe in die Beine verschaffte... Halt! In der Hinterhand haben die Argentinier noch Gustavo Abel Dezotti, ganze 65 Minuten im Einsatz bei diesem Turnier, ausgeruht mithin und mit einer reputierlichen Bilanz versehen: Das kann kein Schlechter sein, der in der Absteigermannschaft von Cremonese in Italiens erster Liga 13 Tore auf dem Konto... Halt!

Völlig unerheblich sei das, sagt Bilardo, „das Spiel wird im Mittelfeld entschieden“. Dort aber fehlen, ebenfalls zweier gelber Karten wegen, Ricardo Giusti, Julio Olarticoechea und der defensive Bartträger Batista. Und bei den anderen? Wer kann schon in Franz Beckenbauer hineinschauen, diesen aus-dem-Hut-Zauberer immer neuer Figuren? Kann sein, daß er wieder Häßler bringt und Thon, die auf italienisch mit der netten Bezeichnung „trottolini“ geführt werden, aber wer würde darauf wetten?

Klar, Matthäus wird spielen, obschon gewisse Zweifel angebracht sind, ob der Mann seinen Beruf überhaupt ernst nimmt. Hat sich, wie er versichert, das Halbfinale Italien -Argentinien, welches während des Elfmeterschießens 89,1 Prozent aller Italiener vor den Fernseher trieb, nicht mal richtig angeschaut. Und warum? „Es gibt nicht nur Fußball im Leben.“ Also bitte, diesen völlig indiskutablen Satz hat er irgendwo gelesen, weil jeder, der ein bißchen klug daherreden will (und das will er immer, der Lothar M.), nur diesen einen Satz sagen muß, um als schrecklich weise zu gelten und abgeklärt, aber wir wissen es besser... Halt!

Es kommt noch ein anderer daher, auf den genauso Verlaß ist wie auf unseren Kapitän, und nur ein Fehler in der Landemechanik oder den Triebwerken kann es noch verhindern, daß er seine pratzigen Hände nach den Spielern ausstreckt, und wenn er sich vor dem Spiel an die „trottolini“ ranmacht, werden sie zerbrechen wie Porzellanfigürchen. Gute Güte, wie wird er singen bei der Hymne, strahlend und glänzend das Gesicht vor Freude, präsent wie immer: Hier bin ich! Und Weizsäcker und Lafontaine werden zur Seite gedrückt von diesem... Halt!

Könnte es nicht sein, daß Diego Armando Maradona nach dem Finale zu den Ehrengästen hinaufsteigt, dort einen Kerl sieht, groß wie ein Berg, und plötzlich ganz sicher weiß: Das kann nur der sein, der meinem armen Lalo die eisernen Handfesseln anzulegen suchte, dieser Unhold... Und dann fällt er ihm um den Hals und drückt und würgt und der Kanzler wankt...

Es gibt einfach viele Möglichkeiten, von einem gelungenen Finale zu träumen.

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